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Ausgabe:

März/2005

Spalte:

296 f

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Mäkinen, Aulikki

Titel/Untertitel:

Der Mann der Einheit. Bischof Friedrich-Wilhelm Krummacher als kirchliche Persönlichkeit in der DDR in den Jahren 1955-1969.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2002. 227 S. 8 = Greifswalder theologische Forschungen, 5. Kart. Euro 35,30. ISBN 3-631-39843-3.

Rezensent:

Rudolf Mau

Die im Rahmen der Osteuropa-Forschung der Theologischen Fakultät in Helsinki entstandene Dissertation von Frau Mäkinen gilt dem bislang kaum gewürdigten Wirken Friedrich-Wilhelm Krummachers, des Bischofs der pommerschen Kirche (1955-1972) und Vorsitzenden der Kirchlichen Ostkonferenz (1960-1969). Krummacher hat den Weg der ostdeutschen Kirchen wesentlich mitbestimmt, scheiterte dann aber angesichts des wachsenden Trennungsdrucks des SED-Regimes mit dem Versuch, die institutionelle Einheit der EKD zu erhalten. Die durch Martin Onnasch zu den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen beratene Vfn. verzichtet weitgehend auf Wertungen, um "möglichst sorgfältig Geschichte zu rekonstruieren" und so "einen erdenklichst neutralen Blickwinkel auf die Jahre 1955- 1969" zu eröffnen (15). Bislang unbenutzte Quellen aus den kirchlichen Archiven sowie private Aufzeichnungen Krummachers aus dem Familienbesitz tragen Wichtiges dazu bei, jene konfliktreichen Jahre aus der Verantwortungsperspektive des damals leitenden Kirchenmannes zu verstehen. Dass deren Informationsgehalt den von staatlichen wie auch von Stasi-Quellen (so eines Greifswalder Kirchenjuristen und IM), die in der Sache kaum anderes vermelden, bei weitem übertrifft, gehört zum bemerkenswerten Ertrag der Untersuchung (16 f.).

Krummachers Stellung im kirchenleitenden Amt war auf Grund seiner Vita nicht unumstritten. In den späten 20er Jahren war er Provinzialvikar unter Generalsuperintendent Dibelius und wurde von diesem auch in die kirchliche Auslandsarbeit eingeführt. Unter dem Eindruck der "nationalen Erhebung" trat er 1933 in die NSDAP ein und wirkte, während Dibelius durch das DC-Kirchenregiment kaltgestellt war, im kirchlichen Außenamt. Als Wehrmachtspfarrer geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, schloss sich unter dem Eindruck von NS-Massenmorden dem Nationalkomitee Freies Deutschland an und konnte schon im August 1945 wieder nach Berlin zurückkehren. Das wiedergewonnene Vertrauen von Dibelius hatte und behielt, wie die personbezogenen Quellen zeigen, große Bedeutung für den weiteren Weg Krummachers. Die kommunistische Führung aber - Sowjetische Militäradministration (SMAD) und SED-Regime - hegte immer wieder die Erwartung, ihn für ein Wirken im Sinne ihrer Politik gewinnen zu können.

Ein kürzeres Kapitel gilt der Entstehung der "kirchenpolitischen Linie" Krummachers (21-66). Im Auftrag der Ostkonferenz war er an den zum umstrittenen "Kommuniqué" von 1958 führenden Verhandlungen beteiligt, von denen die Kirche eine Milderung der harten staatlichen Pressionen erhoffte. Sein grundsätzliches Respektieren staatlicher Vollmacht des SED-Regimes brachte ihn 1959/60 in Konflikt mit Dibelius' Obrigkeitsverständnis, ohne das gegenseitige Vertrauen zu beschädigen. Im Hauptkapitel über "Krummacher als leitender Bischof in der DDR" (67-172) beschreibt die Vfn. den durch die Differenzierungspolitik der SED - Ulbrichts ostentatives Protegieren von Bischof Mitzenheim als allein anerkanntem "Sprecher" der evangelischen Kirchen ("Thüringer Weg") - provozierten Dauerkonflikt. Eingedenk der Erfahrungen von 1933 und gestützt durch das gesamtkirchliche Vertrauen widerstand Krummacher dem staatlichen Versuch, ihn anhand problematischer Äußerungen in der NS-Zeit zu erpressen (106 ff.). Starkes Befremden rief 1963 sein Alleingang zum Ost-West-Verhältnis hervor: die in ökumenischem Zusammenhang vorgetragene Anregung, zu Gunsten möglicher menschlicher Erleichterungen Ulbrichts Forderung nach Anerkennung der DDR ernsthaft zu prüfen (119 ff.).

Im Vorfeld der Gründung des DDR-Kirchenbundes schildert die Vfn. eindrücklich Krummachers "Gratwanderung" zwischen Einheit der EKD und Eigenständigkeit der ostdeutschen Kirchen (173-210). Zu Recht wird die damals in Ost und West ganz unterschiedliche Sicht der durch die DDR-Verfassung von 1968 entstandenen Situation betont: Die Weigerung der EKD-Mehrheit, die ostdeutschen Kirchen durch eine rechtzeitige Regionalisierung der EKD wieder handlungsfähig zu machen, belastete stark die letzte Phase von Krummachers gesamtkirchlichem Leitungsamt. Mit der Fürstenwalder Synode 1967 bekannte er sich zur organisatorischen Einheit der EKD, die für ihn "Glaubenssache" blieb. Das Scheitern seiner Kompromissentwürfe und die Gründung des ostdeutschen Kirchenbundes waren für ihn "eine bittere Niederlage". Danach verstand er sich "als Brückenbauer" zwischen EKD und Kirchenbund (210), ohne dessen theologische und kirchenpolitische Linie noch maßgeblich mitbestimmen zu können.

Der Vfn. ist eine gut lesbare, instruktive Darstellung gelungen. Zahlreiche Vorgänge werden detailliert geschildert; die Handlungslinien bleiben erkennbar. Der thematische Skopus der Dissertation hätte es nahe gelegt, nach dem genaueren Sinn von Krummachers Unterscheidung "politischer" und "theologischer" Gründe für die "organisatorische Einheit" der (1967/68 faktisch gelähmten) EKD - auch der Kirchenbund war theologisch programmiert! - zu fragen. Angesichts der Moskauer Vorgänge nach Stalins Tod 1953 schon von der "Entstalinisierung in der Sowjetunion" (28) zu reden, ist ein anachronistischer Vorgriff auf 1956.