Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2005

Spalte:

331 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kerner, Hanns [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottesdienst und Kultur. Zukunftsperspektiven.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004. 143 S. 8. Kart. Euro 14,80. ISBN 3-374-02178-6.

Rezensent:

Thomas Klie

Eine Tagungsdramaturgie folgt einer anderen Logik als die Komposition eines Sammelbandes. Was in der Performanz einer Vortragsfolge Sinn macht, erschließt sich in Schriftform und von zwei Buchdeckeln zusammengehalten oft nicht in derselben Weise. Ein solcher Eindruck drängt sich einem bei der Lektüre der sechs Beiträge auf, die beim Symposion "Zukunftsperspektiven - Gottesdienst als kulturelles Phänomen" (Rothenburg; 19.-21.3.2003) vorgetragen wurden. Dieses Monitum wiegt um so schwerer, als der Fokus - Kultfaktor Kultur - in seiner Reichweite eher weit als präzise eingrenzbar, in seiner Begründungsfunktion eher strittig als konsent und in seiner Legitimität eher abhängig von normativen Aufladungen als objektiv feststellbar ist. Das spricht natürlich nicht grundsätzlich gegen die Reflexion dieses Themas - je länger je mehr wird sich Liturgik auch kulturwissenschaftlich informieren müssen -, wohl aber spricht die Komplexität des Themas gegen die hier vorgegebene, sehr allgemeine Reflexionsperspektive: Evangelischer, katholischer und jüdischer Gottesdienst und ihre jeweiligen kulturellen Resonanzräume und ihre jeweiligen Entwicklungsoptionen- all diese thematischen Fäden können, ungeachtet der Qualität einzelner Aufsätze, auf 141 Seiten kaum umfassend verhandelt werden. Man muss sich vielmehr von dieser Lektürestrategie verabschieden, um die Einzelbeiträge mit Gewinn zu lesen.

Nach der Einführung des Herausgebers in das liturgisch konstitutive "Wechselspiel zwischen Kult und Kultur" zieht der Fribourger Liturgiewissenschaftler Klöckener erste allgemeine inszenatorische Schlüsse aus seinen liturgiehistorischen Längsschnitten. Sein Fazit: Für die Erhaltung der Gestaltqualität der Messe "ist die Liturgische Bildung eine zentrale Grundlage" (61).

Der Baseler Praktische Theologe Grözinger verfolgt exemplarisch "drei theologiegeschichtliche Spuren" (religionswissenschaftliche Schule, die Barth- und die Bultmann-Schule), um die eher kulturabstinente Grundhaltung der jüngeren evangelischen Liturgik zu belegen. Der Gottesdienst kann sich dann als "Begegnung mit dem Heiligen", "rituelle Erinnerung" und "Aktualisierung der Heiligen Schrift" zeigen, wenn die ihn bestimmende Gestaltungsleistung in dem Wissen erbracht wird, etwas "zu machen, was eigentlich nicht gemacht werden kann" (81).

Die kulturelle Verwobenheit des Gottesdienstes zeigt sich für den Tilburger Liturgiewissenschaftler Lukken vor allem in der theatralen Verfasstheit liturgischer Zeichen. Auch wenn hier gelegentlich die Konturen von Mimesis und Repräsentation verwischen, so unterstreicht doch diese Perspektive, dass "Liturgie wirksam ist über den Weg des Sichtbaren, Hörbaren und Tastbaren" (104).

Diese allgemeine Bestimmung erweitert die Jenenser Kulturwissenschaftlerin Köhle-Hezinger aus phänomenologischer Sicht (mit Waldenfels und Adorno). Sie plädiert für die Wahrnehmung des Fremden "in der Form der Sitte": "Tradition - auch in der Handhabung als Eigenes, und auch als Tradierung - braucht Fremdheit: braucht Schranke, Schwelle, Grenze" (121).

Abschließend rekonstruiert die Schweizer Literaturwissenschaftlerin Oberhänsli-Widmer intertextuelle Bezüge zu Kult, Brauchtum und heiligen Schriften in der neueren jüdischen Literatur. Sie kann zeigen, dass das "liturgische Szenario" oft dazu dient, "den Plot speziell zu beleuchten", und dies, obwohl "Gott als Akteur keine Rolle mehr spielt" (139 f.).

Trotz der Verschiedenheit in Theoriezugriff und Ergebnis zeichnet sich hier ein überraschendes Subthema ab: Alle Autorinnen und Autoren setzen sich implizit oder explizit mit Performanz und Inszenierung auseinander. Offenbar ist die Frage nach der evangeliumsgemäßen Dramaturgie eine der entscheidenden "Zukunftsperspektiven" der Liturgie.