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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

651 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wiefel-Jenner, Katharina

Titel/Untertitel:

Rudolf Ottos Liturgik.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 332 S. gr.8 = Veröffentlichungen zur Liturgik, Hymnologie und theologischen Kirchenmusikforschung, 31.Kart. DM 88,-.ISBN 3-525-57195-X.

Rezensent:

Manfred Josuttis

In einer Zeit, in der auch der Protestantismus die Bedeutung des Gottesdienstes für das religiöse Leben neu zu entdecken beginnt, kann die Erinnerung an "Rudolf Ottos Liturgik" durchaus Aufmerksamkeit beanspruchen. Wiefel-Jenner hat in ihrer Hamburger Dissertation untersucht, wie dessen praxisbezogene Vorschläge in seinen religionsphilosophischen und theologischen Grundsätzen systematisch fundiert sind.

Der erste Teil der Studie beschäftigt sich infolgedessen mit dem Verständnis des religiösen Gefühls und Erlebens (39 ff.), mit den Phänomenen des Heiligen (63 ff.), mit der Darstellung der Jesus-Gestalt (84 ff.) und, in relativer Kürze, mit dem Gottesbild (121 ff.) Ottos. Mit Recht rückt die Vfn. dabei die Begriffe der Divination (47 ff.) und des Mysteriums (74 ff.) ins Zentrum. Im Lauf ihrer Darstellung wird deutlich, wie stark Ottos Denken von drei in sich durchaus unterschiedlichen Faktoren geprägt war: vom neuprotestantischen Erbe Schleiermachers, von der lutherischen Tradition seiner hannoverschen Heimatkirche und der Erlanger Theologie sowie, in einem nicht genau geklärten Sinn, von den Einflüssen der religionsgeschichtlichen Schule.

Der zweite Teil der Arbeit bietet auf dieser Basis eine informative Einführung in Ottos Vorschläge zur Erneuerung des Gottesdienstes. Sie gelten der Gestaltung des Kirchenjahres als mysteriöser Vergegenwärtigung der Reich-Gottes-Verkündigung, wobei, erstaunlicher- oder merkwürdigerweise, die grossen Feste kaum eine Rolle spielen (142 ff.). Der sonntägliche Hauptgottesdienst soll seine sakramentale Mitte im kultischen Schweigen finden, das Otto aus der Quäkertheologie in den Rahmen der lutherischen Überlieferung zu integrieren versucht (171 ff.). Das Abendmahl wird demgemäß in einen Abendgottesdienst mit intimem Feiercharakter verlegt und zur sakralen Anamnesis, in der die Erlösung durch Jesu Tod in numinoser Gemeinschaftserfahrung vergegenwärtigt wird (215 ff.).

Wiefel-Jenner hat den Zusammenhang zwischen den systematischen Grundlagen und den praktischen Konsequenzen von Ottos Liturgik präzise herausgearbeitet und dabei auch den Rahmen der damaligen Diskussion angemessen berücksichtigt. Ihre Darstellung kann und will freilich den Eindruck nicht korrigieren, daß Otto mit seinen Ansätzen zu einer phänomenalen Wahrnehmung des Heiligen für das Verständnis des Gottesdienstes mehr geleistet hat als mit seinen praktischen Anregungen.