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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

223–225

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dahling-Sander, Christoph, Schultze, Andrea, Werner, Dietrich, u. Henning Wrogemann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Leitfaden Ökumenische Missionstheologie. Hrsg. unter Mitarbeit v. K. Schäfer.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2003. 580 S. 8. Kart. Euro 29,95. ISBN 3-579-05395-7.

Rezensent:

Volker Stolle

Ein Kreis von Forschenden und Lehrenden aus der jüngeren Generation, der sich im Umkreis der "Arbeitsgemeinschaft Ökumenische Forschung" (AÖF) zusammengefunden hat, verfolgt gleichsam selbst ein missionarisches Ziel, indem er nicht nur eine "niedrigschwellige akademische Publikation" mit grundlegenden Informationen zum gegenwärtigen Stand der Missionstheologie in ihrem ökumenischen Horizont vorlegt, sondern zugleich "ein lebendiges und in bestimmten Fragen auch leidenschaftlich engagiertes und parteiliches aktuelles Werk" (13), um mit diesem Plädoyer für ein dialogfähigeres und missionarisches Profil der Kirche sowie für eine eigenständige Stellung der Missionstheologie im Fächerkanon der theologischen Wissenschaft zu werben. Das Konzept verbindet also bewusst sehr unterschiedliche Zielsetzungen.

Überblickartig führen 32 in sich geschlossene, kundige und aktuelle Aufsätze in einzelne Aspekte ein (jeweils durch eine Literaturauswahl abgeschlossen); sie fußen vorwiegend auf institutionellen Quellentexten. Auf alle diese Beiträge einzeln einzugehen, fehlt hier der Raum. In lockerer Weise sind sie zu fünf Gruppen zusammengefasst: "Mission in Geschichte und Wissenschaft", "Konfessionelle Profile der Mission", "Mission, Dialog und Religionen", "Mission, Partnerschaft und Globalisierung" und "Mission in den Kontexten der Welt". Es schließt sich ein sechster Teil an: "Literatur, Adressen und Institutionen zum Studium der Missionstheologie". Dem Leitfaden fehlen jegliche Register - ein bedauerlicher Mangel gerade bei diesem Buchtyp.

Obwohl Henning Wrogemann die Verbindung von "Theologie und Wissenschaft der Mission" umfassender in dem übergreifenden Horizont der Hermeneutik sieht (17-31), bestimmt den ersten Themenbereich doch die Beschäftigung mit der Missionsgeschichte. Reinhard Achenbach hebt in seinem instruktiven Überblick "Mission in biblischer Perspektive" heraus, wie die Mission des Neuen Testaments "im Kontinuum zu den eschatologischen Perspektiven der heiligen Schriften Israels" steht (32-50). Andreas Feldtkeller zeigt, dass die "Missionsgeschichte als ökumenische Kirchen- und Religionsgeschichte" Teil eines größeren Ganzen ist (51-62). Der Frage der Missionsgeschichtsschreibung widmen sich die Beiträge von Thorsten Altena zu "Methoden und Quellen heute" (63-78), von Frieder Ludwig in der Fallstudie "Mission und Kolonialismus" (79-96) und von Andrea Schultze über "neuere, interdisziplinäre Ansätze" (97-110).

Im Themenbereich der konfessionellen Profile stellt zunächst Anastasios Yannoulatos das missionarische Wirken der Orthodoxen Kirchen dar (113-129). Dann nimmt Giancarlo Collet "zum Missionsverständnis der römisch-katholischen Kirche" Stellung (130-143). Den Vorgang der Integration der Missionsgesellschaften in die protestantischen Landeskirchen beleuchtet Kai Funkschmidt (144-163). Über das Missionsverständnis im freikirchlichen Baptismus und Methodismus informiert Michael Kißkalt (162-177). In die evangelikale Missionsbewegung mit ihren theologischen Konzepten führt Bernd Brandl ein (178-199) und in die Mission der Pfingstbewegung Michael Bergunder (200-219). Der Beitrag "Mission im Ökumenischen Rat der Kirchen und in internationalen ökumenischen Organisationen" von Jacques Matthey (220-244) schließt diese Gruppe ab; hier kommt auch das reformierte und das lutherische Profil noch in den Blick. Insgesamt sind diese Selbstvorstellungen informativ, setzen sich aber nicht kritisch mit dem Problem der konfessionellen Vielfalt als solchem auseinander. Der Anspruch einer "ökumenischen" Missionstheologie wird auf diese rein additive Weise noch nicht eingelöst.

Eine weit größere innere Geschlossenheit weist die nächste Abteilung "Mission, Dialog und Religionen" auf. Auf den grundsätzlichen Beitrag von Christine Lienemann-Perrin über die Formen interreligiöser Begegnung (247-259) folgen die Berichte über den christlich-jüdischen Dialog von Uwe Gräbe (260-273), den christlich-islamischen Dialog von Hans-Christoph Goßmann (274-286), die zunehmende Präsenz nichtchristlicher Religionen in Deutschland von Ulrich Dehn (287- 299) und das Phänomen des religiösen Fundamentalismus von Klaus Hock (300-315). Die Weltanschauungen und Neureligionen bleiben außen vor.

Der vierte Themenbereich behandelt die missionarischen Herausforderungen durch die globalen gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Beteiligung der Mission an der Entwicklungshilfe analysiert Wolfgang Gern (319-333). Lothar Bauerochse beschreibt die Bedeutung ökumenischer Partnerschaften (334- 344). Wolfram Stierle sucht in der facettenreichen Erscheinung der Globalisierung die Rolle der Mission auf (345-362). Claudia Währisch-Oblau macht auf die Erweiterung des kirchlichen und missionarischen Spektrums in Deutschland durch Zuwanderung von Christen aus dem Ausland aufmerksam (363-383). Es folgt eine Einführung in die Aufgaben der interkulturellen Seelsorge von Gisela Groß (384-403). Das Problem der Gewalt und ihrer Überwindung behandelt Gerdi Nützel (404-419). Die Rolle der Frauen in der Mission untersucht Katja Heidemanns (420-437). Beate Jakob weist auf Heilung als eine wesentliche Dimension der Mission hin (438-454).

Der letzte Kreis von Beiträgen widmet sich der Entwicklung des Missionsverständnisses in den einzelnen Kontinenten. Für Afrika unternimmt dies Markus Roser (457-475), für Asien Klaus Schäfer (476-499), für Lateinamerika Christoph Dahling-Sander (500-518), für Nordamerika Richard Bliese (519- 531), für Europa (KEK) Viorel Ionita (532-544) und für Deutschland Dietrich Werner (545-561). Damit mündet der Leitfaden in die Darstellung einer Mehrzahl kontextueller Missionstheologien, nicht einer umfassend ökumenischen.

Die fünf Themenbereiche bilden keine geschlossene Systematik der Missionstheologie. Vor allem vermisst man in einem derart programmatisch gemeinten Werk grundlegende Ausführungen darüber, was unter Mission verstanden wird, insbesondere eine theologische Ortsbestimmung, wie sie sonst etwa in der Verankerung in der missio Dei gesucht wird und die das Verhältnis zwischen religionsphänomenologischer und theologischer Sicht klären könnte. Ebenso treten praktische Reflexionen zurück. Nicht thematisiert werden missionarischer Lebensstil, missionarische Aktivitäten (einschließlich Verkündigung) und deren Mittel (nicht einmal Bibelübersetzung, -verbreitung und -leseweisen finden Erwähnung; vgl. aber die Literaturhinweise S. 50) oder auch das Phänomen der Bekehrung. Markante Ausnahmen bilden die eingehende Vorstellung der neuen Praxisfelder ökumenischer Partnerschaften und interkultureller Seelsorge.

Gewiss kann der vorliegende Leitfaden Interesse für vielerlei Erscheinungen und Probleme im Bereich der Mission wecken. Eine stärkere Profilierung der Missionstheologie wird von ihm kaum schon zu erwarten sein. Als eine Hermeneutik der Begegnung mit dem Fremden in mir und außerhalb von mir ließe sich Theologie überhaupt beschreiben (Gott als der Fremde schlechthin). Um welche Grenzerfahrungen geht es speziell bei Mission? Wie verhalten sich die Begegnungen mit kulturellen und religiösen Andersartigkeiten zu den Grenzbewegungen zwischen Glaube und Unglaube? Auch hier müsste eine ökumenische Missionstheologie wohl Profil zeigen.