Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2005

Spalte:

282–284

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sorensen, Eric

Titel/Untertitel:

Possession and Exorcism in the New Testament and Early Christianity.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XIV, 295 S. m. 8 Tab. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 157. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-16-147851-7.

Rezensent:

Peter Busch

Die Studie ist die überarbeitete Fassung von Sorensens Dissertation an der Divinity School der University of Chicago. Der Vf. hat das in den letzten Jahren in vielerlei Einzeluntersuchungen diskutierte Thema "Besessenheit und Exorzismus" aufgegriffen und als kulturgeschichtlichen Abriss vom Alten Orient bis in die Zeit der Alten Kirche gestaltet. Wie es der Titel der Studie vorgibt, steht dabei im Zentrum des in sieben Hauptkapitel unterteilten Buches die Darstellung der Phänomene im Neuen Testament (Kapitel 5, 118-167) und in der frühen Kirche (Kapitel 6, 168-221), der eine kurze Zusammenfassung folgt (Kapitel 7, 222-225). Diese genannten Kapitel stellen etwa die Hälfte des Gesamtumfangs der Untersuchung dar, obwohl sie im vorliegenden Gesamtentwurf eine relativ kurze Zeitspanne abdecken. Hier bespricht der Vf. souverän und mit eingehender Kenntnis der Quellen und der Forschungsgeschichte seinen Gegenstand. Davor werden nach einer ausführlichen Einleitung (Kapitel 1, 1-17) die traditionsgeschichtlichen Wurzeln vom Alten Orient (Kapitel 2, 18-46) über das Alte Testament und das Frühjudentum (Kapitel 3, 47-74) bis zum Griechenland der klassischen Antike (Kapitel 4, 75-117) behandelt. Abschließend erleichtern Quellen-, Autoren- und Stichwortverzeichnisse den gezielten Zugriff auf Spezialthemen.

Bei seinen Ausführungen unterscheidet der Vf. methodisch das Phänomen der "Besessenheit" und das des "Exorzismus" und versucht nachzuweisen, dass Ersteres im zeitgenössischen Umfeld des Neuen Testaments ein bekanntes und verbreitetes Konzept mit langen traditionsgeschichtlichen Wurzeln war, das Phänomen des Exorzismus allerdings in seiner Konzentration in der Jesusüberlieferung eine Eigenheit darstellt und seine Wurzeln im hellenistischen Judentum hat. Die sozialintegrierende und Reinheit stiftende Funktion der Exorzismen Jesu würden dann in der Mission der frühen Kirche entfaltet.

Diese Hauptlinie der Argumentation liegt durchaus im Mainstream der Forschung. Betreffend der religionsgeschichtlichen Herleitung aus dem Alten Orient ist etwa die besondere Berücksichtigung des Zoroastrismus und des persischen Dualismus, dem in Kapitel 2 großer Raum gegeben wird, schon seit Plutarchs De defectu oraculorum (Mor 415A-418D) fester Bestandteil der religionsgeschichtlichen Diskussion der benannten Phänomene, und hinter dem vom Vf. zusätzlich postulierten Einfluss der Apokalyptik steht im Grunde das Beziehungsdreieck Parsismus - Apokalyptik - Dämonenglaube, das seit Johannes Weiss (Die Predigt vom Reiche Gottes, 1900) für das Neue Testament als grundlegend vorgeschlagen wurde.

Der Vf. hat sich bei seinem kulturgeschichtlichen Abriss der Phänomene Besessenheit und Exorzismen viel vorgenommen, und gerade die zeitlich entfernt stehenden Epochen konnten nur überblicksweise behandelt werden. Dies ändert sich bei der Besprechung der näher am Neuen Testament liegenden Epochen - die Ausführungen zu den Exorzismen der kanonischen alttestamentlichen Texte etwa in Kapitel 3 zeugen von großer Detailgenauigkeit in der Textbeobachtung (hier ist besonders die aufschlussreiche Tabelle der Exorzistentermini S. 56-58 hervorzuheben). Die Besprechung der jüdischen Pseudepigraphen erfolgt explizit anhand der früheren Texte, und hier besonders ätHen, Sib 3, Jub und ApkAbr. An einigen Stellen jedoch würde sich der Leser auch hier eingehendere Informationen wünschen. Für die späteren, oft christlich interpolierten Schriften beispielsweise wird der Leser in Kapitel 3 auf das Schlusskapitel verwiesen, was für die "Testamente der XII Patriarchen" auch eingehalten wird. Leider jedoch bleibt der Vf. dem Leser die besondere Würdigung des "Testamentum Salomonis", eines für sein Thema herausragenden Pseudepigraphons, auch im letzten Kapitel schuldig (es ist nur ab und zu für die Einzelexegese berücksichtigt, die einschlägige Textedition von McCown taucht im Literaturverzeichnis nicht auf). Ebenso werden bei der Besprechung der Qumrantexte wohl die wichtigsten Schriften zum Thema teilweise ausführlich besprochen, doch bleibt der Eindruck bestehen, dass dieses Kapitel trotz der hohen Relevanz für die oben referierten Thesen des Vf.s recht knapp gehalten wurde: Einmal wird trotz der aktuell kontrovers geführten Diskussion um die Trägerkreise der Schriftrollen implizit von der Einheitlichkeit der "sectarian texts" (65) ausgegangen, ohne dass die neueren Anfragen zum Problemfeld Qumran erwähnt werden. Zweitens scheint es, dass die neuere Diskussion bei der Einzelexegese der Texte nicht immer konsequent wahrgenommen wurde. Als ein Beispiel könnte man die Diskussion um 4Q560 anführen: Hier wird ausschließlich nach Penny/Wise (JBL 113, 1994) zitiert (69 f.), ohne auf die Kritik von Naveh (IEJ 48/3-4, 1998) oder auf die sehr differente Lesart in Tigchelaars Edition einzugehen. Hier wird deutlich: Der Vf. führt an diesen Stellen zwar souverän in die Problematik ein, ohne sie allerdings für den Leser hinreichend detailliert zu entfalten. Doch auch trotz dieser Anfragen vermag er es durchaus, den Leser von der - in der Forschungsgeschichte auch schon bearbeiteten - traditionsgeschichtlichen Vorbereitung der Exorzismus- und Besessenheitsvorstellung durch das zwischentestamentliche Judentum zu überzeugen.

Gleichzeitig teilt der Vf. die in der neueren Forschung verstärkt formulierte Skepsis die paganen Wurzeln christlicher Exorzismusvorstellungen betreffend, etwa hinsichtlich paganer "theios-aner"-Konzepte. Dies wird in Kap. 4 deutlich (Possession and the Treatment of the Possessed in Early Greek), dort werden die Besessenheit erzeugenden Wesen, deren Manifestation sowie der Umgang mit Besessenen im entsprechenden Kulturbereich dargestellt. Der Vf. hat hier mit großer Gelehrsamkeit eine Menge an einschlägigem Material zusammengetragen und besprochen, Konzepte von Reinheit und Sühne kommen ebenso zur Diskussion wie magische Riten. Letztlich will er in diesem langen Abschnitt zeigen, dass es das Konzept der Besessenheit auch im klassisch-griechischen Kulturraum gab, das des Exorzismus allerdings erst im 1. Jh. christlicher Zeitrechnung zur Entfaltung kam.

Hier stellt sich unwillkürlich die Frage, warum der Vf. bei der Besprechung der griechischen Vorgeschichte der Konzepte Besessenheit und Exorzismus seinen Schwerpunkt auf die klassisch griechische Zeit legte und deren hellenistische Folgeepoche, die ja zum Verständnis des Neuen Testaments größte Relevanz besitzt, nicht zentral fokussieren wollte. Kurzum, die mittelplatonische Dämonologie als mögliche Voraussetzung neutestamentlicher Dämonen- und Besessenheitsvorstellungen wird nicht zentral diskutiert, auf deren Polyhistor Plutarch wird nur in einigen Fußnoten hingewiesen, und Apuleius' De deo Socratis als zentrale mittelplatonische Dämonologie taucht nur an einer einzigen Stelle (81, Anm. 28) als Stellenverweis auf. Eine stärkere Berücksichtigung derartiger Texte hätte einerseits die Anbindung der klassischen Dämonenvorstellungen an das Neue Testament geglättet, andererseits weiterführende Thesen des Vf.s, beispielsweise die einseitige Rezeption der breit diskutierten Einbindung neutestamentlicher Exorzismusvorstellungen in die zeitgenössische jüdische Apokalyptik (129) zumindest zur Diskussion stellen können.

Trotz dieser Anfragen hat der Vf. eine materialreiche und gelehrte Studie vorgelegt, die neben einem Kultur übergreifenden Überblick besonders für die Zeit des Neuen Testaments und der frühen Kirche eingehende Informationen bietet.