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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

205–207

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Gerhards, Albert, u. Benedikt Kranemann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christliche Begräbnisliturgie und säkulare Gesellschaft.

Verlag:

Leipzig: Benno-Verlag 2002. VIII, 345 S. m. Tab. 8 = Erfurter Theologische Schriften, 30. Kart. Euro 16,00. ISBN 3-7462-1570-6.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Der Tagungsband gibt einen guten Einblick in die Problemlagen, denen sich die römisch-katholische Kirche wie die evangelischen Kirchen ausgesetzt sehen, wenn es darum geht, über das Verhältnis von Begräbnisliturgien und säkularer Gesellschaft nicht nur reflektieren, sondern darauf auch reagieren zu müssen. Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Liturgikdozentinnen und -dozenten im deutschen Sprachgebiet (AKL) hat die Themenfelder "Umgang mit dem Tod" und "Wiederentdeckung des Rituals" miteinander verbunden und unter das Tagungsthema "Liturgie im Umfeld von Sterben und Tod im Kontext der säkularen Gesellschaft" gestellt. Die im September 2000 abgehaltene Tagung stand unter der Leitfrage, wie Liturgien gestaltet sein müssten, die dem christlichen Proprium verpflichtet sind, an denen aber auch Menschen teilnehmen, die von der säkularen Gesellschaft geprägt sind und die für die Feier der Liturgie kaum Voraussetzungen mitbringen.

Die Beiträge spannen einen weiten Bogen: Vorrangig kommen selbstverständlich katholische Liturgiewissenschaftler, Mitglieder der AKL, aber auch Pastoraltheologen, Musikwissenschaftler, einige evangelische Theologen und andere, die beruflich mit dem Begräbnis zu tun haben, zu Wort. Nicole Wallenkamp hat eine umfangreiche Bibliographie zum Tagungsthema zusammengestellt.

Das Buch hat vier Hauptteile, der erste Teil widmet sich der Wiederentdeckung des Rituals in der Gegenwart. Der katholische Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner stellt fest, dass selbst Atheisten sich religiöse Riten wünschen, insbesondere an den Lebensübergängen wie Geburt, Heirat und Tod. Er zeigt auf, dass kirchliche Rituale eine christgläubige, eine leutereligiöse und eine therapeutische Dimension haben. Diese Dimensionen sind untereinander nur bedingt vereinbar. Zulehner schlägt eine Ritendiakonie vor, die auch für jene gilt, die die christgläubige Dimension nicht mitbringen, aber sich eine leutereligiöse oder therapeutische Dimension erhoffen. Der katholische Liturgiewissenschaftler Paul Post stellt ein niederländisches Forschungsprojekt vor, das Trends und Perspektiven in der stark säkularisierten Gesellschaft der Niederlande aufspürt und feststellt, dass es nicht zu übersehende Sakralisierungstendenzen gibt, die aber nicht automatisch christliche Inhalte verwenden.

Der zweite Teil des Buches handelt über die christliche Begräbnisliturgie in historischer wie zeitgenössischer Ausprägung. Zunächst reflektiert der katholische Liturgiewissenschaftler Jürgen Bärsch über die nachkonziliare Begräbnisliturgie. Er betont, dass Liturgie Theologie ist. So forderte das Konzil, dass die Begräbnisliturgie den österlichen Sinn des christlichen Todes deutlicher zum Ausdruck bringen soll. Zunehmend wird aber wichtig, die persönliche Betroffenheit der Trauernden und ihre eingeschränkte Fähigkeit, mit dem österlichen Sinn des Todes etwas anfangen zu können, in der Liturgie mit zu berücksichtigen. Das kann als theologische Herausforderung begriffen werden. Der katholische Liturgiewissenschaftler Winfried Haunerland befasst sich mit der Bedeutung der Eucharistiefeier bei der Begräbnisliturgie. Oftmals kann sie gar nicht mehr in direktem Zusammenhang des Begräbnisses gefeiert werden. Trotzdem behält sie einen herausragenden Sinn, da mit der Eucharistie der Tod und die Auferstehung Christi nicht nur allgemein, sondern konkret für den Verstorbenen verkündet werden. Franz Karl Praßl, Musikwissenschaftler und katholischer Theologe, geht den Gesängen der Messfeiern für Verstorbene nach und zeigt, dass das österliche Motiv nicht immer im Vordergrund steht. Er untersucht insbesondere den Introitus "Si enim credimus", macht die Tiefe der Aussage für die Begräbnisliturgie deutlich und impliziert damit die Frage, wie diese Tiefe angesichts einer säkularen Umwelt zum Sprechen gebracht werden kann. Der evangelische Theologe Alexander Völker stellt neuere evangelische Bestattungsagenden vor, geht insbesondere den Bestattungsformeln nach und macht deutlich, dass diese Agenden situationsgerechtes Handeln ermöglichen. Der evangelische Theologe Wolfgang Ratzmann vergleicht die Bestattungsagende der VELKD und den Vorentwurf zu einer Bestattungsagende der UEK. Der UEK-Entwurf stellt sich am stärksten auf die Situation der Teilnehmenden ein und spricht nun nicht mehr von einer Bestattungsfeier, sondern von einer Trauerfeier. Trauerarbeit steht im Mittelpunkt, so dass christologische Aussagen in den Hintergrund treten. Dieser Antwort auf die säkulare Gegenwart stellt Ratzmann eine Arbeitshilfe aus der DDR von 1980 entgegen, die schon damals versuchte, trotz atheistischer Gesellschaft die biblisch-christliche Tradition zu Wort kommen zu lassen. Der katholische Theologe Bert Groen schildert das Problem des Verbots der Kremation in Griechenland, das die griechisch-orthodoxe Kirche trotz einiger gewichtiger Gegenargumente nach wie vor aufrecht erhält. Die katholischen Theologen Thomas Quartier, Antonius H. M. Scheer und Johannes A. van der Ven zeigen den deduktiven und induktiven Typ von katholischen Bestattungsriten in der modernen Gesellschaft auf: Der deduktive Typ bekräftigt die kirchliche Tradition, der induktive Typ favorisiert den Ansatz bei den betroffenen Menschen.

Im dritten Teil geht es um die heutigen Begräbnisse: Der Direktor des Sepulkralmuseums in Kassel, Reiner Sörries, stellt die Bestattungs- und Friedhofskultur der Gegenwart dar, wie sie sich von einem angebots- zu einem nachfrageorientierten Markt wandelt. Die Religionswissenschaftlerin Christa Frateantonio überlegt, ob sich der Bestatter vom Krisenmanager zu einem religiösen Spezialisten entwickeln wird. Die Bestattungsrednerin Birgit Janetzky stellt weltliche Trauerfeiern vor, die sich als Lebensdeutung und Abschiedsritual verstehen. Die katholische Theologin Lioba Zodrow macht aufmerksam auf die ehrenamtliche Trauerbegleitung in Frankreich, die schon längst zum Regelfall geworden ist. Der evangelische Theologe Jan Hermelink stellt dar, wie grundsätzlich verschieden die Bestattungstraditionen in Ost- und Westdeutschland sind, und stellt deshalb die Frage nach einer liturgischen Hermeneutik: Wenn der gesellschaftliche Kontext so unterschiedlich ist, kann der Gebrauch einer Begräbnisliturgie nicht einfach gleich sein.

Der vierte Teil ist dem Resümee vorbehalten, das der katholische Liturgiewissenschaftler Klemens Richter zieht. Es ist ihm wichtig aufzuzeigen, dass die auseinander strebenden Richtungen von offizieller Liturgie und tatsächlichen Bedürfnissen, von Bestattung und Trauer, von Liturgie und Diakonie etc. aufeinander bezogen werden, da die Aufgabe, eine christliche Begräbnisfeier in säkularisierten Zusammenhängen zu gestalten, für die Gemeinden nicht zu unterschätzen ist.

Die dargestellten und erörterten Aspekte um Begräbnis und säkulare Gesellschaft sind immens und zeigen, wie suchend und fragend die Situation der Forschung und wohl auch der kirchlichen Wirklichkeit ist. Zwei Aspekte habe ich allerdings vermisst: Die Autoren verstehen nicht alle dasselbe unter dem Begriff Säkularität, so dass ihre jeweilige Einschätzung der Lage und ihre Formulierung von Perspektiven nur bedingt vergleichbar und diskutierbar sind. Das Verständnis der Autoren von Säkularität geht nicht einmal aus allen Beiträgen hervor. Der zweite Aspekt: Zu jeder Begräbnisfeier bzw. -liturgie gehört auch eine Verkündigung, Ansprache, Predigt. Sie ist kaum oder gar nicht in den Blick genommen worden. Eigentlich schade, denn hier liegen m. E. die Chancen, gegenüber unkirchlichen, nichtgläubigen, säkularisierten Teilnehmenden wie Menschen, die aus einem christlich-kirchlichen Glauben leben, das christliche Proprium und die Situation der Trauer mit der des Todes auch im Kontext einer säkularisierten oder multireligiösen, gar religionsproduktiven Gesellschaft zur Sprache zu bringen. So kann den Teilnehmenden wie dem Toten Respekt gezeigt werden, ohne in ein Anpassertum zu verfallen, mit dem niemandem geholfen wird. Eine Mixtur aus ein wenig Glauben und ein wenig Säkularität hilft niemandem - nicht einmal denjenigen, die die Feier leiten.