Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

165–167

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schwindt, Rainer

Titel/Untertitel:

Das Weltbild des Epheserbriefes. Eine religionsgeschichtlich-exegetische Studie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XIV, 649 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 148. Lw. 119,00. ISBN 3-16-147848-7.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Das Buch untersucht den geistesgeschichtlichen Hintergrund des Epheserbriefes, vor allem im Hinblick darauf, wie er das Weltbild des Briefes vorprägt. Neuere Kommentare zum Eph haben dem "Weltbild des Eph" öfters einen Exkurs gewidmet, so z. B. J. Gnilka (HThK 10/2, 1971, 4. Aufl. 1990, 63-66), A. Lindemann (ZBK 8, 1985, 121-123) oder H. Hübner (HNT 12, 1997, 260-263). Es geht dabei um die Frage, wie nach dem Eph der Kosmos aus "Himmel" und "Erde" aufgebaut ist. Dass der Eph einen eigenartigen Kosmosaufbau voraussetzt, der durch die Bezugspunkte "Himmel" und "Erde" nur sehr vage beschrieben ist, liegt nahe, weil der Brief den himmlischen Bereich eigentümlich benennt (en tois epuraniois, so Eph 1,3. 20; 2,6; 3,10; 6,12). In seinen Kosmos zeichnet der Eph die Präsenz und Wirkung Gottes, Christi, der Kirche und der dämonischen Mächte ein. Das Verständnis des besonderen Weltbildes erleichtert es somit, die Relationen dieser zentralen theologischen Größen im Eph zu verstehen.

R. Schwindt hat zu diesem Thema bei Jost Eckert in Trier eine Promotionsschrift angefertigt, die 2001 angenommen wurde. Die gekürzte Druckversion ist hier zu besprechen. S. unterteilt sein Buch in fünf Kapitel, wobei Kapitel 1 zur Thematik hinführt und Kapitel 5 die Ergebnisse zusammenfasst.

In Kapitel 1 referiert S. Thesen zur religionsgeschichtlichen Einordnung des Eph (7-46). Vor allem in den Referaten zu einschlägigen Monographien von C. E. Arnold (40-43) und E. Faust (43-46, vgl. ThLZ 119 [1995], 641-645; Rezensent A. Lindemann) deutet S. an, dass auch er versuchen wird, den Eph auf dem Hintergrund der ephesischen Gegebenheiten am Ende des 1.Jh.s zu deuten. Nach der Forschungsgeschichte begründet S. die pseudepigraphische Verfasserschaft des Eph vor allem wegen dessen Abhängigkeit vom Kol (46 f.). Die Adressierung an die Epheser im Präskript hält S. für textkritisch sekundär (56), aber für sachlich zutreffend. Die Adressierung stütze sich auf eine zuverlässige mündliche Überlieferung, die schon Ignatius vor allem in der Inscriptio seines Briefes an die Epheser voraussetze (57- 59). S. sagt, das Schreiben sei zunächst nach Ephesus und dann auch an die Gemeinden im westlichen Kleinasien gerichtet (62). Im weiteren Verlauf konzentriert sich S. freilich auf die Metropole.

In Kapitel 2 (63-134) folgt eine Auflistung der im antiken Ephesus nachweisbaren religiösen Praktiken und Götter aus einer sehr gründlichen Durchsicht archäologischer und schriftlicher Quellen. S. vermittelt die vielfältigen Möglichkeiten ephesischer Religiosität. Diese Vielfalt gibt allerdings kaum einen spezifischen Hintergrund zur lokalgeschichtlichen Deutung des Eph. Wer freilich eine Exkursion nach Ephesus plant, findet in den Anmerkungen reiche Literatur zu den Funden.

Das Kapitel 3 (135-350) sammelt chronologisch Weltentwürfe und Ansichten zur Weltbewältigung. S. referiert weit ausgreifend Weltentwürfe vom Alten Orient über die Vorsokratiker, Platon und Aristoteles und viele weitere Stationen. Hier entfaltet S. die Vielfalt des religionsgeschichtlichen Materials, auf dessen Hintergrund er im Kapitel 4 die Weltsicht des Eph erklärt. S. zeigt, wie das Thema der dämonischen Mächte zeitlich im Umfeld des Eph geradezu eine Renaissance erlebt (229; vgl. 361f.). Den Umschwung belegt für S. die lateinische Übersetzung der pseudoaristotelischen Schrift "Peri Kosmou" durch Apuleius von Madaura (238-248), der im 2. Jh. n. Chr. lebte. In der Volksfrömmigkeit erschließt S. eine breite Dämonenverehrung zur Zeit des Eph vor allem aus den Zauberpapyri (310- 325). Gründlich stellt S. das Weltbild Philons dar (325-350). Viele der zusammengetragenen Hintergrundinformationen verwehren es, die Mächte des Eph modernistisch als reine Metaphern für Seelenzustände zu deuten (392 f.467.511). Wer speziell an der religionsgeschichtlichen Einordnung des Eph interessiert ist, wird vielleicht von Kapitel 1 zu Kapitel 4 springen und die dazwischen besprochenen Quellen als Lexikon zu Einzelfragen des Eph verwenden.

In Kapitel 4 (351-508) entfaltet S., wie nach dem Eph Gott aus dem himmlischen Bereich heraus im "Pleroma" wie ein Kraftfeld wirkt. Gott bleibt weitgehend jenseitig, er setzt aber einen Prozess des Durchdringens in Gang, der über Christus, die Kirche und die Seelen der Gläubigen in der Welt wirkt. Die kosmische Funktion Christi entspreche der philonischen Logos-Spekulation (433-449; vgl. 341-349). Die Kirche hat passiv am Erfülltwerden durch Christus teil und erfüllt sodann aktiv die Welt (448). Diesen Prozess der Durchdringung stellt der Eph zwar überwiegend statisch dar, aber er impliziert dabei einen geschichtlichen Verlauf. Zu Recht belegt S. diesen Verlauf mit den vielen eis-Prädikationen, die eine bleibende Aufgabe für die Kirche benennen (506 f.520). Der so allerdings nur angedeutete Bezug zur Geschichte macht den Eph anfällig für weltenthobene Deutungen. Doch S. grenzt das Schreiben wohl zu Recht ab von den fast zeitgleich entstehenden gnostischen Systemen (498-508).

Die durch S. angestrebte Erklärung des Briefes aus dem Lokalmilieu heraus ist als methodischer Versuch grundsätzlich sinnvoll. S. überblickt und durchdringt die dargestellte Primär- und Sekundärliteratur. Wenn S. eine Vorstellung aufgespürt hat, die den Hintergrund des Eph bilden könnte, hat er öfters Mühe, die Bedeutung des Hintergrunds für den Eph zu benennen. Er wählt dann vorsichtige Formulierungen, etwa dass "ein komplexes Traditionsgefüge" vorliege, "das eine Vielzahl von Assoziationen" zulasse (429). Oder eine religionsgeschichtliche Stelle lasse "aufmerken" (469) oder hätte "zumindest mittelbar auf Eph eingewirkt" (471). Das durch S. ausgeleuchtete Material sollte festen Grund gewähren, der dann Konstruktionen zu einer konkreten Geschichte des Eph tragen könnte. Doch obwohl S. sehr viel religionsgeschichtliches Material durchwühlt, sehr viel festen Grund kann er nicht freilegen. Etwa die Stadtgöttin Artemis, resümiert S., überwältige durch "Vielgestaltigkeit und Machtfülle" (134); im Kult dieser Stadtgöttin, teilt S. mit, zeige "sich das ganze Spektrum des damaligen Mächteglaubens" (512). Ein konkretes Milieu oder ein bestimmter "situs" des Eph zeigt sich so kaum. Und was führt noch von dem Kult der Artemis zum Eph, wenn der Eph das Spektrum des damaligen Mächteglaubens "anvisiert" (512)? Welchen Bezug beschreibt dieses "Anvisieren"? Blickt der Eph wohlgemut auf die Gegebenheiten eines Mächteglaubens? Will er seine Hörerinnen und Hörer dort abholen und weiterführen oder blickt er gleichsam durch das geschlossene Visier, um diesen Mächteglauben zu bekämpfen? Die theologische Verarbeitung des rekonstruierten Materials durch den Eph beschreibt S. sehr zaghaft. Gerade wegen des Fleißes, mit dem S. sein Material zusammenträgt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die lokalgeschichtliche Erklärung beim Eph an unüberwindliche Grenzen gerät.

Bei manchen Einzelmotiven, die sich im Eph finden, neigt S. zu einer leichten perspektivischen Überzeichnung der älteren Wurzeln vor allem griechischer Provenienz. Typisch in diesem Sinne schwenkt S. sehr schnell von den paulinischen Wurzeln zu den Vorsokratikern, als er die "mit All-Begriff formulierte[n] Schöpfungsaussagen" (353) vorstellt: Paulus habe "sich analoger Formulierungen bedient (1Kor 8,6; Röm 11,36). Schon bei den ionischen Naturphilosophen ..." (353). S. übergeht bei seinen Darlegungen religionsgeschichtlicher Parallelen auch neutestamentliche Stellen nicht, etwa wenn er die Engelkonzeptionen vorstellt (306-308). Die vom Kol zum Eph führenden Linien bespricht er öfters kurz (434-436.448 f.452 f.). Den Eph als Ganzen zeichnet S. ein in die Entwicklungen der Paulusschule (498-508). Die Rezeption der unbestritten echten Paulusbriefe im Eph allerdings bedenkt S. zu kurz, obwohl er zu Recht annimmt, Eph kenne mehrere Protopaulinen (etwa 1Kor: 354.431; Röm: 449). Hier hätte S. stärker den Ansatz von M. Geses Studie "Das Vermächtnis des Apostels. Die Rezeption der paulinischen Theologie im Epheserbrief" (vgl. ThLZ 124 [1999], 736; Rezensent J. Herzer) für seine Fragestellung adaptieren können. S. benützt das Werk nur marginal (46 f.61.476.506).

Gelegentlich setzt S. Ansichten zu neutestamentlichen Schriften unhinterfragt voraus, die in der Forschung der letzten ein bis zwei Dekaden zumindest problematisiert wurden. Reif für die Geniza der Forschungsgeschichte ist etwa die These, Röm 16 sei ein an die Epheser gerichtetes Schreiben, das sekundär an Röm 1-15 angefügt wurde (502). Etwas zu unhinterfragt angesichts der neueren Anfragen (vor allem durch J. Jervell) behauptet S., Lk stehe dem mosaischen Gesetz reserviert gegenüber (414) und entstamme heidenchristlichem Milieu (417).

Das Buch ist recht ordentlich ediert; bei der Fülle der eingeflochtenen griechischen Zitate beschränken sich die Fehler weitgehend auf falsche Akzente (z. B. 21.183.361.367.426.427.454.468.472.513.518.521). S. trennt gerne Wörter im fortlaufenden Text mit Bindestrichen, manchmal tiefsinnig ("Ver-herr-lichung", 425), recht oft aber scheinen mir feste Trennzeichen bei verändertem Zeilenumbruch stehen geblieben zu sein (95.242, Anm. 632; 245.341.370.419.447, Anm. 437; 488.493.496). Einzelne Literaturangaben konnte ich nicht in den Verzeichnissen (525-613) verifizieren, etwa Luz, Überlegungen (443, Anm. 442; 473, Anm. 536) und W. Eiss, Wochenfest (411, Anm. 291; 415, Anm. 316). S. verkürzt Vornamen konsequent auf den ersten Buchstaben. Mit der Initiale "J." versehen redet S. die Platonspezialistin Jula Kerschensteiner als Mann an (179, Anm. 259).

Doch derartige Versehen sollen die große Leistung und den immensen Fleiß dieser Studie nicht in Zweifel ziehen. Das Buch verdient genaue Lektüre, zumal S. sehr dicht schreibt, gerade dann, wenn er nach ausführlicher Darlegung reichlich vieler Quellen Entwicklungslinien aufzeigt. Nicht nur für den Hintergrund des Eph, sondern auch zu Fragen des Mächte- und Dämonenglaubens, der Engelverehrung und der archäologischen Funde in Ephesus kann die Studie geradezu als Handbuch dienen. Die Anwendung erleichtern Register zu Stellen (stark selektiert: 615-631), zu modernen Autoren (632-643) sowie zu Sachen und Namen (644-649).