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Ausgabe:

März/2005

Spalte:

262–265

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Römer, Thomas, Macchi, Jean-Daniel, et Christophe Nihan [Éds.]

Titel/Untertitel:

Introduction à l'Ancien Testament.

Verlag:

Genève: Labor et Fides 2004. 716 S. m. Abb. 8 = Le Monde et la Bible, 49. Kart. Euro 38,00. ISBN 2-8309-1112-1.

Rezensent:

Michaela Bauks

Einleitungen in das Alte Testament beherrschten im französischsprachigen Raum jahrzehntelang nahezu konkurrenzlos den Markt. Wenn sich die Herausgeber in der Nachfolge der 1989 in französischer Sprache erschienenen Übersetzung von R. Rendtorffs Einleitung in das Alte Testament sehen, dann ist das vollkommen berechtigt. Inzwischen vergriffen, musste Ersatz beschafft werden für das Importprodukt. Da sich die exegetische Wissenschaft seit Rendtorffs berühmtem "Nein" zur literarhistorischen Forschung seiner Zeit unterdessen einer gründlichen Revision unterzogen hat, war ein Projekt, das den aktuellen Stand präsentiert, von Nöten. Doch das eigentliche Referenzwerk, das es im französischen Raum abzulösen gilt, ist die ambitionierte und auch im deutschsprachigen Raum rezipierte Einleitung von H. Cazelles u. a. aus dem Jahre 1973, die erst kürzlich in unveränderter Fassung wieder nachgedruckt worden ist. Von ihr ist die äußere Anlage als Sammelwerk übernommen, wie sie seit der von E. Zenger herausgegebenen "Einleitung in das Alte Testament" auch auf dem deutschen Markt Einzug erhalten hat. 20 Bibelwissenschaftler aus Frankreich und der romanischen bzw. alemannischen Schweiz haben mit ihrer fachspezifischen Kompetenz zu dem Gelingen dieser Einleitung beigetragen, die sich einerseits durch ihr hohes fachliches Niveau auszeichnet, anderseits durch ihre für ein weites Publikum verständliche Sprache.

In das Textkorpus sind auch die deuterokanonischen Schriften integriert. So ist es plausibel, die Einleitung mit einem Kapitel zum alttestamentlichen Kanon beginnen zu lassen. Darin widmet sich A. de Pury nach der Darlegung von Inhalt und Struktur des hebräischen und des LXX-Kanons in einem zweiten Schritt den Ursprüngen und der Entstehungsgeschichte. Für ihn vollzog sich der Abschluss der Tora in spätpersischer Zeit als ein zur Zeit von Ptolemaios II. Philadelphos realisiertes innerjüdisches Programm (und nicht etwa als Folge einer persischen Reichsautorisation).

Es ist hervorzuheben, dass die seit 1995 von U. Rüterswörden und J. Wiesehöfer in ZAR 1 wiederholt geäußerte Kritik an dem von P. Frei und K. Koch (OBO 55, 21996) entwickelten Konzept gerade im französischsprachigen Raum breit aufgenommen worden ist, so zuletzt durch J.-L. Ska, Introduction à la lecture du Pentateuque (2000), wie auch in der vorliegenden Einleitung durch Ch. Nihan/Th. Römer (104-111), welche sich auf den Sammelband von J. W. Watts, Persia and Torah, 2001, stützen.

Trotz der Annahme eines definitiven Abschlusses der Ketubim im 1. Jh. n. Chr. in Jabne/Jamnia (zur Kritik s. aber G. Stemberger, JBTh 3 [1988], 163 ff.) schließt er für die Rabbinen einen größeren Spielraum bezüglich eines möglichen Ausschlusses umstrittener Bücher aus und versteht diese recht heterogene Sammlung als "ideale Anthologie jüdischer Literatur" (29), wie sie bereits im 2. Jh. v. Chr. vorlag. Prophetenkorpus und Ketubim hätten sich gleichzeitig ausgebildet, um die bereits kanonisierte Tora zu kommentieren (36). Folgerichtig schließen sich an die Kanonfrage Überlegungen zur Textgeschichte des Alten Testaments an. A. Schenker lässt diese bei den Problemen der Textedition einsetzten und sucht in einem ersten Gang im Alten Testament selbst nach Hinweisen auf Textedierungen (s. Jes 8, 16; Jer 36; Hab 2,2-3 etc.), die zur Veröffentlichung und allmählichen Fixierung des Textes beigetragen haben. Da der Text bis zum 1. Jh. v. Chr. trotz seiner kanonisierten Stellung noch nicht fixiert war, konnten im 2.-1. Jh. v. Chr. letzte Texteintragungen und -korrekturen vorgenommen werden (z. B. der samaritanische Pentateuch oder die in der Hexapla gesammelten Rezensionen). Erst für das 1. Jh. n. Chr. wird von einer autorisierten einzig gültigen Textfassung ausgegangen (der protomasoretische Text), die den masoretischen Texteditionen vorangeht. Als (erreichbares) Ziel der Textkritik definiert Schenker die Rekonstruktion des in Tiberias vokalisierten Textes, da die vorliegenden Quellen für eine Rekonstruktion des protomasoretischen Textes nicht ausreichen, womit eine kritische Textedition der hebräischen Bibel unangemessen wäre (45). Darüber hinaus ist die Textkritik auch auf die Rekonstruktion der älteren Versionen der LXX, der Targume sowie der Peshitta verwiesen.- Neben dem kanonischen Aspekt und dessen textlicher Darstellung ist auch die materielle Umsetzung der Literaturproduktion kurz behandelt anhand der Übersetzung eines Kapitels aus E. A. Knauf, "Die Umwelt des Alten Testaments" (1994), in welchem die Voraussetzungen von Schrift, Schulwesen, Bildung und deren soziologischen Rahmenbedingungen dargelegt sind.

Auf den 60-seitigen Einleitungsteil folgen vier Großabschnitte: Pentateuch, Propheten, Schrifttum und deuterokanonisches Schrifttum. Den Darstellungen zum Pentateuch und zur prophetischen Literatur stehen umfassendere Einleitungen voran, die vor allem auf übergreifende redaktionsgeschichtliche Probleme eingehen. Th. Römer eröffnet den Reigen mit einer Darstellung der Pentateuchforschung aus dem Blickwinkel der Quellentheorie, ihrer Kritik und ihrer Renaissance in den 90er Jahren. Mit Ch. Nihan zusammen gibt er einen Überblick zur aktuellen Debatte nach folgenden Aspekten (67-113): Umfang und Charakter der vorpriesterlichen Pentateuchtexte; neueste Tendenzen in der Priesterschriftforschung; Hexateuchfrage; Entstehung des Pentateuchs in persischer Zeit (die Vf. gehen von einem zeitlichen Nebeneinander der beiden Kompositionen in persischer Zeit aus; 108). Den Darstellungen der Bücher der Vorderen Propheten steht ein Abriss zur "deuteronomistischen Geschichte" (Th. Römer) voran. Er stellt in knappen Zügen die Forschungslage dar und legt eine kurze Skizzierung der Geschichte der deuteronomistischen Schule in neuassyrischer, babylonischer und persischer Zeit vor (234-250), welche das Nothsche Modell eines DtrG durch ein Fortschreibungsmodell ablöst. J. Vermeylen leitet die einzelnen Schriftpropheten ein mit einem übergreifenden Kapitel zu den literarischen Gattungen in den Prophetenbüchern, anhand derer das Proprium dieser Literatur dargelegt wird (312-317). Dem schließt sich eine kurze Darstellung der Entstehungsgeschichte der Schriftprophetie aus redaktionsgeschichtlicher Sicht an, die K. Schmid paradigmatisch anhand des Jeremiabuches beschreibt (318-328). Leider fehlen derartige methodologisch geprägte Eingangsabschnitte für den dritten und vierten Teil. Es wären z. B. einige formgeschichtliche Anmerkungen zu den poetischen Texten durchaus wünschenswert gewesen. Auch der Einzug der Redaktionsgeschichte sowie der Kompositionskritik innerhalb der neueren Psalmenforschung hätten durchaus mehr Beachtung verdient. So fehlt in dem bibliographischen Anhang etwa die im frankophonen Kontext äußerst bedeutsame forschungsgeschichtliche Studie von J.-M. Auwers, La composition littéraire du psautier. Un état de la question (CRB 46), Paris 2000, die die neuen Forschungstendenzen auch für die frankophonen Leser gut aufarbeitet.

Es versteht sich von selbst, dass neben diesen instruktiven Einführungskapiteln der überwiegende Textbestand für die Darstellung der einzelnen Bücher reserviert ist. Die gleichbleibende Struktur der Kapitel ist an folgenden Fragestellungen orientiert: 1) Inhalt eines Buches und seine Komposition; 2) sein Verfasser bzw. Redaktor; 3) die (historische) Zeit, in der sich die beschriebenen Ereignisse zutragen; 4) die Quellen und Traditionen, die der literarischen Darstellung zu Grunde liegen; 5) Adressatenfrage; 6) Besonderheiten der literarischen Form. Diesen Fragen wird de facto in vier Unterabschnitten nachgegangen: a) Komposition und Inhalt, Darlegung der synchronen Strukturen eines Buches; b) Herkunft und Entstehung, Rekonstruktion der diachronen Entwicklung; c) Themen und Gehalte; d) bibliographische Angaben mit den gängigen Kommentaren und Untersuchungen, die die derzeitigen Forschungspositionen zusammenfassend darstellen (unter besonderer Berücksichtigung der französischsprachigen Literatur).

Zu Gunsten einer leserfreundlichen Darstellung ist auf Fußnoten und Literaturdiskussionen weitgehend verzichtet worden. Hier und da sind Namen in Klammern angefügt, damit mittels der Literaturlisten die verhandelte Position bibliographisch rückerschlossen werden kann. Didaktisch wertvoll sind die Tabellen und Kompositionsskizzen, die den jeweiligen Buchaufbau wiedergeben. Angeregt wird die Lektüre durch zahlreiche Abbildungen, die den Lebensalltag und historische Ereignisse illustrieren. Eine chronologische Tafel (687-697), zwei Karten und ein Glossar mitsamt einem Abbildungs- und einem Abkürzungsverzeichnis runden das Buch ab.

Im Unterschied zu der von H. Cazelles herausgegebenen Einleitung, die noch versuchte, Geschichte Israels, Archäologie, Epigraphik und Literaturgeschichte zu einer Synthese zusammenzufügen, haben sich die Herausgeber dieses Werkes darauf beschränkt, das Phänomen von Bibel als Literatur aufzuarbeiten. Angesichts der Schwierigkeiten, die Literaturgeschichte von einem Autorenteam einheitlich und verständlich aufzubereiten, ist dabei hervorragende Arbeit in dreifacher Hinsicht geleistet worden. Erstens liegt endlich wieder eine französischsprachige Einleitung vor, die der aktuellen weitverzweigten Forschungslandschaft Rechnung trägt und den internationalen Ansprüchen entspricht. Ihr ist es zweitens gelungen, die aktuelle literarhistorische Forschung für frankophone Leser und Leserinnen zu übersetzen und aufzubereiten. Und dank der klaren und plausiblen Struktur dürfte es dem vorliegenden Werk gelingen, die immer noch hörbaren polemischen Stimmen gegen "die" historisch-kritische Arbeitsweise zu besänftigen. Drittens handelt es sich um eine Einführung, die einigen Besonderheiten des frankophonen Kulturraumes Rechnung trägt und zwischen kulturellem Import aus dem angelsächsisch-germanophonen Bereich und den in den frankophonen Ländern vorherrschenden Debatten zu vermitteln versteht.

Es scheint mir bedeutsam zu sein, dass in einer Forschungslandschaft, in der sich in der Bibelexegese der letzten 50 Jahre Strukturalismus, Semiotik und Narratologie abgelöst haben und "die" historisch-kritische Forschung zu verdrängen suchten, die verstärkt der synchronen Textstruktur verpflichtete und somit methodisch anknüpfungsfähigere Einleitung von R. Rendtorff das literarhistorische Interesse keineswegs erlahmen ließ. An diesem Punkt knüpft die neue Einleitung vor allem an das von H. Cazelles edierte Buch an und wird sich als dessen würdige Nachfolgerin erweisen. Sie wird gewährleisten, dass historisch-kritische Forschung im akademischen Unterricht und darüber hinaus weiterhin und in adäquater Weise zu ihrer Geltung kommt.