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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

194–197

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Huyssteen van, W. V. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Encyclopedia of Science and Religion. Ed. by J. W. V. van Huyssteen (Ed. in Chief). Vol. 1: A-I. Vol. 2: J-Z.

Verlag:

Farmington Hills: Gale/Macmillan Reference 2003. Insg. XXXVIII, 1050 S. gr.8. Geb. US$ 240,00. ISBN 0-02-865704-7 (Set).

Rezensent:

Heinz-Hermann Peitz

In umfassender Weise will die Encyclopedia of Science and Religion die wichtigsten Aspekte der Konfliktgeschichte und des Dialogs zwischen Naturwissenschaften und Religion reflektieren. Es werden nicht nur die inzwischen als klassisch bekannten Themenfelder wie Evolutionstheorie, Kosmologie, Quantentheorie, Chaostheorie behandelt, sondern ebenso die modernen Humanwissenschaften inklusive der aktuellen Herausforderungen der Neurowissenschaften, die Computerwissenschaften sowie das umstrittene Feld der Medizin- und Bioethik. 20 Biographien von Aristoteles bis Whitehead informieren zudem über wichtige Gestalten im interdisziplinären Dialog.

Ein wichtiges Teilziel des Werkes ist es, die bisherige Engführung auf die christlich geprägte Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften aufzubrechen und das Dialogpotenzial anderer Kulturen und Religionen sichtbar werden zu lassen. So wird die historische und zeitgenössische Beziehung der Naturwissenschaften zu den bedeutendsten religiösen Gruppen im Einzelnen ausdrücklich thematisiert.

In der Zusammenstellung der vorliegenden Enzyklopädie sehen die Herausgeber den Beweis, dass es möglich und fruchtbar ist, die spektakulären Erfolge der Naturwissenschaft mit der Weisheit der Religion(en) in konstruktiven Austausch zu bringen. Dieses weite interdisziplinäre und interreligiöse Feld soll einer breiten Leserschaft, angefangen vom College-Studenten bis hin zum Forscher und Akademiker, schmackhaft gemacht werden. Wie wird dieser enorme Anspruch hinsichtlich Weite des Themenspektrums und Breite der Zielgruppe eingelöst?

Zum Aufbau der Enzyklopädie: Auf 1050 großformatigen Seiten finden sich über 400 Artikel unterschiedlicher Länge, die von über 200 renommierten internationalen Wissenschaftlern verfasst sind. Die Artikel sind alphabetisch angeordnet, die Präliminarien enthalten aber auch eine ausführliche sachliche Gruppierung, so dass sich hieraus die Enzyklopädie systematisch er- schließen lässt. Zusammen mit dem abschließenden 107-seitigen Index eröffnet sich ein gut strukturierter Zugang zur Fülle des Materials. Wer vertiefen möchte, findet neben den zahlreichen Querverweisen bei jedem Artikel eine Spezialbibliographie sowie im Anhang eine 9-seitige annotierte Übersicht über diejenige Literatur, die von den Herausgebern als unverzichtbar für den Dialog angesehen wird.

Zum Inhalt: a) Theorie des Dialogs: Die gut lesbaren Inhalte haben - der Zielgruppe entsprechend - mehr allgemeinen, einführenden Charakter und setzen nicht so viel Vorkenntnisse voraus wie z. B. die RGG4 (hier lohnt sich ein vergleichender Seitenblick, da in der RGG zahlreiche Autoren und Autorinnen mit ähnlichen Artikeln wieder zu treffen sind). Statt sich in der Fülle inhaltlicher Einzelthemen zu verlieren, lohnt an dieser Stelle der exemplarische Blick auf die Beiträge zur Theorie des Dialogs, letztlich die Grundlage sowohl für Einzelthemen als auch für die der Enzyklopädie so wichtigen Dialogbeiträge der Religionen.

Die Artikelfülle spiegelt ein vielfältiges Spektrum, präsentiert von Protagonisten oder zumindest Sympathisanten der jeweils vorgestellten Richtung: vom Realismus, der stark von der Außenwelt her argumentiert (Roger Trigg, 713 f.), bis zum Radikalen Konstruktivismus, der Wissen als interne Konstruktion versteht und eine Korrespondenz mit einer äußeren Realität gerade nicht anbietet (Günther Thomas, 164); oder bis zum Kontextualismus, der kontextunabhängiges Wissen nicht kennt, sondern in geschlossenen, kontextbezogenen Sprachspielen denkt (Mikael Stenmark, 166). Dazwischen vermittelt der Kritische Realismus (Kees van Kooten Niekerk, 190 f.), indem er zwar an der unabhängigen Außenwelt festhält, Erkenntnis aber nicht unkritisch als Spiegelbild dieser Außenwelt versteht und damit die Frontstellung von Konstruktivismus und Kontextualismus gegen einen naiven Realismus fruchtbar einbezieht.

Die jeweils eingeschlagene Richtung hat Konsequenzen für den Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie: Für den Realisten liegt ein hinreichender Grund für das interdisziplinäre Gespräch darin, dass sich beide Disziplinen auf ein und denselben Gegenstand der Außenwelt beziehen (714), eine Voraussetzung, die der Konstruktivist nicht teilt. Der strenge Kontextualist wiederum kennt keine übergreifenden, gemeinsamen Universal-Kategorien (wie z. B. die "menschliche Natur"), die von historischen, kulturellen, traditionellen Besonderheiten - sprich: Kontexten - unberührt wären und die eine Übertragung vom Kontext des einen Sprachspiels in ein anderes sinnvoll erscheinen ließen (166).

Entsprechend disparat fallen die Zukunftsempfehlungen für einen gelingenden Dialog aus. Für die Herausgeber bleibt neben der Berücksichtigung der Kontextualität (s. o.) Ian Barbours klassische Typologie (Konflikt, Unabhängigkeit, Dialog und Integration) auch in Zukunft wegweisend (X). Barbour selbst plädiert dabei für eine umfassende Metaphysik als Arena gemeinsamer Reflexion. Wie seinerzeit Thomas eine Synthese von christlicher Tradition und Aristotelismus geschaffen habe, so könne heute Whitehead eine integrierende Rolle spielen (765). Bei einer solchen revidierten Metaphysik könnte der Begriff der "Information" eine neue ontologische Rolle spielen, wie William Grassie (396) meint. Philip Clayton macht einen Panentheismus stark (380), Ernest Simmons möchte die beiden Formen der Kausalität (Formal- und Finalursache auf der einen Seite, Material- und Wirkursache auf der anderen Seite) verbunden wissen (383). Gregory R. Peterson will den Pragmatismus verstärken und radikale Formen der Postmoderne auf einem ernsthafteren Level als bisher einbringen (759). Robert John Russell und Kirk Wegter-McNelly schließlich sehen in der Brücke zwischen methodologischem Reduktionismus und erkenntnistheoretischem Antireduktionismus oder Holismus den Ausgangspunkt aktueller Forschung (746). All diese unterschiedlichen Auffassungen nicht vermittelt zu haben, ist dabei kein Schwachpunkt der Enzyklopädie, sondern ihre Stärke, spiegelt sie doch die weltweite Vielfalt im Dialoggeschehen wider, ohne vorschnell harmonisieren zu wollen.

Wie disparat auch immer der Status quo erscheint: Konsensfähig scheinen die vermittelnde Rolle der Philosophie (so auch Paul D. Murray, 266) und der häufige Hinweis auf die Kontextualität. Räumt man dieser zumindest ein gewisses Recht ein, können die Religionen ihre Kontexte ganz anders ins Spiel bringen. Dann wird deutlich, dass der naturwissenschaftliche Weg von den Daten zur Theorie nicht logisch zwingend, sondern durch Kontexte mitbestimmt ist (Ian Barbour, 763), und die These (von Niels Henrik Gregersen, 128 f.) scheint nicht unvernünftig, dass das paradoxe und kontra-intuitive Denken der modernen Quantentheorie in einem protestantisch-lutherischen Milieu besser entstehen konnte als in anglikanischen (Stephen Sykes, 119 f.) oder katholischen (George Coyne, 139) Kontexten, die eine größere Nähe zu stringenter Rationalität haben und einen geeigneteren Boden für die klassische Physik bieten konnten. Vor diesem dialogtheoretischen Hintergrund sollen der globale Anspruch der Enzyklopädie und der mögliche Beitrag der Religionen genauer betrachtet werden.

b) Weltreligionen und der Dialog mit den Naturwissenschaften: Neben 31 einführenden Seiten über Naturwissenschaft und Religion im Allgemeinen widmen sich 99 Seiten ausdrücklich den Einzelreligionen. Das formale Schema: Jede Religion wird über einen kurzen Zweispalter eingeführt, dann folgen jeweils a) aktuelle Fragen des Dialogs und b) Geschichte des Dialogs.

Mit der Barbourschen Typologie klassifiziert stehen die meisten Autoren einer vollen begrifflichen Integration, gegebenenfalls über eine umfassende Metaphysik oder die Prozessphilosophie im Anschluss an Whitehead (Ian Barbour, 765), eher skeptisch gegenüber und geben sich mit einem Dialog zufrieden (ebd.), der verschiedene Arten von Ähnlichkeiten zwischen Naturwissenschaft und Religion betont (762). Betont man dann die epistemologischen und weltanschaulichen Voraussetzungen der Naturwissenschaft und damit ihre kulturelle Kontextualität, könnte es zu tiefer greifenden Dialogprojekten kommen als bei den bisherigen in allen Religionen angegangenen konfliktiven Einzeldiskussionen betreffs natürlicher und göttlicher Ursächlichkeit, kosmischer Evolution und Schöpfung, naturwissenschaftlichem und religiösem Menschenbild etc.

Was damit gemeint sein könnte, deutet sich an, wenn man von so ambitionierten Projekten wie einer spezifisch islamischen Naturwissenschaft liest. Auch wenn die islamische Mehrheit Naturwissenschaft eher unkritisch als neutrale Faktenvermittlung auffasst, könnte die gegen materialistische Engführungen projektierte "islamische Naturwissenschaft" als "heilige Wissenschaft" - über eine spirituelle und intellektuelle Elite implementiert - ein spezifisch islamischer Beitrag zur Entwicklung eines universalen Wissens sein (Bruno Guiderdoni, 468 f.).

Kann es entsprechend eine buddhistische Naturwissenschaft geben, die auf der komplexeren Kausalitätsvorstellung des Buddhismus basiert und zu alternativen Beobachtungsmethoden, Experimenten und Realitätstheorien führt (Ronald Y. Nakasone, 80)? Kann gar aus der aktuell praktizierten tibetanischen Medizin eine alternative Naturwissenschaft und Methodologie extrapoliert werden (ebd.)?

Gegenüber diesen ehrgeizigen Zukunftsentwürfen nimmt sich manche christliche Vision auf den ersten Blick eher blass aus. Ist diese Zurückhaltung (George Coyne, 143), die wie eine Art Denkhemmung erscheint, vielleicht Schutz vor Vereinnahmung und weiser Ausdruck einer langen Konflikt- und Dialogtradition?

Kritik und abschließende Würdigung: Ein derart umfassendes Werk kann unmöglich sämtliche Erwartungen erfüllen und wird Anlass zu verschiedenster Kritik bieten. Dennoch ist der Anspruch der Enzyklopädie angesichts der enormen Herausforderung in beachtlicher Weise eingelöst. Zum einen lassen die gute Les- und Erschließbarkeit den Anfänger einen leichten Einstieg in das differenzierte Dialogfeld finden. Zum anderen wird die Enzyklopädie als umfassende globale Bestandsaufnahme des interdisziplinären Dialogs für den Fortgeschrittenen zu einem idealen Ausgangspunkt künftiger Dialoganstrengungen. In beiderlei Hinsicht gebührt dem Werk der Rang eines Referenzwerks, das jedem zu empfehlen ist, der interdisziplinär arbeitet.