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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

197–199

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Faber, Roland

Titel/Untertitel:

Gott als Poet der Welt. Anliegen und Perspektiven der Prozesstheologie.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. 320 S. m. Abb. 8. Geb. 42,00. ISBN 3-534-15864-4.

Rezensent:

Christina Aus der Au

Vor bald zwanzig Jahren schrieb Ingolf U. Dalferth: "Die gegenwärtig beginnende Rezeption prozessphilosophischen Denkens in der deutschen Theologie sollte sich ... auf das Studium Hartshornes, nicht Whiteheads konzentrieren. Sie wird mehr davon haben." Das hier vorgestellte Buch zeigt, dass es manchmal fruchtbar sein kann, solche Ratschläge nicht zu befolgen. Roland Faber, Professor am katholischen Institut für dogmatische Theologie in Wien, arbeitet die Philosophie Whiteheads zu einer veritablen Prozessdogmatik aus. Leitgedanke ist ihm dabei dessen Rede von Gott als "Poet der Welt, sie mit zärtlicher Geduld durch seine Vision von Wahrheit, Schönheit und Güte leitend".

Zunächst skizziert F., der schon 2000 mit seiner Habilitationsschrift ein beeindruckendes und souverän eigenständiges Werk zur Prozesstheologie vorgelegt hat, die Entstehung und Verzweigungen der Prozesstheologie. Er spannt den Horizont vom Chicagoer Social Gospel Movement über Whiteheads eigene Gotteslehre bis zu den theologischen Weiterentwicklungen und macht verständlich, inwiefern sich Whiteheads Prozessdenken in eine empirische, eine rationalistische und eine christliche Richtung ausdifferenzieren konnte. F.s eigene Position liegt bei einem kritischen Rückbezug auf den Whiteheadschen Ansatz, der dessen innere Brüche, dessen systemkritischen Ansatz und die postkonstruktivistische Relativierung der Vernunft ernst nimmt. Auf Derridas Konzept der différance Bezug nehmend findet F. die Spur Gottes dabei jenseits allen Substantialismus' in der Nicht-Differenz, die als Ursprung Differenzen allererst möglich macht.

Im zweiten Teil zeichnet F. die prozessphilosophischen Grundlagen nach. Whitehead entwirft Wirklichkeit als organischen und dynamischen Beziehungsprozess von Ereignissen. Alles Sein geschieht als ein Werden aus Vergangenem zu Zukünftigem. Wirksam und erkennbar ist dabei nur das konkrete Einmalige, Muster und Substanzen sind nachträgliche Abstraktionen. Grundlegend ist die Rolle der Kreativität. Sie ermöglicht, dass die vielen Elemente der Vergangenheit in einem neuen Ereignis synthetisiert werden, und sie lässt dieses Ereignis seinerseits als Element in anschließenden Werdeprozessen weiterwirken. Die Kreativität hat dabei keinen eigenen Status und ist schon gar nicht mit Gott identisch, sondern gewinnt ihre Ganzheit aus der unaufhörlichen Produktion von Differenz und ist damit "Nährmutter des Werdens" (77).

Im dritten Teil zeigt F., wie in der Prozessphilosophie gerade nicht metaphysische, sondern soteriologische Gottesrede aufscheint. Gott als die Quelle aller Potentialitäten ermöglicht das Werden der Welt, indem er ihr als ihre Zukunft stets schon gegenwärtig ist. Er ist ihr Anfang und auch ihr Ende, er lockt sie auf ihre je bestmögliche Verwirklichung hin und heilt schließlich das Unvollkommene, indem er es in unendlicher Intensität vervollständigt und in sich aufnimmt. Auch das Verständnis von Person erschließt sich letztlich nur theologisch. Eine Person ist kein Durchhalten einer Identität, sondern die dynamische Ganzheit eines lebenden Organismus, welche ihre Identität erst in Gott erreicht.

Das Verhältnis von Gott und Welt ist das Zentrum der prozesstheologischen Reflexion, nicht ein Thema unter anderen, sondern das Muster für das theologische Denken schlechthin. So entfaltet F. im vierten Teil Gott in seinem Weltverhältnis. Gott ist, gegen Hartshorne, ein Ereignis wie jedes Weltereignis auch. Seine radikale Andersartigkeit zeigt sich in der Spiegelbildlichkeit des Prozesses. Dieser geht nicht von der Wahrnehmung des Vorhandenen aus, sondern von Gottes unvordenklicher Urnatur, der ersten Manifestation von Kreativität und der überfließenden Fülle vollkommener Synthese, welche die Welt erschafft, ohne dass Gott sie nötig gehabt hätte. Gott ist damit nicht das notwendige Andere des Weltprozesses, sondern zeigt sich hier lediglich im Aspekt seiner Weltzugewandtheit. Er ist aber immer die zu Grunde liegende Nicht-Differenz, die alle Differenzen, auch die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz, ermöglicht und zugleich versöhnt. Damit führen auch die berühmten Anti-Thesen Whiteheads ("Es ist ebenso wahr zu sagen, dass Gott die Welt schafft, wie dass die Welt Gott schafft") nicht zur Vergottung der Welt bzw. zur Relativierung Gottes, sondern sie sind ineinander verschränkt. Was für die Welt gilt, gilt auch für Gott, aber nicht analog, sondern als dynamische Gegenbewegung im Charakter seiner Weltzugewandtheit.

Den fünften Teil bildet eine prozesstheologische Dogmatik in nuce: Gotteslehre, Trinitätslehre, Schöpfungslehre, Religionstheologie, Sündenlehre, Christologie, Eschatologie und schließlich das Mysterium Gottes als negative Theologie. F. betont, dass es sich bei der Prozesstheologie nicht um eine theistische Weiterentwicklung einer an sich rationalistischen Philosophie handelt, die auch auf ihren Gottesbegriff verzichten könnte, sondern um eine Reformulierung des urbiblischen Gottesgedankens. So bleibt dessen Jenseitigkeit gewahrt, nicht aber die traditionellen Gewaltattribute eines Gottes, der aus einer isolierten Allmachtsposition heraus der Welt die Bedingungen von Kommunikation diktieren würde. Die ursprüngliche Vision und Differenzierung Gottes aus der Fülle heraus ist immer schon ein relationales Geschehen, ein innergöttlicher Akt des Raumschaffens für Anderes.

Interessant ist, was fehlt. Die Ekklesiologie kommt nicht vor. F. schreibt nicht für die Kirche, sondern für die Wissenschaft. Das zeigt sich zum Schluss auch in den interdisziplinären Grenzgängen. Er skizziert durch Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus hindurch einen kritischen Realismus, formuliert ein theologisches Wahrheitsverständnis, das Korrespondenz, Kohärenz und Pragmatik versöhnt, und integriert Geistes- und Naturwissenschaften in einer gemeinsamen Resonanz. Auch für die Theorie des Geistes sieht er einen prozesstheologischen Zugang zu einem nicht-dualistischen Verständnis von Geist, Gehirn und Person. Zudem skizziert er eine Lösung des Theodizeeproblems, eine Zivilisationstheorie mit ethischem Anspruch, eine Meta-Theologie, welcher das Einmalige und Konkrete zu Grunde liegt, und eine Spiritualität, die uns zugleich in der endlichen Welt und dem unendlichen göttlichen Frieden gründet. Das ist faszinierendes An-Denken und bedarf nun der weiteren Ausarbeitung.

F., der sich auch als Komponist beachtliche Meriten verdient hat, führt eine kreative Relecture von Whiteheads Prozessphilosophie vor, über deren basso continuo der zärtlichen Poetik Gottes die Melodien der sich in die Zukunft hinein entwickelnden Weltereignisse schweben. Vielstimmig klingen so die Bewegungen von Welt und Gott ineinander, sich gegenläufig ergänzend, getragen von der unvordenklichen Matrix Gottes.

Unnötig dabei sind die Literaturverweise im Text, die im schlimmsten Fall verwirren und im besten Fall zu vage sind, um hilfreich zu sein. Aber F.s Entwurf ist eine Einladung zum selber Weiterdenken, weit entfernt von der im deutschen Sprachraum so verbreiteten Werkexegese. So kann Systematische Theologie wieder zum Abenteuer werden.