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Ausgabe:

März/2005

Spalte:

336 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Classen, Claus Dieter

Titel/Untertitel:

Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Grundrechtsordnung. Zur besonderen Bedeutung der religionsverfassungsrechtlichen Garantien im Lichte der allgemeinen Grundrechtsdogmatik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2003. XII, 195 S. gr.8 = Jus Publicum, 100. Lw. Euro 69,00. ISBN 3-16-148129-1.

Rezensent:

Christoph Goos

Der Greifswalder Ordinarius für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht stellt das etablierte Verständnis der Religionsfreiheit und der religionsverfassungsrechtlichen Garantien des Grundgesetzes "auf den Prüfstand" (3). Inhaltliche Fragen der Religionsfreiheit, der Organisation von Religion und der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften werden problembewusst, präzise und ausgewogen dargestellt. Wo C. eigene Ansätze zur Diskussion stellt, leitet ihn die Vorstellung, "dass Dogmatik vor allem dann zur Rationalität des juristischen Diskurses beizutragen vermag, wenn sie kleinteilige Denkansätze überwindet, indem sie großflächige Erklärungsmuster anbietet" (5). Anzuerkennen ist C.s Bemühen, dabei dem "Wesen von Religion" (50) gerecht zu werden.

Weil sich Religion an den "ganzen Menschen" richte, dürfe glaubensgeleitetes Leben nicht vom Schutz des Art. 4 I, II GG ausgenommen werden (50). Ein "gruppenbezogenes Verständnis" (177) von "Religion" müsse aber sicherstellen, dass die Religionsfreiheit nicht zum allgemeinen Freiheitsrecht mit "religiösem Deckmantel" werde (4.42.50). Glaubensgeleitetes Leben könne nur insoweit von Art. 4 I, II GG geschützt sein, "wie der Betreffende einer Religionsgemeinschaft angehört, deren Glaubenslehren sich tatsächlich entsprechende konkrete Aussagen, also konkrete Gebote entnehmen lassen" (54). Rein persönliche Glaubensüberzeugungen seien nur nach Maßgabe der Gewissensfreiheit (d. h. "nur vor wirklich stark persönlichkeitsbeeinträchtigenden Maßnahmen", 55) geschützt. Eine Gruppe, der es in Wahrheit nur um das finanzielle Heil weniger, nicht aber um das Seelenheil aller gehe, sei ebenso wenig eine Religion wie eine Gemeinschaft, die keinen Exklusivitätsanspruch erhebe (26). Die Mitgliedschaft in mehreren Religionsgemeinschaften sei tatbestandlich ausgeschlossen (25). Ob man diese Sicht der Dinge als "sachgerecht" und die Konsequenzen aus der Sicht des Einzelnen als "erträglich" bezeichnen darf (28), ist zweifelhaft.

Suchende, religiös Hin- und Hergerissene, Irregeleitete, die die großen und kleinen Kontingenzen des menschlichen Lebens mit Hilfe der Lehren "pseudoreligiöser" Gemeinschaften zu bewältigen und auf ihre je eigene Weise authentisch zu leben suchen, fallen durch C.s Religionsfreiheitsraster. Ähnlich dürfte es manchem evangelischen Christen ergehen, der sich seiner Landeskirche, aber auch der Evangelischen Allianz oder einer Landeskirchlichen Gemeinschaft verbunden weiß (deren Lehren mitunter einen deutlich höheren Konkretionsgrad erreichen als das von C. für unzureichend befundene biblische Gebot, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst, 54). Wenn aber der Staat des Grundgesetzes Religion und Religionsgemeinschaften "nur deswegen in ihrer Freiheit schützt, weil es Gläubige gibt" (61), kann die diffuse Patchwork-Religiosität des einen aus seiner Sicht nicht minder schutzwürdig sein als die strikte Orientierung des anderen an den Lehren der katholischen Kirche. Gelingt es dem religiös bewegten Einzelnen, plausibel zu machen, dass ihn mehr treibt als der Wunsch, zu tun und zu lassen, was ihm beliebt, sind die durch Art. 4 I, II GG errichteten Hürden für staatliche Freiheitseinschränkungen "in vollem Umfang durch die Besonderheiten des Phänomens Religion gerechtfertigt" (5).

Im zweiten Teil seiner Untersuchung widmet sich C. u. a. der Rechtsstellung "neuer" Religionsgemeinschaften ohne (formale) Organisationsstruktur (74 ff.). Das vom Staat zur Verfügung zu stellende Organisationsrecht habe "letztlich dienenden Charakter" (97). Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 137 III 1 WRV könne darum auch ein religiöser Verein sein, der als "weltliches Sprachrohr" (178) einer nicht mitgliedschaftlich-kirchenähnlich organisierten Religionsgemeinschaft in der Lage sei, für diese "in allen Glaubensfragen nach außen hin klare Antworten artikulieren zu können" (96 ff.). Probleme des islamischen Religionsunterrichts lassen sich dann in der Tat eher lösen (101 ff.).

Im dritten Teil der Studie beeindrucken vor allem die sicheren Ausführungen zur umstrittenen Frage der Zuständigkeit staatlicher Gerichte in Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften (122 ff.). Arbeitsrechtliche Loyalitätspflichten erkennt C. dem Grunde nach als dem Wesen der Religion gemäß an (180) - nicht ohne mit gewissem Recht deren konsequente Durchsetzung als Voraussetzung für ihre Beachtlichkeit anzumahnen (151 ff.). Warum aber auch Buchhalter und Reinigungskräfte glaubenstreu sein müssen, ist ihm "kaum erkennbar" (153).

Nicht nur an dieser Stelle sieht sich der Leser - auf durchweg hohem Niveau - zum Widerspruch herausgefordert. Gerade deshalb stellt C.s Buch einen wichtigen Diskussionsbeitrag dar, dem eine weite Verbreitung zu wünschen ist.