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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

174–176

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Weber, Hubert Philipp

Titel/Untertitel:

Sünde und Gnade bei Alexander von Hales. Ein Beitrag zur Entwicklung der theologischen Anthropologie im Mittelalter.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2003. 412 S. 8 = Innsbrucker theologische Studien, 63. Kart. Euro 42,00. ISBN 3-7022-2541-2.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Das Werk des "doctor irrefragibilis" Alexander von Hales (AvH) gehört nicht zu den Themen, die oft bearbeitet werden, obwohl AvH unbestritten zu den großen Denkern des Mittelalters zählt. Der Vf. beabsichtigte, seine Arbeit in einen "weiteren Horizont" zu stellen. Er sieht das Werk des AvH "in der augustinischen Tradition" stehend, die "er aufnimmt, verändert, in die franziskanische Tradition einbringt". Diese Denkform prägte kommende Generationen (9).

Vor allem aber prägte AvH für Jahrhunderte die Scholastik damit, dass er die Kommentierung der Sentenzen des Lombarden als eigenständiges Element des Studiums in den Unterricht einführte. Dabei bereicherte er dessen Argumentationen durch alternative Denkwege. Zugleich rang AvH um eine Aristotelesrezeption, die sich mit der christlichen Theologie vereinbaren ließ. Das Interesse an seiner Theologie war groß, vor allem durch die von ihm und seinem Schülerkreis verfasste Summa theologica; aber auch sein Sentenzenkommentar, seine Quaestiones und seine Bibelkommentare waren berühmt. Trotzdem wurden seine Theologie und speziell seine Anthropologie bisher wenig gewürdigt.

Mit AvH beginnt die Hochscholastik, ihr Kennzeichen ist die Kommentierung des Aristoteles. AvH hat dafür gesorgt, dass auch die augustinisch-heilsgeschichtliche Tradition erhalten blieb. Das gilt gerade auch für die Anthropologie: "Wenngleich auch Gott an erster Stelle steht, so ist es immer der Mensch, um dessentwillen er betrachtet wird. ... Der Mensch ist Geschöpf und ist auch Teilhaber der Schöpfung" (47). Zugleich ist aber der Mensch Sünder; "die Sünde des ersten Menschen (steht) stellvertretend für die Sünde jedes Menschen am Anfang seines Lebens, die erste Sünde hat so eine ihr eigentümliche Wirkmächtigkeit erlangt", Gott aber stellt das durch die Sünde zerstörte Schöpfungswerk wieder her (52). So sind die drei Teile des Buches folgerichtig: der Mensch als Geschöpf Gottes; der Mensch unter der Sünde; der Mensch unter der Gnade.

Die Schöpfung wird bei AvH als innertrinitarisches Werk begriffen. Er unterscheidet die Werke der Schöpfung, ihre Formung, ihre Unterscheidung und ihre Fortpflanzung und will somit in Einklang bringen, dass Gott die Schöpfung zugleich hervorbringt und dass dies in sechs Schöpfungstagen geschah. "Die Schöpfung ist um den Menschen herum angeordnet und auf ihn ausgerichtet", aber ihr letztes Ziel ist Gott selbst (79). Die biblische Aussage von der Ebenbildlichkeit des Menschen hält die Scholastik in der Nachfolge Augustins fest. Der Mensch bleibt auf Gott hin ausgerichtet. Zentral ist für AvH zugleich die Aussage vom freien Willen des Menschen, der trotz seiner Sünde ihm erhalten bleibt. Zugleich bestimmt er den Menschen als Person, von deren "Würde" er (wohl erstmals ausdrücklich) spricht. AvH betont: "Der Mensch wird erst wirklich Mensch durch die Gnade" (147), ein Satz, der eigentlich an eine spätere Stelle gehört. Vorerst wird festgehalten, dass der Mensch die Zeugungskraft erhält; dazu wird die Ehe eingesetzt. Sie wird als Heilsmittel gegen die fleischliche Begierde verstanden. Die Ehe zeigt, dass der Mensch in ihr die Gnade mitwirkt (154.156). Der Mensch ist Gottes Gegenüber; beschenkt mit Gnade, selbst seinen Weg zu gehen. Obwohl "seinem wahren Wesen nach gut, frei, würdig, ist [er] tatsächlich sündig und elend" (164).

Im Kapitel "Der Mensch unter der Sünde" spielt natürlich die Frage nach der Erbsünde eine zentrale Rolle. AvH hält fest: "Es ist sowohl nach Augustinus als auch nach Anselm festzuhalten, daß die Nachfahren nicht für die Sünde Adams bestraft werden, sondern für die eigene Sünde. Denn Adam hat nicht nur als Einzelperson gesündigt, sondern die Natur jedes beliebigen Menschen war in ihm. Und deshalb kann jede Sünde die Erbsünde heißen, weil sie einem jeden Menschen eigen und als solche zu verstehen ist." Also ist die Erbsünde eines jeden Menschen Sünde (195). Aber sie behält nicht das letzte Wort; in Christus haben wir sie im gewissen Sinne überwunden, was in der Taufe zeichenhaft zum Ausdruck kommt. Diese ist "Angeld der Erlösung" (203). Erst jetzt hebt der Vf. hervor, dass AvH die Sünde immer als "freie Tat des Menschen aus seinem eigenen Willen heraus" versteht (230). Aber nach dem Sündenfall kann er "von sich aus nichts tun als sündigen" (246). Hier wird der augustinische Ansatz ganz deutlich, was der Vf. hätte betonen sollen. Schließlich sagt AvH, dass "Gott will, daß das Böse geschehe", aber er setzt hinzu: Er "will nicht, das [!] irgendjemand es tut" (256).

Das Gegenstück zum Übel ist für AvH nicht das Gute, sondern die Gnade. Das wird an Maria manifest. Sie sei vom Makel der Erbsünde befreit. Damit "ist mehr geschehen, als die Taufe bewirkt, denn dort werden die Strafen zwar als Strafen getilgt, ihre Wirkung bleibt aber erhalten"; Maria dagegen ist auch von der Wirkung der Strafen völlig befreit (281). Trotzdem behauptet AvH, dass im Sakramentsgeschehen das Gnadenhandeln konkret sichtbar und so ergriffen wird (320.323). Die Gnade wird zum Habitus im Menschen, "der immer wirkt ohne nachzulassen" (331). Aber wiederum nimmt das Sakrament der Buße die Strafen nicht hinweg, "sondern trägt nur zu deren Erleichterung bei" (353). Als Ziel der Anthropologie des AvH nennt der Vf.: "Das ganze Leben des Menschen, von seiner Menschwerdung bis hin zur Gottesschau in der Seligkeit, ist Werk der Gnade. Nichts Gutes geschieht, das nicht Gott getan hat". Zum Guten war er von Gott geschaffen, aber er fällt in Sünde. Nur Gottes Gnade kann ihn daraus retten (374 f.). Hier wird freilich deutlich, dass der Ernst der Sünde, wie ihn Augustin beschreibt, nicht mehr festgehalten wird. Auch fällt auf, wie stark die Anthropologie des AvH vom Verdienstgedanken geprägt ist: "Im alexandrinischen Werk kommt dem Verdienst eine zentrale Stellung zu" (326). Oder: "Es gehört wesentlich zur Menschlichkeit, daß jeder sich das Heil selbst verdienen muß" (291). Doch weiß AvH auch: "Der Mensch, schon gar der Sünder, ist in keiner Weise fähig, ein Verdienst zu erbringen, das würdig ist, das ewige Leben zu erlangen" (336). Dann heißt es wieder: "Jeder muß nach seinen Möglichkeiten Verdienste erwerben, an ihnen wird er gemessen", womit er zu den Verdiensten der Kirche beiträgt, und dass "der die Vergebung der Sünden und das ewige Leben erlangen kann, der sich in das verdienstliche Handeln der Kirche einfügt" (344). Hier wünschte man sich, dass diese unterschiedlichen Aussagen zwar nicht harmonisiert, aber in ihrer Unausgeglichenheit gewürdigt würden.

Die Arbeit macht einen recht soliden Eindruck. Sie ist vor allem systematisch ausgerichtet. Die Schriften des AvH werden als eine Einheit verstanden. Dabei fällt auf, dass zwar in der Einleitung darauf hingewiesen wird, dass die Summa theologica "nicht das Werk eines einzelnen [ist], sondern einer ganzen Schule" (39), sie spielt dann aber in der Darstellung kaum noch eine Rolle. Vielmehr wird die Anthropologie des AvH vor allem aus seinem Sentenzenkommentar erhoben. Leider kann der Leser, der die Schriften des AvH nicht vor sich hat, den Inhalt kaum überprüfen, da nur selten der lateinische Text (etwa in Fußnoten) zitiert wird. Nicht immer einsichtig ist der Verlauf der Arbeit. Die Absicht des Vf.s, die Anthropologie des AvH in einen "weiteren Horizont" zu stellen, wird nicht erfüllt, denn sie wird mit der Anthropologie anderer Scholastiker kaum verglichen. Doch insgesamt stellt die Arbeit, eine Wiener Dissertation von 2001, eine beachtenswerte Leistung dar.