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Ausgabe:

März/2005

Spalte:

325–327

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Rommel, Birgit

Titel/Untertitel:

Ekklesiologie und Ethik bei Stanley Hauerwas. Von der Bedeutung der Kirche für die Rede von Gott.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2003. XII, 295, XV S. gr.8 = Entwürfe zur christlichen Gesellschaftswissenschaft, 14. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-8258-6521-5.

Rezensent:

Hans-Martin Rieger

Die nordamerikanischen Theologen S. Hauerwas und G. Lindbeck bieten anregende Impulse im Blick auf die Frage, wie sich Kirche in einer (post-)modernen Welt darstellen soll. Während die Diskussion der Position Lindbecks in der deutschsprachigen Theologie mittlerweile über ein Anfangsstadium hinausgeschritten ist, wurde Hauerwas vornehmlich als Ethiker diskutiert. Die von W. Huber betreute und 2001 in Heidelberg als Dissertation angenommene Untersuchung von R. will eine Lücke schließen, insofern sie nun die Hauerwas' Ethik zu Grunde liegende Verknüpfung von Ekklesiologie und Ethik sowie die seinem Verständnis von biblischer narrative zu Grunde liegende Hermeneutik analysiert. Ihrem doppelten Interesse zufolge will sie die Schwächen der untersuchten Position durch eine Reformulierung in feministisch-theologischer Perspektive korrigieren.

Ein einleitendes Kapitel beleuchtet bereits die zentrale Bedeutung der Kirche als Verkörperung der story Gottes für Theologie und Ethik. Im Blick auf die Begründung Letzterer wurde Hauerwas bisher vor allem in Erlangen und Heidelberg rezipiert. In Erlangen wurde die Beschäftigung von H. G. Ulrich angestoßen, aus ihr ging die zum Standardwerk avancierte Hauerwas-Darstellung von R. Hütter (Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, Neukirchen-Vluyn 1993) hervor. Mit dieser setzt sich R. daher auch durchgehend auseinander. Sie selbst ist dem Hauerwas insgesamt kritischer gegenüberstehenden Rezeptionsstrang Heidelbergs zuzuordnen. Das zeigt sich an dem mindestens ebenso durchgängig erhobenen Vorwurf, Hauerwas' Ansatz bei der christlichen narrative erliege der Gefahr der Selbstimmunisierung und er führe zu einem autoritären, potentiell totalitären Konzept, das sich der produktiven Auseinandersetzung mit Außendiskursen entziehe (vor allem 28.37. 74f.77.91.121.171.175 f. u. ö.).

Im zweiten Kapitel wird zunächst die "Innenseite" der Ekklesiologie von Hauerwas dargestellt. Zentrale Bedeutung haben dabei die Begrifflichkeiten des Prägens und Formens: Gemäß der narrativen Struktur menschlichen Lebens stellt auch die biblische narrative, wie sie in der Kirche überliefert wird, eine Leitstory dar, die das Leben und den Charakter von Glaubenden (als Storied People) formt. Taufe versetzt in eine Gemeinschaft, welche die partikular-konkrete story Gottes verkörpert (30 f.). Diese kirchliche Gemeinschaft ist der Ort, an welchem Menschen der Geschichte Gottes begegnen, sie zu einer realen Option wird und an dem sie durch die Unterweisung von Heiligen spezifisch christliche Praktiken und Tugenden erlernen können. Zu den Kennzeichen der Kirche gehören deshalb nicht nur die gottesdienstliche Wortverkündigung und die Sakramentsverwaltung, sondern die Ermutigung zu einem Leben in Rechtschaffenheit (63 ff.). Mit dem Verfahren einer "narrativen Kasuistik" prüft die Kirche dabei, ob ihre Praktiken im Lichte ihrer grundlegenden Überzeugungen konsistent sind oder verändert werden müssen. Besonders hier stellt sich die Frage, wie Praktiken sowie die ihnen vorausliegende bestimmte narrative sich einer Selbstkritik zugänglich erweisen.

Das dritte Kapitel bietet eine fundamentaltheologische Vertiefung und fragt nach der hermeneutischen Herkunft der die Kirche prägenden narrative und ihrem epistemologischen Status. Die weitgehend nordamerikanischen Hauerwas-Kritikern entnommenen interpretatorischen Weichenstellungen führen zu einer deutlichen Abwertung der analysierten Konzeption: So wird im Blick auf die biblische Hermeneutik Hauerwas' Bindung des epistemic access an die Kirche zur These aufgeladen, nicht die Schrift, sondern die Kirche sei der neue Ort der Offenbarung (107.120.173). Im Blick auf epistemologische Grundfragen bleiben die disparaten Auffassungen von foundationalism bzw. nonfoundationalism ohne hinreichende Klärung, es wird aber festgehalten, dass auch ein partikularer nonfoundational Überzeugungsrahmen universale Wahrheitsansprüche implizieren kann. Formal muss ein solcher keineswegs relativistische Konsequenzen haben, er kann sogar mit einer Verabsolutierung der eigenen Überzeugungen einhergehen. Die bei Hauerwas vorliegende Indikatorfunktion des kirchlichen Lebensvollzugs für die Wahrheit des Bezeugten findet sich in einem Konzept "pragmatischer Verifikation" wieder, das die Einwirkung von Außendiskursen fernzuhalten erlaubt. Hauerwas sei deshalb zwar kein Sektierer (Gustafson), sondern ein "semi-sectarian": Der Dialog von Kirche und Welt folgt einer vorab festliegenden eigenen Rationalität (161).

Das vierte Kapitel wendet sich der "Außenseite" der Ekklesiologie, dem Verhältnis von Kirche und Welt sowie der Kirche als Sozialethik zu. Kritisch aufgegriffen werden insbesondere Hauerwas' Liberalismus- und Kommunitarismuskritik und seine Vorstellung der Kirche als "Kontrastgesellschaft". R. folgt auch hier der feministisch-theologischen Kritik von G. Albrecht u. a., das Konzept von Hauerwas sei androzentristisch und sexistisch ausgerichtet, es verzichte auf die Perspektive des Opfers und legitimiere letztlich unterschwellige Gewalt.

Im letzten Kapitel wird eine Weiterführung in feministisch-theologischer Perspektive intendiert: Zu überwinden ist für R. der von ihr festgestellte "unvollständige historicism", für welchen zwar die Rede von Gott unhintergehbar an eine historische Gemeinschaft gebunden ist, aber die jede Erkenntnis Gottes bedingende Leitstory von dieser historischen Bedingtheit ausgenommen wird. Der "radikale historicism" feministischer Theoriebildung plädiert demgegenüber für eine fließende Identität der Leitstory und öffnet sich für die Heterogenität des christlichen Diskurses. Die Angemessenheit einer formativen narrative ist pragmatisch zu beurteilen, sie muss im Blick auf ihre Teilhabe an geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung korrigierbar sein und der Eigenwürde der vielen Stories, der gegenwärtigen Gotteserfahrung von Frauen und Männern, Rechnung tragen können.

Hinsichtlich des Verhältnisses von individueller Religion und gemeinschaftlich-christlichem Überzeugungskontext zeigt R.s Erörterung einmal mehr, dass Ansätze, welche gemeinschaftliche Überzeugungen als Ausdruck individueller Religion verstehen, noch nicht damit korrigiert sind, dass man die formative Sozialität zum bestimmenden Faktor erhebt. Ähnliches wäre zu Hauerwas' Fokussierung auf das Kontrastmotiv zu sagen. Unbeschadet dessen, dass die in einer christlichen Sozialität verkörperte Deutungsperspektive des Glaubens als Möglichkeitsbedingung von religiöser Erfahrung angesehen werden muss, bietet die Zuweisung der Funktionen von Formgebung und Ausdruck an eine einzelne Kommunikationsgröße nur eine reduzierte Sicht auf ihr komplexes Verhältnis. Interessanterweise lehnt R. die prägende Funktion der biblischen narrative und deren Verkörperung durch die Kirche nicht ab. Sie fragt dann aber zu Recht nach der Definitionsmacht. Dabei verabschiedet sie sich von der Vorgegebenheit und Homogenität einer Leitstory und öffnet sie einer in feministischem Interesse vollzogenen Historisierung, einer für wechselseitige Korrektur offenen Pluralisierung, welche lediglich pragmatisch begrenzt zu sein scheint. Reformatorische Lehre beansprucht demgegenüber, selbst Regeln zur Gewinnung und Korrektur von Lehraussagen zu bieten. Man mag außerdem fragen, warum eine der Themenstellung nahe liegende Position wie die Bonhoeffers nicht berücksichtigt, vor allem aber die gegenüber der von R. übernommenen Hauerwas-Kritik grundlegende Analyse von E. Katongole (Beyond Universal Reason: The Relation Between Religion and Ethics in the Work of Stanley Hauerwas, Notre Dame 2000) übersehen wird.