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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

182 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Sträter, Udo [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zur Rechtfertigungslehre in der Lutherischen Orthodoxie. Beiträge des Sechsten Wittenberger Symposiums zur Lutherischen Orthodoxie. Red.: K. G. Appold.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2003. 271 S. gr.8 = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 2. Geb. Euro 34,00. ISBN 3-374-01921-8.

Rezensent:

Friederike Nüssel

Der vorliegende Band dokumentiert das Sechste Wittenberger Symposium zur Lutherischen Orthodoxie, das im Dezember 1999 stattgefunden hat und dem Thema der Rechtfertigungslehre in der Lutherischen Orthodoxie gewidmet war. Die Wahl des Themas erfolgte nicht zufällig kurz nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Die Teilnehmer des Symposiums wollten sich zwar, wie im Vorwort gesagt wird, nicht in die aktuelle Debatte einschalten, aber doch einen wissenschaftlichen Beitrag leisten "zur Behebung des gerade in dieser Debatte zu Tage getretenen Mangels an klaren Vorstellungen über die Rechtfertigungslehre in der Lutherischen Orthodoxie" (s. Vorwort). Dabei sollte zum einen die Stellung der lutherischen Orthodoxie zur tridentinischen Rechtfertigungslehre eingehender untersucht, zum anderen die Einstufung der Rechtfertigungslehre als "Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt", traditionsgeschichtlich erschlossen werden. Die Beiträge bieten zahlreiche neue oder vertiefte Erkenntnisse zum lutherischen Verständnis der Rechtfertigungslehre im konfessionellen Zeitalter.

Im ersten Beitrag des Bandes untersucht Albrecht Beutel, welche kontroverstheologischen Probleme Martin Chemnitz in seiner Auseinandersetzung mit dem Rechtfertigungsdekret von Trient in seinem "Examen concilii Tridentini" markiert hat. Markus Matthias klärt sodann über die bislang nicht hinreichend zur Geltung gebrachte Bedeutung der Rechtfertigungslehre bei Ägidius Hunnius auf. Wie der Tübinger Dogmatiker Matthias Hafenreffer alle dogmatischen Themenbestände und also auch die Rechtfertigungslehre auf ihren spezifisch-praktischen Gebrauch hin auslegt, zeigt Martin H. Jung. Marcel Nieden untersucht am Beispiel der "Methodus studii theologici" von Johann Gerhard die Wirkungsgeschichte von Luthers Bestimmung der Theologie als oratio, meditatio und tentatio, die bisher noch kaum erforscht ist. Die Art der Auseinandersetzung mit der tridentinischen Rechtfertigungslehre in der Hochphase der lutherischen Orthodoxie bei Abraham Calov wird in dem Beitrag von Kenneth G. Appold zur Geltung gebracht, der u. a. zeigt, dass Calov die Prozesse und Ergebnisse des Konzils gezielt hinterfragt und mit Hilfe kühn eingesetzter Zitierpolitik "jegliche äußere Erscheinung von Einheit der römisch-katholischen Kirche unterminiert" (78). Johannes Wallmann bringt die Auseinandersetzung Philipp Jakob Speners mit der tridentinischen Rechtfertigungslehre zur Darstellung, und zwar explizit in der Absicht, Spener mitreden zu lassen in der Debatte um die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Speners Kritik an der tridentinischen Rechtfertigungslehre hätte, so Wallmann, Anhalt auch am Annex und an der gemeinsamen offiziellen Feststellung zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Der bislang sehr selten gestellten Frage, ob Vertreter des klassischen Luthertums in der römisch-katholischen Kirche die Lehre von der Glaubensgerechtigkeit ausfindig machen konnten, geht sodann Pentti Laasonen nach.

Außerdem enthält der Band zwei deutlich ausführlichere Beiträge von Jörg Baur und Theodor Mahlmann, die sich beide mit unterschiedlicher Akzentuierung seit Jahrzehnten um die Erforschung der lutherischen Orthodoxie verdient gemacht haben. Baur beschäftigt sich in seiner Untersuchung mit der Genese des synkretistischen Streites und zeigt, dass es zur Rahmenbedingung der Helmstedter Lesart des Rechtfertigungsartikels gehörte, Gottes Handeln als Offenbarung seines fordernden Willens und den Menschen wesentlich als Täter desselben zu verstehen. Das aber bedeutet, kurz gesagt: "Wenn die Helmstedter und deren orthodoxe Kontrahenten Rechtfertigung sagen, meinen sie jeweils etwas ganz anderes" (126). Im letzten Beitrag des Bandes erkundet Theodor Mahlmann die Geschichte der Formel "Die Rechtfertigung ist der Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt". Er knüpft dabei an eine frühere Arbeit an, in der er bereits nachgewiesen hatte, dass die Behauptung von Friedrich Loofs, die Formel sei zuerst bei Valentin Ernst Löscher zu finden, nicht zutrifft. Mahlmann kann die Formel schon ab 1615 und in anderer Form sogar bereits ab 1569 nachweisen und verfolgt ihre weitere Entwicklung bis zum Jahr 2000. Auf diese Weise gelingt es ihm zu zeigen, dass die konstitutive Bedeutung des Rechtfertigungsartikels in der protestantischen Theologie im Anschluss an die Bekenntnisbildung durchgängig bis in die Gegenwart geltend gemacht worden ist.

So wird in diesem Band nicht nur die materiale Entfaltung lutherischer Rechtfertigungslehre, sondern auch deren formaler Status in der lutherischen Tradition eindrucksvoll erhellt. Damit liefert er in der Tat einen wichtigen Beitrag zur Klärung kontroverstheologischer Fragen nach Status und Deutung der Rechtfertigungsbotschaft, die nach der Veröffentlichung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre Diskussionsbedarf erzeugt haben und noch erzeugen.