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Ausgabe:

März/2005

Spalte:

297–300

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Ueberschär, Ellen

Titel/Untertitel:

Junge Gemeinde im Konflikt. Evangelische Jugendarbeit in SBZ und DDR 1945-1961.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2003. 360 S. gr.8 = Konfession und Gesellschaft, 27. Kart. Euro 35,00. ISBN 3-17-017898-9.

Rezensent:

Albrecht Döhnert

Die Darstellung der heftigen Konflikte um die Junge Gemeinde in den frühen Jahren der DDR gehört zum Standardrepertoire der kirchlichen Zeitgeschichtsforschung, da hier die Gegensätze zwischen sozialistischem Staat und evangelischen Landeskirchen in ein besonders grelles Licht getaucht wurden. Waren die wesentlichsten Fakten der spektakulären Ereignisse, besonders der Jahre 1952 und 1953, im Prinzip bekannt, so ist es der Arbeit der Vfn. zu verdanken, dass die gesamte Entwicklung der evangelischen Jugendarbeit in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der frühen DDR in ihrem zeitgeschichtlichen wie kirchenhistorischen Kontext ausführlich dargestellt wird. Damit beschreitet die Arbeit in mancherlei Hinsicht Neuland und vermag mit beachtlichen Entdeckungen, vor allem in der differenzierten Darstellung der einzelnen Phasen und Regionen, unseren Kenntnisstand von den Vorgängen zu vertiefen.

Die gleichermaßen von Jürgen Henkys (Berlin) und Jochen-Christoph Kaiser (Marburg) begleitete und schließlich in Marburg 2001 abgeschlossene Dissertation widmet sich vorrangig der "Evangelischen Jugendarbeit in SBZ und DDR 1945-1961", ordnet diese aber durch einen sinnvollen Rückgriff auf die Verhältnisse vor 1945 in den weiteren geschichtlichen Kontext ein.

Das erste Kapitel (24-42) zeigt die "Genese kirchlicher Jugendarbeit" vor 1945 auf. Den freieren Arbeitsformen der einzelnen Jugendverbände und -werke wurde mit der kirchenpolitisch erzwungenen Zäsur von 1933 ein jähes Ende gesetzt und eine engere Verknüpfung der Jugendarbeit mit den Kirchengemeinden erzwungen. Dieser Einschnitt konnte aber im bekenntniskirchlichen Milieu ekklesiologisch durchaus positiv gedeutet werden. Im Umfeld der vor allem durch Otto Riethmüller geprägten Aufbauarbeit kirchlicher Jugendarbeitsstrukturen findet die Vfn. auch die ersten Belege für den Begriff "Junge Gemeinde", zunächst eher als theologischer Grundsatzbegriff (und Titel einer Zeitschrift des Burckhardthauses), nicht jedoch zugleich schon als organisatorisch prägendes Konzept. Es wird deutlich, dass die nach 1933 aufgebauten kirchlichen Strukturen der Jugendarbeit (Jugendkammer, Jugendpfarrer, gemeindliche Anbindung, gleichzeitig auch die verdeckte Weiterarbeit der Jugendwerke) die Grundmuster bereitstellten für die Arbeit nach dem Krieg.

In den beiden folgenden Hauptkapiteln widmet sich die Vfn. zunächst der Situation der Jugendarbeit in den Jahren nach 1945 bis 1949 unter der sowjetischen Besatzungsmacht (2.Jugendarbeit in der Zusammenbruchsgesellschaft; 43-169), um dann die Arbeitsbedingungen und Verhältnisse unter dem "stalinistischen System der DDR" zu untersuchen (3. Jugendarbeit im stalinistischen System der DDR; 170-306). Dabei zieht sie sowohl Aktenmaterial aus staatlichen wie aus landeskirchlichen Archiven heran und ergänzt die zentrale Berliner Perspektive durch materialreiche und lohnende Ausblicke auf ausgewählte Landeskirchen (meist die unierten Kirchen von Berlin-Brandenburg und der Kirchenprovinz Sachsen sowie die lutherische Landeskirche Sachsens). Dabei wird eindrücklich gezeigt, wie kirchliche Jugendarbeit stets mit den kirchen- und jugendpolitisch restriktiven Rahmenbedingungen der SBZ/DDR konfrontiert wurde. Die zentral gesteuerten Maßnahmen (u. a. die Gründung und politische Ausrichtung der FDJ als alleinigem Jugendverband; die Phase offener Repression 1950-1953 mit dem "Liquidierungsversuch" der Jungen Gemeinde 1953; der Übergang zur "verdeckten Repression", u. a. mit Einführung der Jugendweihe ab 1954) zur Behinderung und "systematischen Zurückdrängung" kirchlichen Einflusses auf die Jugend werden zum Teil bis in örtliche Ereignisse nachverfolgt. Ingesamt ergibt sich ein beklemmendes Bild der Repression, die im Vorwurf gipfelte, "Agentenzentrale" des Westens zu sein.

Über diese zeitgeschichtlich detaillierte Darstellung der Vorgänge hinaus ist es der Vfn. auch gelungen, ein lebendiges Bild der innerkirchlichen und inhaltlichen Entwicklung kirchlicher Jugendarbeit zu zeichnen. Hierin liegen vielleicht sogar die interessantesten Aspekte der Arbeit. Interessenskonflikte zwischen den Jugendwerken (Jungmännerwerk, Burckhardthaus und die kleineren Werke wie Schülerbibelkreise, Mädchenbibelkreise, christliche Pfadfinderschaft, Jugendbund für Entschiedenes Christentum) mit ihrem Versuch, weiter Einfluss auszuüben, und den Verkirchlichungstendenzen landeskirchlicher Protagonisten, Einblicke in die Gremienarbeit der Jugendkammer Ost und ihrer nachgeordneten Strukturen, in landeskirchliche Entscheidungsprozesse und die Entfaltung inhaltlicher Konzeptionen (auch eine interessante Analyse der Jugendzeitschrift "Stafette" 1947-1953) vermitteln das lebendige Bild eines kirchlichen Arbeitszweiges, der sich allen politischen Einschränkungen zum Trotz dynamisch entwickelte und dabei zu zeitgemäßen und spezifisch ostdeutschen Antworten kam.

Die Fallbeispiele Kirchenprovinz Sachsen und Landeskirche Sachsens zeigen, wie unterschiedliche Wege gegangen wurden. Während in der Kirchenprovinz Vertreter der Jugendwerke in die Neukonzeption maßgeblich eingebunden wurden und Gestaltungsspielräume hatten, verfocht die Sächsische Landeskirche eher den Kurs einer konsequenten Einbindung aller Jugendarbeit in gemeindliche, ephorale und landeskirchliche Strukturen. In Berlin-Brandenburg finden sich schließlich die deutlichsten Bemühungen, das Konzept der "Jungen Gemeinde" zu etablieren. Diese Vielfalt ist auch für das historische Verständnis und die Theoriebildung kirchlicher Jugendarbeit in gesamtdeutscher Perspektive interessant.

"Junge Gemeinde" entwickelte sich von einem theologischen Grundsatzbegriff der Bekennenden Kirche zu einem umfassenden, kirchenpolitisch bewusst gewählten Konzept, das zugleich - zuerst in Berlin-Brandenburg - organisatorisch wie inhaltlich ein "Konsensprojekt" (127 ff.) und eine "Integrationsformel" wurde: "Junge Gemeinde war Angebot und Forderung an die Kirche zugleich. Angeboten wurde eine Jugend, die als lebendiges Glied der Gemeinde in ihrer Mitte zum Dienst bereit war und im Umkehrschluß erwartete Riethmüller von der Gemeinde, ihrer Jugend zu dienen. Es handelte sich in diesem Sinne um eine Integrationsformel, die von der verbandlichen Jugendarbeit für das Verkirchlichungsanliegen bereitgestellt wurde" (237). "Junge Gemeinde wurde deswegen verwendet, weil sich dieser Name nur durch das vorgestellte Adjektiv junge von dem Zentrum christlich-kirchlichen Lebens unterschied - der Gemeinde. Nichts klang in diesem Namen nach früherer Vereinstätigkeit. Er hatte keine institutionelle Vorgeschichte ... Junge Gemeinde bildete einfach das Dach der Verkirchlichung evangelischer Jugendarbeit, unter dem sich die Jugendwerke sammelten." (238 f.) "Im Umfeld des Burckhardthauses und den bekenntniskirchlichen Kreisen um Otto Dibelius fanden sich der Schöpfer und die Promotoren eines programmatischen Gebrauchs des Junge Gemeinde-Begriffes. Die theologische Qualität, die gleichermaßen kybernetischen Zielvorstellungen und pädagogischen Anliegen gerecht wurde, gab den Ausschlag für seine Verbreitung und Verbindlichkeit" (240). Ab 1949, mit Beginn der verschärften Repression, findet die Vfn. den Begriff flächendeckend verbreitet, eng verbunden mit dem Bekenntniszeichen der Jungen Gemeinde, dem Kugelkreuz. Enge Anbindung an die einigermaßen vor Zugriffen geschützte Kirchengemeinde, generationenspezifische Bezeichnung und selbstbewusstes Empfinden, eigenständiger Teil der Kirche zu sein, machten den Begriff auch zu einem Aspekt jugendkulturellen, ja elitären Selbstverständnisses.

Für die zweite Hälfte der 50er Jahre ist eine Krise der Jugendarbeit zu konstatieren, die sich sowohl numerisch (bis zu 25-50 % Rückgang durch Abwanderung in den Westen und inneren Rückzug) als auch konzeptionell (vor allem die methodisch bisher im Mittelpunkt stehenden bürgerlich-intellektuellen Jugendlichen blieben fern) auswirkte. Vor allem die mehrheitliche Durchsetzung der Jugendweihe seit 1958/59 riss in den Nachwuchs der Jungen Gemeinde eine tiefe Lücke. Aus dem auch in der Öffentlichkeit präsenten Massenphänomen wurde eine eher "konspirative Tätigkeit" (273). Sinkende Teilnehmerzahlen förderte die Koedukation der bisher eher geschlechtspezifisch organisierten Jugendarbeit. Die Jugendkonvente, die seit Anfang 1950 auch als (Ersatz-)Demokratieforum eine lebendige Sozialisationsinstanz waren, stagnierten seit Anfang 1960. Der Austausch mit den Westberliner Jugendmitarbeitern wurde durch den Mauerbau empfindlich gestört. Gleichzeitig kann die Vfn. am Beispiel der Landjugend zeigen, wie neue Ansätze für die veränderte Situation gefunden wurden. Ob die Zäsur 1961 wirklich die Bedeutung hatte, die die Vfn. ihr zuerkennt, oder eher arbeitspragmatisch sinnvoll war, sei einmal dahingestellt.

Abschließend diskutiert die Vfn. die Jugendarbeit vor dem Hintergrund der Modelle von Säkularisierung und Milieubildung in makrohistorischer und komparatistischer Perspektive (4. Fazit - Die Funktion kirchlicher Jugendarbeit für eine Integration historiographischer Teilmilieus; 307-332).

Insgesamt ist die Arbeit sinnvoll gegliedert und gut lesbar. Das Ineinander von staatlicher und kirchlicher, zentraler und provinzbezogener Perspektive macht die Lektüre allerdings gelegentlich etwas mühselig, wenn etwa gleiche Zeiträume und Entwicklungen in verschiedenen Kapiteln aus unterschiedlichem Sichtwinkel dargestellt werden. Im Detailreichtum drohen die großen Linien manchmal etwas verdeckt zu werden. Ein ausführliches Quellen- und Literatur- sowie ein Personenregister beschließen den Band. Letzteres wird leider im Gebrauch dadurch eingeschränkt, dass sich sämtliche Seitenzahlen um vier Ziffern verschoben haben.

Heute, 15 Jahre nach dem Ende der DDR und ihrer rigiden Jugendpolitik, kann man diese Studie auch vor dem Hintergrund einer erheblich veränderten ostdeutschen Landschaft kirchlicher Jugendarbeit lesen. Ob angesichts des Wachstums verbandlicher Jugendarbeit (CVJM, VCP, EC) das Integrationskonzept "Junge Gemeinde" mit seiner gemeindlichen Struktur langfristig überlebensfähig sein wird oder ob es eher ein "Notbehelf" (166) in schwieriger politischer Situation war, kann und will die Studie nicht beantworten. Sie stellt aber für diese aktuellen Fragen eine umfassende und detailreiche Untersuchung der geschichtlichen Voraussetzungen heutiger Jugendarbeit zur Verfügung und sei daher allen an der Konzeption und Weiterentwicklung kirchlicher Jugendarbeit Interessierten nachdrücklich empfohlen.