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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

646 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klek, Konrad

Titel/Untertitel:

Erlebnis Gottesdienst. Die liturgischen Reformbestrebungen um die Jahrhundertwende unter Führung von Friedrich Spitta und Julius Smend.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996. 335 S. m. 2 Abb. gr.8 = Veröffentlichungen zur Liturgik, Hymnologie und theologischen Kirchenmusikforschung, 32. Kart. DM 88,-. ISBN 3-525-57169-8.

Rezensent:

Hanns Kerner

In seinem ein interessantes Kapitel deutscher evangelischer Liturgiegeschichte erhellenden Buch führt Konrad Klek in das Werk und die Wirkungen der beiden Leitfiguren der liberalen Gottesdienstkonzeption um die Jahrhundertwende von 1880-1930 ein. Friedrich Spitta (1852-1924) und Julius Smend (1857-1930) werden samt ihres Kommunikationsorgans, der Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst in einem ersten Teil historisch eingeordnet und ihre liturgische Grundkonzeption vorgestellt (13-131). Dabei wird nachgezeichnet, wie beide "die theozentrische Dimension des Gottesdienstes in der Polarität von Gebet und Betrachtung ..., die soziale Dimension im Spannungsfeld von versammelter Gemeinde und Individuum ..., die Zeitdimension im Ineinandergreifen von Geschichte und Gegenwart ... und schließlich die konkrete Gestaltproblematik im Gegenüber von Kultur und Kunst ..." (63) erfassen. Beide streben eine lebendige Einheit des Gottesdienstes an, die diesen Polaritäten Rechnung trägt. Zentral für die Gottesdienstkonzeption von Smend und Spitta ist - wie bereits der Titel des Buches andeutet - das "Erlebnis Gottesdienst" (vgl. bes. 57 ff.), bei dem Gottesbegegnung und Gemeinschaftserfahrung ineinander verwoben sind.

In einem zweiten Teil (137 ff.) entwirft K. ein anschauliches gesellschafts- und kirchenpolitisches Bild um die Jahrhundertwende, in das er das gottesdienstliche Schaffen Spittas und Smends einzeichnet und dabei sowohl die Zeitgemäßheit als auch die Zeitbezogenheit ihrer Konzeption veranschaulicht. Breiten Raum nimmt dabei die Analyse ihrer Aussagen zu Deutschtum und Nationalismus ein. Hier wird sehr plastisch verdeutlicht, wie stark beide in ihrer Zeit verhaftet waren. Ihr Werk rechnet K. dem Phänomen "Kulturprotestantismus" zu, obwohl ihr Festhalten an dem Leitbild Gottesdienst nicht gerade dessen Charakteristikum darstellt.

Den breitesten Raum nimmt in diesem Teil die Betrachtung des theologiegeschichtlichen Umfeldes von Spitta und Smend ein. Neben Albrecht Ritschl, Otto Baumgarten, Paul Drews und Friedrich Niebergall wird vor allem Friedrich Schleiermacher zu beiden in Beziehung gesetzt. Sehr differenziert geht K. dabei mit der These um, daß Spitta und Smend "die konsequentesten Rezipienten von Schleiermachers Kultustheorie, ja gleichsam deren Vollstrecker [seien], indem nun zum ersten Mal in der praktischen Gottesdienstgestaltung tatsächlich umgesetzt wird, was Schleiermacher postulierte ..." (208).

Die zeitgenössische Auseinandersetzung mit Spitta und nach dessen Tod vor allem mit dem Werk Smends in den 20er Jahren bildet den Abschluß dieses Teils. Das schwierige Verhältnis zur hochkirchlichen Bewegung wird dabei ebenso beleuchtet wie die mannigfaltige Kritik aus den verschiedenen theologischen Lagern. In unterschiedlicher Weise übten Vertreter der Lutherrenaissance wie der dialektischen Theologie oder der Gemeinschaftsbewegung fundamentale und oft polemische Kritik (249ff.), die manche Schwächen der Konzeption des "Erlebnis Gottesdienst" aufzeigt, oft aber auch über das Ziel hinausschoß.

In seinem dritten, recht knapp gehaltenen Hauptteil stellt K. das Gottesdienstkonzept Smends und Spittas auf den Prüfstand der heutigen liturgischen Entwicklungen. Unter den Stichworten "Feier der Gemeinde", "Gebet" und "Zeugnis" weist er die bleibenden Denkanstöße und Grundsätze aus der Konzeption der beiden auf, kritisiert Unzureichendes und zeigt Weiterführendes auf (275 ff.). Inwieweit allerdings die von K. übernommene Parole Smends "Nicht landeskirchlicher, sondern Gemeindegottesdienst" angesichts der derzeitigen pluralen evangelischen Gottesdienstlandschaft weiterhilft, ist zweifelhaft. Überhaupt liegt in der unzureichenden Verarbeitung der heutigen liturgischen Diskussion eine Schwäche der Arbeit K.s (vgl. 284 ff.). Auch dort, wo er sich Geschichtsdeutungen Smends und Spittas aneignet, wie etwa bei der Darstellung der liturgietheologischen und -politischen Situation des 19. Jahrhunderts (vgl. bes. 39), muß Kritik ansetzen. Das soll allerdings die liturgiewissenschaftliche Forschungs- und Reflexionsleistung nicht schmälern. Beeindruckend ist an vielen Punkten das ausgewogene Urteil des Verfassers. Zum weiteren Nachdenken und zur konstruktiven liturgischen Diskussion regt auch an, wie K. am Ende der Arbeit Smends und Spittas Anliegen in aktuelle Fragestellungen einfließen läßt, Perspektiven öffnet und die Sachfragen weiterführt.