Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2005

Spalte:

337–339

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Glawatz, Anne-Ruth

Titel/Untertitel:

Die Zuordnung privatrechtlich organisierter Diakonie zur evangelischen Kirche. Unter besonderer Berücksichtigung von unternehmerischen Umstrukturierungen in der Diakonie.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern- Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2003. 170 S. 8 = Schriften zum Staatskirchenrecht, 14. Kart. Euro 34,00. ISBN 3-631-51433-6.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Die gegenwärtigen Zeiten sozialen Umbruchs bedeuten für Diakonie und Kirche eine besondere Herausforderung. Nicht nur weil der Rückgang von Kirchensteuern und staatlichen Fördermitteln einen erheblichen Kostendruck erzeugt, sehen sich viele Einrichtungsträger zu "unternehmerischen Denkstrukturen" (15) sowie u. a. zu einer "Professionalisierung" der Führungsstrukturen (76) gezwungen. Aus solchem Denken, das allerdings in der Geschichte der Diakonie in gewissem Umfange immer eine Rolle gespielt hat (75), kommt es gegenwärtig vielfach zu Ausgliederungen von Arbeitsbereichen in der Form von privaten Kapitalgesellschaften. Z. B. können durch das hierbei mögliche Ausscheren aus dem kirchlichen Tarifsystem Kosten gespart werden.

Hinsichtlich der Wahrung des diakonischen Auftrags in solchen Neugründungen ergibt sich einerseits die theologische Frage nach dem diakonischen Profil. Andererseits ist theologisch von nicht geringerer Bedeutung, ob solche privatrechtlich organisierten Einrichtungen auch kirchenrechtlich als "Diakonie" identifiziert werden können, was nach dem bisherigen deutschen Recht heißt, ob sie auch der verfassungsrechtlich geschützten und privilegierten Kirche zugeordnet werden können. Mit dieser Thematik befasst sich die hier anzuzeigende Göttinger juristische Dissertation, die durch konkrete Anfragen einiger Landeskirchen und ihrer Diakonischen Werke angeregt wurde.

Zur Einführung werden zunächst die Situation der Diakonie, ihre biblische Grundlage und die historische Entwicklung organisierter Diakonie dargestellt (13 ff.). Sodann wird auf die Funktion der Diakonischen Werke als Teile der Kirchen als Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege eingegangen (27 ff.), wobei treffend herausgestellt wird, dass letztlich "die gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände als Kooperationspartner des Staates einen besonderen Schutz gegenüber anderen Anbietern sozialer Dienstleistungen" genössen, deren Selbständigkeit in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben zu achten seien. Allerdings verpflichte diese privilegierte Stellung der freien Anbieter diese zur selbständigen Qualitätssicherung, auf die sich der Staat verlassen könne (31).

Die Vfn. gibt sodann einen Überblick über die gängigen Organisationsformen diakonischer Unternehmungen (38 ff.), deren Vielfalt sich offenkundig daraus ergibt, dass die Kirche bei der Wahl der Rechtsformen zur Organisation ihrer diakonischen Arbeit frei ist (147). Damit ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirche und ihrer Diakonie angesprochen, das im zweiten Teil der Arbeit zur Entfaltung kommt. Dabei werden zunächst allgemein die verfassungsrechtlichen Grundlagen herausgestellt (43 ff.). Dann wird aufgezeigt, dass die privatrechtlich organisierte Diakonie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. die so genannte "Lumpensammler- Entscheidung" [46 ff.], die "Goch-Entscheidung" [48 ff.], die "St. Marien-Entscheidung" [50 f.] und die "St. Elisabeth-Entscheidung" [51 f.]) am Selbstbestimmungsrecht der Kirche Anteil habe.

Die Vfn. markiert dann deutlich die darin höchstrichterlich entwickelten Kriterien für die Zuordnung privatrechtlich organisierter Diakonie zur Kirche: nämlich dass es sich beim Zweck der Einrichtung um eine anerkannte Grundfunktion der Kirche handeln müsse (55 ff.), wozu dann auch die offizielle Anerkennung der Einrichtung durch die verfasste Kirche gehöre (58 ff.). Ebenso müsse eine personelle und organisatorische Verbindung zur Kirche bestehen (60 ff.). Ferner gehöre die Mitgliedschaft im Diakonischen Werk der Landeskirche dazu (64 ff.).

Im dritten Teil der Arbeit werden nun anhand von zehn Beispielsfällen konkrete Maßnahmen zur Aus- und Neugründung durch selbstständige diakonische Einrichtungsträger diskutiert. Anregend für den Nichtfachmann sind die Herausstellung der Vorteile der Rechtsform GmbH (79 ff.), die Berücksichtigung der umsatzsteuerlichen Organschaft (84 f.), die Erörterung der arbeitsrechtlichen Probleme bei der Ausgliederung (87 f.) sowie die Schilderung der steuerrechtlichen Bedingungen für die Wahrung des Gemeinnützigkeitsstatus' (88 ff.). Es wird dann genauso auf die Probleme bei der Ausgründung durch eine (kirchliche) Stiftung eingegangen (99 ff.) wie auf die Gründung einer gemeinsamen GmbH durch zwei Stiftungen (107 ff.) oder auf die Ausgründung von Hilfsbetrieben als wirtschaftliche Geschäftsbetriebe (111 ff.). - Eine eigene Thematik bildet sodann die Frage von Mischträgerschaften mit anderen Trägern der Wohlfahrtspflege (121 ff.), mit Kommunen (127 ff.), nichtkonfessionellen Wohlfahrtsverbänden (130 f.) oder privat gewerblichen Trägern (131), wobei deutlich herausgestellt wird, dass für die Zuordnung zur Kirche die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten des kirchlichen Partners auf Grund des Gesellschaftsvertrages entscheidend sind (131).

Letztlich ergebe sich in der Praxis die Zuordnung zur Kirche durch die Mitgliedschaft im Diakonischen Werk (147). Hinsichtlich der hierbei geforderten Einbindung eines Trägers in das kirchliche Arbeits- und Tarifrecht hält nun die Vfn. eine Einheitlichkeit der Regelungen innerhalb der kirchlichen Dienstgemeinschaft für erstrebenswert. Allerdings könne dies nach ihrer Analyse der Zuordnungskriterien "kein unverzichtbares Merkmal für eine kirchliche Einrichtung" sein. Sie erwarte darum in der nächsten Zeit hier "das größte Reformpotential" (146). Dem ist nicht nur im Hinblick auf eine Bestandssicherung für die diakonische Arbeit, sondern auch aus theologischen Gründen zuzustimmen.