Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

176–178

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hamm, Berndt

Titel/Untertitel:

The Reformation of Faith in the Context of Late Medieval Theology and Piety. Essays. Ed. by R. J. Bast.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XVI, 305 S. m. Abb. gr.8 = Studies in the History of Christian Thought, 110. Geb. Euro 105,00. ISBN 90-04-13191-4.

Rezensent:

Volker Leppin

Dass die deutsche reformationshistorische Forschung sich nicht im sterilen Gegenüber von Kontinuitätsenthusiasten hier und Umbruchsbekennern dort verliert, ist zu guten Teilen den differenzierten Beiträgen des Erlanger Kirchenhistorikers Berndt Hamm zu verdanken. Sorgsam arbeitet er seit vielen Jahren an einer sachangemessenen, theoretisch fundierten Erfassung des Verhältnisses von Spätmittelalter und Reformation, die den Neuheitsaspekten der Reformation gerecht wird, ohne die Wurzeln im Mittelalter zu vernachlässigen. Dieser genuin theologisch argumentierende Ansatz, der trotz seines erkennbar protestantischen Charakters Freiheit von konfessionellen Vereinnahmungen der Geschichte sucht, macht H.s Forschungen in besonderem Maße anschlussfähig für das internationale Gespräch. Dass nun eine Aufsatzsammlung in englischer Sprache vorliegt, ist daher nur konsequent.

Trotz der Zählung nach Kapiteln und dem - bedauerlichen - Verzicht auf die sonst üblichen Angaben zur Erstpublikation der redaktionell leicht bearbeiteten Beiträge behält der Band seinen Charakter als Sammlung ursprünglich eigenständiger, aber durch einen gedanklichen Zusammenhang miteinander verbundener Arbeiten. Der Herausgeber hat ihnen eine nachvollziehbare Gliederung gegeben: Der einleitende Aufsatz führt, indem er schon in der spätmittelalterlichen Frömmigkeitstheologie, für die mit diesem Band die englische Übersetzung "theology of piety" etabliert sein dürfte, Ansätze normativer Zentrierung ("normative centering") entdeckt, zwei wichtige Forschungskonzepte zusammen, mit denen H. in den vergangenen Jahrzehnten die Forschung belebt und bereichert hat - und im Blick auf die er in sympathischer Offenheit zu Beginn betont, dass Forschungskonzepte nie den Charakter von Fragen verlieren dürften. Es folgen zwei Beiträge zur homiletischen und poimenischen Praxis der Frömmigkeitstheologen. Drei dezidiert theologiegeschichtliche Aufsätze zur Entstehung der Rechtfertigungslehre schließen sich an. Indem der dritte über Luther hinausgehend die gesamte reformatorische Theologie im Blick hat, leitet er schon zum nächsten Block über, der zwei allgemeinere Beiträge zur historiographischen Deutung der Reformation bietet, ehe das abschließende neunte Kapitel dem Verhältnis von Reformation und Moderne nachgeht.

Es ist wohl kein Zufall, dass durch diese Gliederung in das Zentrum des Bandes mit den Kapiteln vier bis sechs die Beiträge zur Theologie gerückt sind. Insbesondere die Beiträge zur Entwicklung vom Liebesbegriff des Mittelalters zu Luthers im Glauben zentrierter Theologie im vierten (128-152) und fünften Kapitel (153-178) bilden die notwendige Grundlage für H.s in mehreren Beiträgen seit 1992 entfaltetes Konzept normativer Zentrierung, weil sie theologisch zeigen, worin nun eigentlich das Zentrum liegt, durch das die Reformation die Frömmigkeit gegenüber den gradualistischen Konzeptionen des späten Mittelalters radikal elementarisiert, und historisch deutlich machen, inwiefern die reformatorische Theologie tatsächlich bei aller Anknüpfung an das Mittelalter Neues bietet.

Dass auch der Vorgang der Zentrierung selbst nicht vorbildlos ist, zeigt der für diese Sammlung geschickt gewählte erste Aufsatz. Hiernach standen die mittelalterlichen Ansätze zu normativer Zentrierung aber noch im Rahmen mittelalterlicher Pluralität und des Gradualismus. Erst die Reformation brach auf Grund ihrer rechtfertigungstheologischen "concentration in the singular and one-sided efficacy of God's role in man's salvation, ... with this plural and gradualist system" (45).

Gerade an dieser Stelle lassen sich freilich Fragen nicht unterdrücken, die gewissermaßen aus zwei Richtungen kommen und vielleicht nur die mit diesem Aufsatz angedeutete Stärkung der Kontinuitätsaspekte auch im Zusammenhang des Konzeptes normativer Zentrierung verstärken und fortsetzen.

Zum einen relativiert H.s Schilderung der mystischen Nähe zu Gott selbst das Konzept eines spätmittelalterlichen Gradualismus, von dem es hier nur noch heißt, er sei "still accepted" gewesen (138 f.): War hier die radikale Form normativer Zentrierung nicht vielleicht doch schon stärker vorbereitet, als es im Gesamtkonzept erscheint? Umgekehrt gilt: Ist das Konzept des "normative centering" derartig an die reformatorische Rechtfertigungslehre gebunden, kommt dem ursprünglich 1986 in der ZThK publizierten großen Aufsatz "What was the Reformation Doctrine of Justification?" (179-216) eine gewichtige Begründungslast zu - und es lässt sich fragen, ob sich nicht die Zuordnung Zwinglis zu einem doch stark an Luther orientierten Konzept von Rechtfertigungslehre letztlich einer zu abstrakten systematischen Konstruktion verdankt, die der anderweitig zu Recht geforderten Beachtung der Eigenständigkeit des Zürcher Reformators (246, Anm. 80) nicht ganz gerecht wird, ob also nicht die Einheitlichkeit der Rechtfertigungslehre, die freilich eine notwendige Bedingung für ihre Zentrierungskraft ist, überstrapaziert wird.

Möglicherweise liegt auch in dem als Kapitel acht wieder abgedruckten Aufsatz "How innovative was the Reformation?" (254-272) eine Möglichkeit, das Konzept der Zentrierung noch weiter zu verflüssigen: H. entwirft mit wohltuender methodischer Klarheit eine Mehrzahl von Formen von Innovation, die die Möglichkeit geben, entsprechende Vorgänge differenziert zu beschreiben. Der Aufsatz bleibt aber in der Differenzierung nicht stecken, sondern endet mit einer salomonischen Lösung für das Gesamtverständnis der Reformation: H. vertritt ein "Double Integrative Model" (266): Zum einen versteht er die Reformation als einen Vorgang, der nicht durch diese oder jene Einzelheit, sondern als komplexes Gefüge so viel Neues gebracht hat, dass von einem "radical break and leap" zu sprechen sei (271), andererseits plädiert er für die Möglichkeit, die Reformation als eine Etappe in einer langfristigen Entwicklung zu sehen, "to free the reformation from a grim epochal isolation" (ebd.).

H. versteht es, innerhalb dieses Doppelmodells beide Perspektiven einzunehmen und stark zu machen. Es ist aber kein Zufall, dass er sich für die letztere Position auf die internationale, zumal die amerikanische Forschung beruft. Das ist in dieser englischsprachigen Ausgabe besonders passend. Es ist zu hoffen, dass von dieser Aufsatzsammlung auch Impulse für die deutsche Forschung ausgehen. Denn eine Anwendung des von H. entwickelten Innovationskriteriums auf den Autor selbst könnte nur zu der respektvollen Einsicht kommen, dass in seinen Publikationen eine immer neu inspirierte und inspirierende Bereitschaft und Fähigkeit zur Innovation begegnet.