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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

169–171

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

1) Ernst, Stephan 2) Kraml, Hans, u. Gerhard Leibold

Titel/Untertitel:

1) Petrus Abaelardus.

2) Wilhelm von Ockham.

Verlag:

1) Münster: Aschendorff 2003. 213 S. kl.8 = Zugänge zum Denken des Mittelalters, 2. Kart. Euro 14,80. ISBN 3-402-04631-8.

2) Münster: Aschendorff 2003. 144 S. kl.8 = Zugänge zum Denken des Mittelalters, 1. Kart. Euro 9,85. ISBN 3-402-04630-X.

Rezensent:

Volker Leppin

Unter dem Titel "Zugänge zum Denken des Mittelalters" hat der Aschendorff Verlag unter Verantwortung der Mainzer Philosophiehistorikerin Mechthild Dreyer eine neue Reihe begonnen. Dies wird im Klappentext der ersten beiden Bände mit der Notwendigkeit begründet, "ein Wissen um den historischen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontext der Autoren, um ihre je eigene Begrifflichkeit, um die Einflüsse auf ihr Denken sowie um die Wirkung und Rezeption ihres Denkens" zu schaffen.

Die beiden nun vorliegenden ersten Bände zu Wilhelm von Ockham (Kraml/Leibold) und Petrus Abaelard (Ernst) gehen diese Aufgabe innerhalb eines ähnlichen Rahmens und doch unterschiedlich profiliert an. Gemeinsam ist beiden Werken, dass die Biographie des jeweils dargestellten Denkers in ihrem zeitgenössischen Kontext vorgestellt wird. Es folgen Abschnitte zur Werkdarstellung und zur Wirkungsgeschichte sowie ausführliche Wiedergaben von Texten in Übersetzungen, dann Register, beim Ockham-Band zusätzlich noch ein Glossar. Der deutlichste Unterschied zeigt sich in der Art der Werkdarstellung: Während K./L. das uvre Ockhams systematisch rekonstruieren, bietet E. eher eine klassische Einleitung zu den Werken Abaelards.

Angesichts der dezidierten Aussage, dass Ockham "in erster Linie Theologe" war (14), erstaunt es, dass der systematische Aufriss des Bandes von K./L. die Theologie des Venerabilis Inceptor kaum würdigt: Sie orientieren sich an der Ockhamschen Grundunterscheidung in sprachbezogene und sachbezogene Wissenschaften und fügen ihr noch handlungsbezogene Wissenschaften hinzu. Gotteserkenntnis und Bezug auf Gott werden zwar dabei immer wieder thematisiert, aber Metaphysik und Theologie werden nicht wirklich zu einem eigenen Thema. Hiervon abgesehen bieten die Autoren eine gut lesbare Einführung in Ockhams Denken, angemessenerweise vor allem an seiner Logik orientiert. Bei der Behandlung seiner naturphilosophischen Schriften fällt es angenehm auf, dass L. mit seiner Bestreitung der Authentizität mehrerer Schriften Ockhams zwar nicht hinter dem Berg hält, sie aber so vorsichtig in den Text einbringt, dass seine Aussagen auch dann Bestand haben, wenn man ihm in diesen textkritischen Fragen nicht folgen will. Als wenig geglückt erscheint lediglich der Abschnitt über die politischen Werke, da L. diese als bloß polemisches Schrifttum in ihrer auch philosophischen Bedeutung reduziert und damit die Forschungsergebnisse der letzten dreieinhalb Jahrzehnte geradezu konterkariert.

Während bei K./L. auf diese systematischen Darstellungen nur ganz kurze Ausführungen zum historischen Ort der jeweiligen Schriften - seien sie nun original oder Ockham nur zugeschrieben - folgen, stellen diese Einleitungsfragen das Zentrum von E.s inhaltlicher Darstellung dar. E. bietet auf dem neuesten Stand der Forschung und in gründlichem Referat ihres Verlaufs das, was man derzeit zu dem in dieser Hinsicht nicht ganz einfachen uvre Abaelards sagen kann, ordnet die Schriften in die Biographie Abaelards ein und bietet gelegentlich auch knappe, luzide Zusammenfassungen. Das macht dieses Buch in hohem Maße benutzbar als Nachschlagewerk für die Einordnung von Abaelards Schriften und bietet insofern in der Tat einen "Zugang". Bedauerlich ist es, dass der so gewählte Aufbau den erkennbaren inhaltlichen Zugang nicht noch einmal konzentriert darbietet: E. ist, seiner eigenen fachlichen Ausrichtung als Moraltheologe entsprechend, vor allem an den ethischen Schriften Abaelards interessiert und stellt auch bei anderen Schriften wie dem Römerbriefkommentar solche ethischen Fragen in Vordergrund. Von hier aus hätte sich ein systematisch ordnender Zugriff auf Abaelard nahe gelegt, auch wenn man E. in der hiermit verbundenen Hervorhebung der Modernität Abaelards nicht unbedingt folgen muss. Es spricht freilich für seine Zurückhaltung, dass er sich einen solchen systematischen Zugang versagt und die Dienstleistung für den Benutzer in den Vordergrund gestellt hat.

Können beide Werke in dieser inhaltlichen Hinsicht mit ihren unterschiedlichen Zugangsweisen überzeugen, so ist die Verheißung einer historischen, sozialen, politischen und kulturellen Kontextualisierung für das, was beide Bände bieten, vielleicht doch etwas hoch gegriffen: Beide kommen über allgemeine Aussagen zur jeweiligen Zeit ihrer Autoren und lexikonartige Darstellungen ihrer Biographien nicht hinaus. Eine durchgängige Deutung des uvres in seinem historischen Kontext, wie sie etwa Michael Clanchy (Abaelard. Ein mittelalterliches Leben, Darmstadt 2000) in souveräner Weise für Abaelard bietet, ist so in beiden Werken auch nicht in Ansätzen erkennbar. Die Kapitelaufteilung, die jeweils für den Kontext bzw. die Vita ein eigenes Kapitel vorsieht, dem die inhaltlichen Ausführungen erst folgen, erinnert an die klassische Lexikoneinteilung in Leben und Werk, die den Kontext zwar benennt, aber zur Deutung kaum konstitutiv macht.

Ein großer Vorzug beider Bände und wohl des Konzeptes der ganzen Reihe ist hingegen die Verbindung von Darstellung und Texten. Auch wenn man sich gewünscht hätte, dass nicht nur die Übersetzungen, sondern zweisprachige Textbeispiele beigegeben worden wären, bieten die Autoren hier überzeugende Hilfestellung, um einen ersten Geschmack an den jeweils behandelten Denkern zu bekommen. Für die weitere Arbeit verweisen sie gründlich und hilfreich auf zugängliche Editionen und Übersetzungen, so dass auch in diesem handwerklichen Sinne ein Zugang bereitsteht. Zu einem solchen dient in der Regel auch das Literaturverzeichnis, das im Falle des Bandes von E. freilich etwas überladen und auf Grund der chronologischen Anordnung innerhalb von einzelnen Sachpunkten nicht immer ganz übersichtlich ist. Eine schöne Ergänzung im Ockham-Band ist das Glossar, das eine der schwierigsten Hemmschwellen im Umgang mit mittelalterlichen Texten zu senken hilft: die je eigene und oft schwer verständliche Fachsprache der Autoren.

Mit der neuen Reihe hat M. Dreyer ein verdienstliches Unternehmen begonnen, das dazu dienen wird, die nicht nur im evangelischen Raum beklagenswert geringe Kenntnis mittelalterlicher Autoren zu verbessern, indem es hierfür schmale und auch relativ leicht erschwingliche Bücher bereitstellt, die auch in ihrem sprachlichen und inhaltlichen Niveau für Studierende und andere, denen das Mittelalter fremd (geworden) ist, gut zugänglich sind. Die beschriebene konventionelle Machart und ihre Diskrepanz zu dem moderner klingenden Klappentext bringt es dabei zwar mit sich, dass beide Bücher eher einen handbuchartig sammelnden und ordnenden Zugang ermöglichen, als dass sie gedankliche Funkenschläge förderten - und dass dieser Eindruck bei Bänden zu zwei streitbaren und höchst lebendigen Autoren ihrer Zeit entsteht, lässt nicht unbedingt erwarten, dass sich dies in künftigen Bänden ändert. Zu erwarten sind aber weitere solide und für den Studienbetrieb hilfreiche Einleitungen.