Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

199–201

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Löw, Andreas

Titel/Untertitel:

Hermes Trismegistos als Zeuge der Wahrheit. Die christliche Hermetikrezeption von Athenagoras bis Laktanz.

Verlag:

Berlin-Wien: Philo 2002. XII, 293 S. gr.8 = Theophaneia, 36. Geb. Euro 39,90. ISBN 3-8257-0322-3.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Bei diesem Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung einer 1999 bei Carsten Colpe in Berlin entstandenen Dissertation. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, das seit den Tagen der religionsgeschichtlichen Schule immer wieder verhandelte Problem der christlichen Hermetikrezeption mit einem neuen methodischen Zugriff abermals aufzurollen. So soll der "Stellenwert, den die Hermetik als Platonic Underground in dem weiten Feld der christlichen Rezeption des Mittelplatonismus spielt, deutlicher als bisher zum Ausdruck gebracht werden" (5).

Von erheblicher Relevanz für den Fortgang der Untersuchung ist die methodische Vorentscheidung, nur dann von Hermetikrezeption zu sprechen, wenn in den einschlägigen Texten namentlich von Hermes Trismegistos als Autor die Rede ist. Durch dieses relativ rigide Verfahren gelingt es dem Vf., tatsächlich eine neue Schneise in das komplexe Problem der Erhebung und Würdigung des Materials zu schlagen.

Die Begründung für das gewählte methodische Vorgehen erfolgt im Grunde per Ausschlussverfahren, in dem der Vf. zeigt, dass die bislang eingeschlagenen Wege durchgängig zu zumindest fragwürdigen Ergebnissen geführt haben. Dabei ist der formgeschichtliche Zugriff angesichts der Vielfalt der Formen, die zudem auch außerhalb der Hermetika breit belegt sind, kaum als weiterführend zu bezeichnen. Auch die motiv- und begriffsgeschichtliche Vorgehensweise empfiehlt sich wegen der begrifflichen Inkonsistenzen und der zahlreichen Parallelen in zeitgenössischen philosophischen Texten nicht. Gelegentlich finden die Versuche, ein bestimmtes System oder eine bestimmte Verbindung von Phänomenen als typisch hermetisch zu erweisen, ihre Grenze in der Vielzahl der verschiedenen Traditionen, die in den hermetischen Texten in unterschiedlicher Intensität aufgenommen worden sind.

Die Versuche, die Hermetika anhand der in ihnen erkennbaren religiösen Haltungen zu fixieren, scheitern wiederum an der Vielzahl verwandter Haltungen in zeitgleichen religiösen und philosophischen Bewegungen. Die Möglichkeit, die Texte anhand vorliegender konkreter "Gemeindesituationen" zu identifizieren, verschiebt schließlich das Problem nur von der literarischen Ebene auf die soziologische, ohne in der Sache weiterzuführen. Von diesen gut nachvollziehbaren Beurteilungen ausgehend scheint die Entscheidung des Vf.s verständlich, ausschließlich die unter dem Namen des Hermes Trismegistos überlieferten bzw. zitierten Texte heranzuziehen, wenngleich man einwenden könnte, dass er sich damit zwar auf eine sichere, aber möglicherweise eben doch sehr reduktionistische Quellenauswahl verlegt mit den entsprechenden Folgen für die christliche Hermetikrezeption. Auch die Frage möglicher Authentizitätsprobleme im Blick auf etwaige Fälschungen oder Pseudepigraphik hätte hier ventiliert werden müssen.

Folgt man dem einmal eingeschlagenen methodischen Weg, ergeben sich die Analysen und Ergebnisse der Untersuchung gleichsam von selbst. Die Durchführung ist folgerichtig und auch überzeugend. Die Befunde seien hier knapp vorgestellt: Bei Athenagoras wird Hermes Trismegistos als Gewährsmann gegen den heidnischen Götterglauben in Anspruch genommen, wobei ihm höhere Autorität zukommt als etwa Herodot. Bei Tertullian wird Hermes Trismegistos als pagane Autorität gegen die Valentinianer bemüht, zugleich aber seine Unterlegenheit gegenüber der "orthodoxen" christlichen Position betont. In Ps.-Cyprians Schrift Quod idola dii non sint (hier hätte die Echtheits- und Datierungsdiskussion auch im Zusammenhang der Frage nach möglichen Entlehnungen aus Laktanz intensiver referiert und auch weitergeführt werden müssen, 65) wird ein hermetisches Zeugnis zum Beweis der Einzigkeit Gottes aufgerufen. Bei Arnobius ergibt sich aus der Analyse der einzigen relevanten Stelle Arnob. II 13 ein negatives Ergebnis: Weder lassen sich Hermetiker als relevante Gegner des Arnobius noch Arnobius selbst als Vermittler zwischen Hermetik und Christentum sicher erweisen, was dazu führt, dass man mit der These einer relativ weiten Verbreitung der Hermetik im spätantiken Nordafrika ebenso wie mit der Auffassung, Laktanz habe die Hermetik über seinen Lehrer Arnobius kennen gelernt, zurückhaltender sein muss als bisher (86 f.).

Der Hauptteil der Untersuchung widmet sich dann dem Werk des Laktanz, der Hermes Trismegistos als paganen Zeugen für die Wahrheit des Christentums intensiv in Anspruch nimmt. Eine Fülle von Hermes-Zitaten dient zum Beweis bzw. zur Begründung einschlägiger christlich-theologischer Lehren in den Institutiones, in De ira Dei und in der Epitome. Genannt seien nur die christlich-mittelplatonische Gotteslehre, die Laktanz durch den Hinweis auf Hermes Trismegistos als angebliche Quelle Platons weiter abzusichern sucht, die Schöpfungslehre, die Dämonologie, vor allem aber die Christologie, wobei auch hier wieder die Kongruenz und wechselseitige Rezeption von hermetischem und mittelplatonischem Schrifttum im Vordergrund steht (186-195). Auch in der Ethik und in der Eschatologie rezipiert Laktanz hermetisches Schrifttum und macht die gewählten Zitate für seine Argumentation nutzbar. Es zeigt sich aber im Ergebnis einerseits, dass für Laktanz den hermetischen Testimonien keine ersichtliche Sonderrolle unter den paganen Belegen zukommt, und andererseits, dass er die Hermetica lediglich zum Zwecke der Beweisführung durch Zitate benutzt, sich ihren Inhalten und Lehrkategorien aber keineswegs verpflichtet zeigt (252). Damit hat die Arbeit des Vf.s unsere Sicht des in diokletianischer Zeit zum Christentum konvertierten Rhetoriklehrers Laktanz nicht unerheblich korrigiert.

Doch auch für die weitergehende Frage nach der Bedeutung der Hermetik für das frühe Christentum hat das vorliegende Buch erhebliche Folgen: Denn es ergibt sich eine Sicht der christlichen Hermetikrezeption, die einschlägige Auffassungen der bisherigen Forschung in nicht geringem Maße korrigiert: Die Verbreitung hermetischer Schriften namentlich in Nordafrika scheint bislang etwas überschätzt worden zu sein. In der christlichen Rezeption der Hermetik wird die Ebene der literarischen Beweisführung kaum einmal überschritten, zumal sich auch diese im Ganzen eher schmal ausnimmt. Hiermit korrespondiert der Befund, dass in der christlichen Rezeption eine Schwerpunktverschiebung von den kultischen auf die philosophischen Konnotationen der Hermetik erfolgt. Schließlich lässt sich auch eine enge Verbindung von Hermetik und Gnosis/ Gnostizismus, die hin und wieder postuliert worden ist, im Spiegel der christlichen Hermetikrezeption so nicht bestätigen.

Zustimmung oder Ablehnung für das vorliegende Buch werden weitgehend von der Zustimmung oder Ablehnung der in ihm getroffenen methodischen Vorentscheidung abhängen. Einen anregenden, gründlich durchgearbeiteten und die Diskussionen um die Hermetik und Hermetikrezeption bereichernden Beitrag zur Forschung bietet es allemal.