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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

219–223

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

1) Bammann, Heinrich 2) Gremels, Georg [Hrsg.] 3) Harms, Hartwig F. 4) Müller, Reinhart 5) Müller, Reinhart

Titel/Untertitel:

1) Inkulturation des Evangeliums unter den Batswana in Transvaal/Südafrika. Am Beispiel der Arbeit von Vätern und Söhnen der Hermannsburger Mission von 1857-1940.

2) Eschatologie und Gemeindeaufbau. Hermannsburger Missionsgeschichte im Umfeld lutherischer Erweckung.

3) Träume und Tränen. Hermannsburger Missionare und die Wirkungen ihrer Arbeit in Australien und Neuseeland.

4) Hermannsburger in Lateinamerika. Vom Dienst Hermannsburger Missionare und ihrer Frauen in Gemeinden und Kirchen Südamerikas 1898-1998.

5) Die vergessenen Söhne Hermannsburgs in Nordamerika. Vom Dienst Hermannsburger Pastoren und ihrer Frauen an deutschen Auswanderern in Nordamerika 1864-1912. M. e. Geleitwort v. W. Bienert.

Verlag:

1) Nürnberg: Verlag für Theologie und Religionswissenschaft 2004. 348 S. m. 5 Abb. u. Ktn. 8 = edition afem. mission academics, 17. Kart. Euro 19,80. ISBN 3-937965-05-X.

2) Hermannsburg: Ludwig-Harms-Haus 2004. 203 S. 8 = Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-Luth. Missionswerkes in Niedersachsen, 12. Kart. Euro 10,00. ISBN 3-937301-28-3.

3) Hermannsburg: Ludwig-Harms-Haus 2003. 307 S. m. zahlr. Abb., Ktn. u. Tab. 8 = Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-Luth. Missionswerkes in Niedersachsen, 10. Kart. Euro 17,00. ISBN 3-937301-26-7.

4) Hermannsburg: Ludwig-Harms-Haus 2003. 276 S. m. Abb. 8 = Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-Luth. Missionswerkes in Niedersachsen, 8. Kart. Euro 14,00. ISBN 3-937301-119.

5) Hermannsburg: Ludwig-Harms-Haus 1998. 199 S. m. Abb. u. Ktn. 8 = Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-Luth. Missionswerkes in Niedersachsen, 7. Kart. Euro 10,00. ISBN 3-937301-04-6.

Rezensent:

Jobst Reller

Pastor Ludwig Harms (1808-1865) begründete 1849 die Hermannsburger Missionsanstalt als Seminar der Norddeutschen Missionsgesellschaft, die sich allerdings 1850 aus finanziellen Gründen von der Ausbildung trennte, so dass eine eigenständige Mission entstand. Die 1853 ausgesandten Missionare begannen a) die Arbeit unter Zulu und Tswana in Südafrika. Im Jahr 1865 wurden Missionare nach b) Indien, c) Australien und Neuseeland ausgesandt. Unter Pastor Theodor Harms (1865- 1885) trat d) die Ausbildung von Pastoren für Auswanderer vor allem in Nord- und Südamerika als neue Aufgabe hinzu.

In dem von Georg Gremels herausgegebenen Sammelband (leider ohne Register) finden sich Vorträge von Ludwig-Harms-Symposien 1992-2002, die sich vor allem mit Ludwig Harms und seinem Umfeld befassen: Philipp Spitta, Ludwig Adolf Petri, Wilhelm Löhe, Karl Graul, August Mylius oder auch unter systematischen Gesichtspunkten einzelne Fragen fokussieren: die Eschatologie, die Ekklesiologie, insbesondere die Gemeinde als Trägerin von Mission. Zwei Beiträge beleuchten spätere Arbeitsfelder: die Übergabe der Indienarbeit an die lutherische Ohiosynode (Hugald Grafe) und Äthiopien (Ernst Bauerochse).

Drei Beiträge sollen hier herausgegriffen werden: Alf Christophersen, Privatdozent für systematische Theologie, geht in "Eschatologie - Apokalyptik - Mission: Ludwig Harms auf den Spuren seines Lehrers Friedrich Lücke" nach (56-74). Lücke, 1827-1855 Professor in Göttingen und Lehrer von Ludwig Harms 1828-1830, ist der Begründer der modernen Forschung zur Apokalypse des Johannes, die als das biblische Buch der Erweckungsbewegung angesprochen werden kann: Bei aller Scheidung wird zwischen Lehrer und Schüler doch eine sachliche Nähe in der apokalyptischen Begründung der Mission deutlich: Mission ist weltgeschichtlicher Akt vor dem Weltende. Der Hildesheimer Religionswissenschaftler Hugald Grafe (75-83) geht Ludwig Harms Äußerungen zur Apokalypse koreferierend nach. Sie sind Teil der für den Kern der Erweckten bestimmten Mittwochspredigten: In Anlehnung an Zinzendorf ist Mission ein weltgeschichtlicher Akt vor dem Weltende, vor allem jedoch Vorwärtsstrategie einer im Stammland Rückhalt verlierenden Kirche, aber nie aktiv betriebene Flucht in die Heidenwelt.

Grundsätzlich missionstheologisch handelt der frühere Erlanger Missionswissenschaftler Hermann Brandt "Über den Beitrag lutherischer Mission zum Gemeindeaufbau: Mission als nota ecclesiae" (19-44) und sieht hier drei Felder ökumenischen Lernens: 1. sich durch Einbeziehung ökumenischer Partner in Visitation und Synode die sichtbare Außenseite von Kirche im Sinne praktischer christlicher Lebensgestaltung bewusst machen zu lassen, 2. die Sakramente und 3. die Liturgie als geistliche Zentren wert zu achten.

Nach der Überblicksdarstellung, herausgegeben von Ernst August Lüdemann: Vision - Gemeinde weltweit, Hermannsburg 2000, liegt jetzt eine Reihe von Studien vor allem zur Anfangszeit der Hermannsburger Mission vor, die nach den Wirkungsgebieten vorgestellt werden sollen.

a) Nach den Arbeiten von F. Hasselhorn (1988), W. Proske (1989) und A. Mignon (1994) legt H. Bammann, langjähriger Missionar unter den Batswana, nun eine weitere Studie vor, in der er Missionsgeschichte und Missionswissenschaft zu verbinden versucht und die 2002 als Dissertation an der UNISA in Pretoria/Südafrika angenommen worden ist. Kern der Arbeit sind auf Quellen der Archive in Hermannsburg und Südafrika fußende biographische Studien zu drei Hermannsburger Missionarsfamilien: den Jensens unter den Bafurutshe, den Behrens unter den Bagopa von Bethanie und den Penzhorns unter den Bakofeng im Zeitraum von 1863 bis zum Ersten Weltkrieg (in Ausblicken 1940; 42-260). Dargestellt wird jeweils nach dem Schema: religionssoziologische Bedingungen, historischer Verlauf und Anknüpfung an Übergangsriten. Hier findet sich eine Fülle von interessanten Details zur Urgeschichte der betreffenden Stämme, aber auch zu einem historischen Profil von Hermannsburger Arbeit, z. B. der frühen Beschäftigung mit der Tswanakultur in den Missionskonferenzprotokollen der 1860er Jahre oder der kompromisslosen Ablehnung der Vielehe als Verstoß gegen das 6. Gebot. Zumindest in der Anfangszeit hat sich diese kompromisslose evangelische Biblizität in anderer Hinsicht auch als Stärke ausgewirkt, wie Fritz Hasselhorn gezeigt hat: Gal 3,28 ließ die Behandlung der einheimischen Schwarzen durch die Buren 1855 sehr fraglich erscheinen, bevor sich die Hermannsburger ihrerseits inkulturierten und burischen Wertungen zumindest nicht mehr widerstanden. Die Nähe von Mission und Kolonisierung wird kritisch vermerkt (264). Die Diskussion mit der gegenwärtigen Missionstheologie ist nur ansatzweise geführt und zu sehr von der eigenen Frage (298 ff.) präjudiziert, wie "imperative" und nicht nur "indikative" Struktur von Mission gewahrt bleiben kann im Kontext von Partnerschaft und Dialog. Darstellung und Schlussfolgerung bleiben zumeist summarisch, was den Verdienst einer solch territorialgeschichtlichen Studie nicht mindert.

b) Joachim Lüdemann hat in seiner voluminösen Göttinger Dissertation von 2001 (Prof. Dr. Martin Tamcke, vgl. die Rezension von M. Bergunder Sp. 224) zwei umfangreiche Quellenbestände zu einem Hermannsburger Missionar aufgearbeitet, August Hermann Mylius ( 1887), und zwar die Briefe aus seiner Zeit als Missionar in Tamil Nadu 1846-1851 im Dienst der Dresdner Mission (Archiv der Leipziger Mission in Leipzig) und 1864-1887 im Dienst der Hermannsburger Mission in Süd-Andhra (Archiv des ELM in Hermannsburg). In die Zeit als Dresdner Missionar fällt die interessante Zusammenarbeit mit dem in Basel ausgebildeten Schweden Glasell (nach der Entlassung Militärpfarrer in Göteborg und Promotor des Missionsvereins ebd.), der einerseits als eine Art christlicher Sannyasi lebt durch Kleidung, Ernährung und Askese, andererseits liturgisch im Sinne der anglikanischen High-Church-Bewegung amtiert. Mylius hält auch in der Hermannsburger Zeit am Ideal der Ehelosigkeit fest. Die Zeit als Seelsorger am Frederikenstift und im Gerichtsgefängnis Hannover von 1851-1864 lässt sich quellenmäßig nur im Überblick darstellen. Dass Mylius offenbar früh Kontakte nach Hermannsburg unterhielt und möglicherweise mit hinter dem von Harms errichteten Asyl für entlassene Strafgefangene stand, wäre hier zu ergänzen. Der so genannte Leipziger Kastenstreit hat auch für die Hermannsburger Arbeit in Indien Auswirkungen: Der norwegischstämmige Missionar Jens Dahl muss auf Mylius' Anraten gehen, als er für die Mission unter Brahmanen beim Abendmahl Rücksicht auf die Kaste nehmen will. Andere Konfliktpunkte wie die autoritäre Führung der Hermannsburger Mission, die Abendmahlsgemeinschaft mit dänischen lutherischen Missionaren kommen hinzu. Die strikt biblisierende Art der frühen Hermannsburger Missionarsgeneration kommt hier, verstärkt durch Missionsdirektor Theodor Harms, zum Tragen. Mylius, insofern untypisch für Hermannsburger Verhältnisse als er Theologie studiert hatte, ist dann doch wieder typisch für die Generation der ersten Missionare: ein treuer Arbeiter mit bibeltreuen Maßstäben ohne Interesse an theologischer Reflexion der Mission. Nichtsdestotrotz bietet Mylius' Geschichte Material für missionstheologische Reflexion in Fülle.

c) Hartwig F. Harms schildert die Hermannsburger Arbeit in Australien und Neuseeland nach den Quellen im Archiv des ELM und in Australien. 1860 baten deutsche Siedler die altlutherische Breslauer Kirchenleitung um Missionare für Australien, die auf Ludwig Harms verwies. 1862 bat der ehemalige Missionar der Norddeutschen Missionsgesellschaft Heine den ihm aus der Seminarzeit 1837-1842 bekannten Harms um Missionare für Neuseeland. Zunächst schildert der Vf. die Vorgeschichte mit der Arbeit von Dresdner und Herrnhuter Missionaren - von Anfang an mit einem humanitären Interesse, um die von Siedlern bedrängten Aborigines zu schützen. Die Hermannsburger treiben ab 1866 die Arbeit unter den Dieri zunächst am Kilalpannina See fort, bis die Arbeit im Zweiten Weltkrieg abbricht. Gegen die Thesen von Christine Stevens und Heidi Kneebone betont der Vf., dass die Missionare dem heute desintegrierten Volk der Dieri in der Auseinandersetzung mit den Siedlern eine Atempause verschafften, wenn sie auch nicht Überlebensmöglichkeiten und neue Identität schaffen konnten (93 f.). Angesichts der Schwierigkeiten unter den Dieri entschloss sich die Missionsleitung, eine neue Arbeit in Zentralaustralien zu beginnen. Dies geschah 1877 in der neu gegründeten Station Hermannsburg am Finkeriver. Missionar Hermann Kempe verfasst dort eine Grammatik der Aranda-Sprache. In einer Krise 1890 erweisen sich die Missionare als die, die öffentlich darauf aufmerksam machen, dass Siedler und Viehbesitzer die Aborigines im Landesinnern auszurotten suchen, so dass eine Untersuchungskommission entsandt wird. Auch die Aranda passen sich dann an. 1893/4 wird die Arbeit an die australische Immanuelsynode übergeben. 1944 kommt es zur Übersetzung des Neuen Testaments in die Arandasprache. Mit den Gesetzen, die die Situation der Aborigines nach 1960 verbessern, kommt es zur Selbständigkeit von Ntaria und einer einheimischen Kirchbildung. Hier gelingt Bewahrung einheimischen Volks- und Christentums. Zwischen 1875 und 1885 wurde die Arbeit unter den Maori Neuseelands begonnen. 1910 bzw. 1919 hört die Arbeit auf. Die Mission unter den Maori bleibt Episode. Eine Fülle von historischen Fotos, instruktive Karten und Biogramme der ehemaligen Mitarbeiter schließen den sehr sorgfältig gearbeiteten Band ab.

d) Dem früheren Missionsdirektor und Kenner Nord- und Südamerikas Reinhart Müller gebührt der Verdienst, die Spuren von in Hermannsburg ausgebildeten Pastoren zusammengetragen zu haben. Neben die Missionsgeschichte im engeren Sinn tritt dabei die in der Erweckungsbewegung oft mitgesetzte Diasporaarbeit. Nach den überblicksartigen Darstellungen im schon erwähnten Jubiläumsband folgt hier die systematische Darstellung nach den Quellen. Neben Archiven in Amerika wurde das Archiv des ELM mit Lebensläufen und Briefen ausgewertet, ebenso wurden die publizistischen Organe der deutschen Auswanderer (z. B. "Daheim und Draußen") auf mögliche Nachrufe durchgesehen. 172 Biogramme nebst 15 weiteren Pastoren, von denen nur der Name blieb, belegen für die Zeit von 1864-1912 einen beachtlichen Einfluss in deutschsprachigen lutherischen Gemeinden Nordamerikas, gegenüber dem die 1898 beginnende Entsendung nach Südamerika mit 54 Biogrammen abfällt. Die Briefe spiegeln das Hermannsburger Profil: die Hochschätzung von Gottesdienst, Abendmahl und Seelsorge, die Treue zu Schrift und Bekenntnis, die Kirchenzucht, das Engagement im Sammeln der Gemeinde (Bd. 7, 46-55). Bd. 8 (Lateinamerika) bietet demgegenüber eine Kurzdarstellung lutherischer Kirchengeschichte in Brasilien (9-55) für die Zeit von 1898-1968. In einem zweiten Teil wird die Entwicklung in Lateinamerika, einem eigenen Arbeitsfeld der Hermannsburger Missionsanstalt und dann auch des ELM, nach 1959 beschrieben (57-230). 2005 wird in der Reihe "Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-Luth. Missionswerkes in Niedersachsen" eine weitere Studie erscheinen: Ernst Bauerochse, Umwege ins Oromoland. Hier wird aus den Quellen die Arbeit in Äthiopien ab 1927 mit ihrer Vorgeschichte nachgezeichnet.

Eine grundsätzliche Kritik bleibt, die allerdings eher eine zukünftige Aufarbeitung der Missionsgeschichte in die Pflicht nimmt: die Beschränkung auf die Arbeit einer Missionsgesellschaft und ihres Wirkungskreises und das fast vollständige Übersehen der Arbeit anderer Gesellschaften im gleichen Gebiet. Kirchengeschichte als Geschichte der im Namen Jesu Christi versammelten Christen in Ort und Zeit ist erst noch zu schreiben, setzt aber Missionsgeschichte auch in perspektivischer Beschränkung voraus. Wichtige Detailforschung ist vorbereitend geleistet. Johannes Launhardts demnächst im LIT-Verlag erscheinende ethnologische Dissertation (Universität Hamburg 2004) ist an diesem Punkte vorbildlich, insofern als für den Bereich der Zentralsynode der Mekane-Jesus-Kirche in Addis-Abeba/Äthiopien die Kirchwerdung nach 1960 über die Grenzen des Wirkens einer Missionsgesellschaft hinaus nach den Quellen dargestellt wird.

Hermannsburger Arbeit zeichnet sich durch ein traditionelles Profil lutherischer Kirchlichkeit aus. Die besprochenen Bücher schildern eine Fülle solcher Pastoralbiographien, die diesen immer schon vorgegebenen Impuls in Treue zu Schrift und Bekenntnis in ganz unterschiedliche Kontexte eingebracht und Gemeinde sowie letztlich auch Kirche mitgebildet haben. Wie diese Biblizität etwa von Gal 3,28 in Konkurrenz zu Rassen- oder Kastentheorien treten konnte, wurde zwar angedeutet, eine missionstheologische Reflexion jedoch findet sich kaum.