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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

201–203

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Eckmann, Dieter

Titel/Untertitel:

Zweite Entscheidung. Das Zurückkommen auf eine Lebensentscheidung im Lebenslauf.

Verlag:

Leipzig: Benno 2002. XLIV, 344 S. gr.8 = Erfurter Theologische Studien, 84. Kart. Euro 24,00. ISBN 3-7462-1578-1.

Rezensent:

Martina Plieth

"Entscheidungen haben Prozesscharakter und präzisieren sich im Vollzug selbst. Das gilt vor allem für Entscheidungen, welche die Selbstdefinition des Menschen betreffen, und deshalb auch für Entscheidungen im religiösen Bereich sowie für sogenannte Lebensentscheidungen, die einen Handlungsrahmen abstecken, der als Interpretationsschlüssel für die gesamte noch ausstehende Entscheidungsgeschichte ihres Trägers Geltung beansprucht ..." (4).

Mit dieser zentralen These benennt Dieter Eckmann die Basis-Voraussetzung für seine Ausführungen zum Thema Zweite Entscheidung (ZE). Ihm ist - auch und gerade als Priester - daran gelegen, Menschen in Ambivalenzen fördernder postmoderner Zeit dazu zu ermutigen, Lebensentscheidungen selbstbewusst und -verantwortlich so zu treffen, "dass sie den berechtigten Erwartungen ... nach Selbstentfaltung und Kontinuität entsprechen" (6). Er möchte Autonomiebestrebungen ernst nehmen und zeitgleich dafür Sorge tragen, dass christliche Identität in Freiheit verbindend und deshalb verbindlich entwickelt sowie ausgeformt werden kann. Dem entsprechen sein Eintreten für eine konstruktive Auseinandersetzung mit Lebensstörungen und sein Plädoyer für die Bereitschaft, Neuorientierung grundsätzlich zuzulassen und nicht von vornherein zu unterdrücken.

Vor dem Hintergrund des Phänomens der von Louis Lallemant SJ (1588-1635) beschriebenen Zweiten Bekehrung rekurriert E. auf den Mystiker Johannes Tauler, den Philosophen Sören Kierkegaard und den Transaktionsanalytiker Eric Berne. In deren zeitlich und konzeptionell voneinander zu unterscheidenden Ansätzen erkennt er exemplarische Denktypen, die für sein Modell der Zweiten Entscheidung (ZE) richtungsweisend und deshalb ausführlich darzustellen und zu analysieren sind: Bei Tauler wird der Begriff der ker, die zu Selbsterkenntnis und Neuorientierung im Gottesbezug befähigt, besonders beleuchtet. Bei Kierkegaard kommt der Mensch in den Blick, der im Übergang vom ästhetischen zum ethischen und schließlich christlich-religiösen Einstellungsmuster verlorene Freiheit wieder-holt und dazu gelangt, sich selbst in Christus zu verstehen. Und bei Berne geht es darum, die Entwicklung vom Kindheits- zum Erwachsenen-Stadium in menschlichen Grundhaltungen mit Alltagsrelevanz nachzuzeichnen.

E. bündelt diese Akzente bzw. Aspekte und fügt sie so zusammen, dass ein Fünf-Schritte-Modell zur Vorbereitung von Lebens-Neuorientierung entsteht (Kapitel 4). Es geht ihm dabei um: 1) Situationswahrnehmung und Analyse, 2) Erfassen der Wirklichkeit und seiner selbst, 3) Versöhnung mit der eigenen Geschichte und mit Gott, 4) Loslassen als Einwilligen in die Abschiedlichkeit aller und das heißt auch der eigenen Existenz, 5) Entscheiden als Akt des Vollzugs auf Gott hin.

Dort, wo in Krisenzeiten erste Entscheidungen in einem Lebensentwurf ins Wanken geraten, soll ein hermeneutischer Vorgang schöpferischer Neuwerdung eingeleitet werden, der es möglich macht, Übergang zu gestalten, anstatt Untergang zu verwalten; die Lebensdynamik des Sich-Veränderns ist in seinem Rahmen maßgebliche Basis für alle erforderlichen Entscheidungsfindungsprozesse, die als verarbeitender Rückblick in die Vergangenheit und als wagende Vorausschau in die Zukunft führen. Es geht also um reflektierte Re-Vision ursprünglicher Entscheidung, die zu deren Bestätigung, aber auch zu deren Außerkraftsetzung beitragen kann; es geht um eine Zweite Entscheidung (ZE), die das Verwiesensein auf einen übergeordneten Sinnzusammenhang spürbar werden lässt und trotz aller Fragmentarität menschlicher Existenz gelingendes Leben ermöglicht.

Die von E. gebotenen Konkretionen beziehen sich auf zwei Bereiche mit besonderer gesellschaftlicher und ekklesialer Relevanz: Sie konzentrieren sich auf die Lebensformen Ehe und Partnerschaft sowie Priestertum, die sich nach römisch-katholischem Verständnis prinzipiell ausschließen, da Letzteres überlieferungsgemäß immer zölibatär zu denken ist. Für beide wird ein Höchstmaß an Frustrationstoleranz eingefordert und die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit, gegebenenfalls eine Zweite Entscheidung (ZE) im Blick auf sie herbeizuführen, postuliert.

Die Offenheit E.s, für eine Pastoral der Neuentscheidung einzutreten, ist auf jeden Fall positiv zu bewerten. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass er vor dem Hintergrund zum Teil rigider Traditionsvorgaben für die Ernstnahme menschlicher Freiheit als sinngeleiteter Gestaltungsmacht unter der Wirkung göttlicher Gnade eintritt. Und es macht Mut, Krisen als Aufgaben und Chancen dargestellt zu bekommen und immer wieder darauf hingewiesen zu werden, dass jede bewältigte Krise zu einer vertieften Ratifizierung des eigenen Lebens mit seinen widersprüchlichen Sinn- und Unsinnserfahrungen beitragen kann. Allerdings bleibt es ein wenig unverständlich, warum die Zweite Entscheidung (ZE) als eine einmalige Neuorientierung vorgeführt wird. Müsste nicht vielmehr davon ausgegangen werden, dass Lebensentscheide immer wieder zu hinterfragen und zu bestätigen bzw. aufzuheben sind? Kann überhaupt von andauernder Entscheidungssicherheit die Rede sein? Geht es nicht vielmehr um die Bereitschaft zu einer je und je neu zu vollziehenden Einwilligung in ein begründetes Wagnis, das letztlich nur dadurch abgesichert ist, dass Gott selbst den dazu erforderlichen Entscheidungsprozess zulässt und begleitet? Außerdem wäre auch noch danach zu fragen, warum E. den Vorgang der Zweiten Entscheidung (ZE) in erster Linie auf Individuen konzentriert darstellt. Natürlich muss jeder selbstbestimmungsfähige Mensch (s)eine jeweilige Lebens-Entscheidung als Einzelner - und das heißt individuell - treffen und diese mit all ihren Konsequenzen leben, aber er oder sie ist dabei stets einem äußerst komplexen Bedingungsgefüge anheimgestellt, das ganzheitlich ausgerichtete, systemische Betrachtungsweisen nahe legt, die dazu animieren, über den eigenen - mitunter begrenzten - Horizont zu schauen. Personspezifische Psychodynamik ist auf jeden Fall von zentraler Bedeutung, aber gerade dann, wenn es um Paarbeziehungen und binnenkirchliche Inter-Aktionsform(ation)en geht, niemals losgelöst von kontextuellen Resonanz-Größen angemessen zu konturieren bzw. zu verstehen.