Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2005

Spalte:

265–268

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bakke, Odd Magne

Titel/Untertitel:

"Concord and Peace". A Rhetorical Analysis of the First Letter of Clement with an Emphasis on the Language of Unity and Sedition.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2001. XVI, 390 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 143. Kart. Euro 59,00. ISBN 3-16-147637-9.

Rezensent:

Hermut Löhr

Die anzuzeigende Monographie geht auf eine von David Hellholm an der Universität Oslo betreute theologische Dissertation aus dem Jahre 1998 zurück. Der Vf. legt ein umfangreiches und ambitioniertes Buch vor, das in einem Forschungsumfeld steht, in welchem das Interesse an den für die neutestamentliche Wissenschaft zu lange am Rande liegenden Schriften der so genannten Apostolischen Väter wieder erwacht ist und in dem die an anderen Untersuchungsgegenständen gewonnenen neuen Analysemethoden wissenschaftlicher Exegese nun auch auf diese außerkanonischen frühchristlichen Schriften übertragen werden.

Gegenstand der Analysen ist der von der Tradition so genannte erste Clemensbrief, den die römische Gemeinde gegen Ende des 1. oder zu Beginn des 2. Jh.s n. Chr. an die Gemeinde in Korinth schickte. Gleich drei zentralen Aufgaben widmet sich der Vf.: Erstens will die Untersuchung das Hauptthema des bisweilen als breit und eher konfus angesehenen Schreibens herausarbeiten. Zweitens soll eine stärker als bisher objektivierbare Strukturanalyse des Textes erarbeitet werden. Und drittens soll auch die Frage nach dem historischen Anlass und Hintergrund des Schreibens einer Beantwortung näher gebracht werden.

Diesen drei Aufgabenstellungen entsprechen die Kapitel 3 bis 5 der Studie. Voran geht ein einleitendes erstes Kapitel (1-31), welches neben einer knappen Erörterung der klassischen Einleitungsfragen vor allem die Methodik rhetorischer Analyse antiker Texte erörtert. Der Vf. orientiert sich an den Kategorien und Kriterien antiker Rhetorik, ohne damit anderen Zugängen (etwa dem über die "nouvelle rhétorique" von Ch. Perelman und L. Olbrechts-Tyteca) ihre Berechtigung abzusprechen. Die aus den Überlegungen gezogene Konsequenz, nämlich die, neben den rhetorischen Handbüchern auch tatsächliche Beispiele antiker Rhetorik (in Reden und Briefen) heranzuziehen, die auf Anhieb plausibel wirkt und etwa von W. A. Meeks u. a. schon vor einem Vierteljahrhundert gegen den Ansatz von H. D. Betz kritisch zur Geltung gebracht wurde, wird dann für die Frage nach dem Thema von 1Clem besondere Relevanz gewinnen.

Im zweiten Kapitel (33-62) untermauert der Vf. die auch sonst vertretene These, 1Clem sei ein Beispiel deliberativer Rhetorik. Verschiedene für das genus deliberativum kennzeichnende Elemente werden zunächst benannt und dann in 1Clem nachgewiesen. Für die weitere Untersuchung wichtig wird dabei die Einsicht, dass für deliberative Rhetorik neben der Frage von Krieg und Frieden auch das Thema der Eintracht (homonoia) besonders zentral war. Man könne, so der Vf., von einem "certain type of deliberative rhetoric" (62) sprechen, dessen Ziel es gewesen sei, die Hörerschaft davon zu überzeugen, von "factionalism" (stasis) zu lassen und "concord" (ebd.) zu suchen.

Das dritte Kapitel ("The Language of Unity and Sedition in 1Clement"; 63-203) greift über die Kategorien antiker Rhetorik hinaus, um zu einer Themenbestimmung des ganzen Schreibens zu kommen. Der Vf. stützt sich vor allem auf die Wortfeldtheorie von J. Trier, zieht aber auch andere Beiträge, besonders diejenigen von E. Coseriu und H. Geckeler, heran, während Ansätze historischer Semantik (R. Koselleck und Nachfolger) ausgeblendet sind. Wenn der Vf. am Ende seiner methodischen Darlegungen dann zur Definition des semantischen Feldes noch auf K. Berger verweist (72, Anm. 321), der sich von Triers Wortfeldtheorie bewusst und pointiert absetzt, wird deutlich, dass die Darstellung die zum Teil fundamentalen Unterschiede der verschiedenen Ansätze zu stark verwischt.

Was genau der Vf. unter einem "semantic field" versteht, wodurch er es konstituiert sieht, wird nicht recht deutlich. Bedenklich stimmt, dass er von der sich auf Substantive konzentrierenden Untersuchung ausdrücklich solche ausschließt, "that seem to be linked to the semantic field of concord in 1 Clement, but do not appear to reflect conventional use" (72). Die für den Vf. zentralen Kategorien zur Erfassung des "semantic field", Synonym, Antonym und Hyponymie, werden folgendermaßen definiert: "the term synonym designates words not with identical but with a similar meaning" (69); "antonym will be used to cover all kinds of incompatibility of sense"(ebd.); Hyponymie ist mit A. Lehrer "the relation which holds between a more specific, or subordinate, lexeme and a more general, or superordinate, lexeme" (70). Allerdings wird eine gravierende Kautele gemacht: "it is not necessary to consider whether an actual term functions as a synonym or hyponym of homonoia and stasis respectively. It will suffice to demonstrate that it belongs to the semantic field of homonoia" (71).

Wohlwollend könnte man von einer flexiblen Handhabung der Methode sprechen, kritischer wird man nach der Validität der zur Anwendung gebrachten Kriterien fragen müssen. Wenn der Vf. gleich auf der folgenden Seite formuliert: "We must emphasize here the need to distinguish between the semantic field of concord in 1 Clement and the semantic field of concord in the entire literature of antiquity that deals with this topic" (72) und aus diesem Grund den in 1Clem präsenten Begriff der philoxenia von der weiteren Untersuchung ausschließt, so scheint das eigentlich erst zu Beweisende doch schon deutlich vorausgesetzt.

Auf Grund des statistischen Befundes kommt der Vf. zu der Ansicht, dass homonoia als "cardinal term" (73) des Textes zu betrachten ist, die Konsoziation mit eirene wird als Hendiadyoin angesehen (71). Bestätigend tritt die Äußerung des Textes selbst in 1Clem 63,2 hinzu, die rückblickend ja tatsächlich beide Termini als Themenangabe ins Zentrum rückt. Die Bewertung des Begriffs stasis als Archilexem erfolgt einerseits wiederum auf Grund der Wortstatistik (in welche das stammgleiche Verb einbezogen wird), andererseits auf Grund seiner Nennung zu Beginn des exordiums in 1,1. Aus dem Gegenüber von 1,1 und 63,2 gewinnt der Vf. die Einsicht, dass die so bestimmten Archilexeme Antonyme seien. Der Plausibilität, weniger vielleicht der Herleitung, dieser Erkenntnis wird man sich schwerlich entziehen können. Freilich bietet 1Clem in Kap. 62 eine ausführlichere recapitulatio, die der Vf. bespricht (229-231), aber zu einseitig auf das Thema der Eintracht hin liest. Die Rezeptionsanweisung des Textes selbst geht über das Thema von Eintracht und Friede doch deutlich hinaus. Man wird unterscheiden müssen zwischen der hauptsächlichen pragmatischen (Mahnung zu Eintracht und Friede) und der primären referentiellen Funktion (Behandlung der in Kap. 62 genannten Themen) des Textes.

Die Untersuchung bietet dann einen Durchgang durch 1Clem unter der Fragestellung der im Zusammenhang der genannten Archilexeme auftauchenden Wörter, Wendungen und Topoi, welche politische Konnotationen haben und ihre Entsprechung in thematisch ähnlich orientierten Beispielen antiker Rhetorik finden (Inschriften und Papyri bleiben ganz unberücksichtigt). Der Vf. trägt eine Fülle von pagan-griechischem und -römischem Material (sehr unterschiedlichen Alters) bei, das zum Verständnis von 1Clem beitragen kann und deutlicher als bisher die politische Referenz zentraler Begriffe des Schreibens nachweist. Das Untersuchungsinteresse bedingt jedoch eine erhebliche Einseitigkeit, welche z. B. bei der Untersuchung des Lexems pistis (108-113) deutlich zum Konflikt führt: Denn natürlich ist auch dem Vf. deutlich, dass der Gebrauch des Lexems in 1Clem eindeutig biblisch geprägt ist (113); dennoch: "at the same time it is likely that the political use outlined above influenced his use of it" (ebd.). Der Nachweis für diese Behauptung ist ohne eine gründliche textsynchrone Untersuchung des Gebrauchs in 1Clem selbst nicht zu führen.

Sieht der Vf. so bereits wahrscheinlich gemacht, dass 1Clem insgesamt als eine symbuleutische Rede über die Eintracht zu verstehen ist, so sucht er eine weitere Bestätigung dafür in einer Strukturanalyse (Kap. 4; 205-279), welche Einsichten der Statustheorie antiker Rhetorik mit ihrer Unterscheidung von
quaestio infinita seu generalis und quaestio finita seu particularis (die Grenze zwischen beiden sieht der Vf. zwischen Kap. 39 und 40) verknüpft mit aus der modernen Linguistik (E. Gülich; W. Raible; K. Heger) entlehnten Kategorien und Methoden der Strukturanalyse. Hier erweist sich der Vf. besonders deutlich als Schüler seines Lehrers Hellholm, der solche Ansätze schon vor mehr als 20 Jahren am Hirten des Hermas erprobt hatte. Ergebnis der Analyse ist ein unter pragmatischem Aspekt überzeugender Gliederungsvorschlag für 1Clem (275- 277), der das Thema der Eintracht (und - m. E. ganz zu Recht- nicht z. B. dasjenige der Ordnung) als Hauptthema des Textes - auch der langen probatio in 4,1-61,3 - besser erkennen lässt.

Der Vf. lässt es nicht mit diesen semantischen und strukturellen Untersuchungen bewenden, sondern fragt hinter den Text zurück nach dem konkreten historischen Anlass. Dass dabei historische Wirklichkeit und textliche Repräsentanz nicht deckungsgleich sein müssen, wird zu Recht festgehalten. Wichtige Ausgangspunkte zum Verständnis des Konfliktes in Korinth sind für ihn G. Theißens Untersuchungen zur sozialen Schichtung urchristlicher Gemeinden sowie kulturanthropologische Einsichten, welche die antiken mediterranen Gesellschaften als "honor-shame-cultures" meinten bestimmen zu können. Der Konflikt um das Presbyteramt in Korinth, so der Vf., ist Ausdruck sozialer Spannungen innerhalb der Gemeinde, entstanden aus dem Streben nach Ehre analog zum Streben nach politischen Ämtern, und wird vor allem verständlich in der Struktur von Hausgemeinden, die für Korinth vorauszusetzen ist. Mag man die letztgenannte Annahme bezweifeln (ich finde kein deutliches Indiz hierfür), mag man die angeführten Indizien für das Streben nach Ehre als Ursache des Konfliktes in 1Clem als wenig zwingend beurteilen und insgesamt gründlichere Analysen der Textaussagen selbst vermissen und mag man ferner auch hinsichtlich der Beschreibung der sozialen Schichtung der Gemeinde von Korinth zur Zeit des Paulus und danach zurückhaltender sein, so ist die vorgeschlagene Interpretation doch erhellend und anregend: Sie vermag genauer als der übliche allgemeine Verweis auf den "römischen Hintergrund" von 1Clem anzugeben, warum der Text sich offensichtlich politischer Sprache bedient.

Die Studie endet mit einer Zusammenfassung (Kap. 6; 319- 326) und einem "Appendix: The Function of References to Christ in Clement's Argumentation for Concord" (327-341). Beigegeben sind eine reiche Bibliographie (343-367), aus der ich viel gelernt habe und die dankenswerterweise auch eine Anzahl gewichtiger skandinavischer Beiträge nachweist, sowie Stellen-, Autoren- und Sachregister (369-390). Die Arbeit ist in der äußeren Form sorgfältig. Lästig ist allerdings die Tatsache, dass sich Fußnoten öfter erst auf der jeweils nachfolgenden Seite finden.

Insgesamt beleuchtet die Studie den paganen Kontext von 1Clem in neuer Intensität und vermag der Diskussion um die Fragen nach Thema, Struktur und historischer Situation von 1Clem wertvolle Anregungen zu geben. Eine bemerkenswerte Dissertation!