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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

162–164

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Endo, Masanobu

Titel/Untertitel:

Creation and Christology. A Study on the Johannine Prologue in the Light of Early Jewish Creation Accounts.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XX, 292 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 149. Kart. Euro 54,00. ISBN 3-16-147789-8.

Rezensent:

Jutta Leonhardt-Balzer

Die Studie ist die überarbeitete Fassung einer Doktorarbeit der University of St. Andrews, Schottland, aus dem Jahr 2000. Sie versucht anhand jüdischer Auslegungstraditionen der Schöpfungsgeschichte aus der Zeit vom 2. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr. den Hintergrund des johanneischen Prologs zu erhellen.

Nach einer kurzen Einleitung zur bisherigen Diskussionslage über den Logos im Johannesprolog wendet sich der Vf. der Untersuchung frühjüdischer Schöpfungsberichte zu, um aufzuzeigen, wie der Johannesprolog von einem mit den alttestamentlichen Schöpfungsberichten und mit jüdischer Literatur vertrauten Leser verstanden wurde. Dazu unterscheidet er "narrative", "deskriptive" und "kurze" Bezüge auf die Schöpfungsgeschichte. Zu den narrativen Schöpfungsberichten zählen nach dem Vf. Jub 2,1-16; 2Henoch 24-33; Sib 1,5-35; 3,8-25; Frg. 3; Josephus Ant 1,27-36 und verschiedene Qumranschriften (1QM10, 8-18; 1QHa9,7-20; 4Q381 Frg. 1 1-12). Deskriptive Schöpfungsberichte findet er in 1Henoch 69,16-25; 2Henoch 47-48; 65-66; 4 Esra 3,3-4; 6,1-6; 2Baruch 14,15-19; 21,4-8; 48,2-10; 54,1-3.13; ApAbr 21,1-22,2; LibAnt 15,5-6; JosAs 8,10-11; 12,1-2; Sirach 16,24-17,14; 39,12- 35; 42,15-43,33 und verschiedenen Qumrantexten (1QS3, 13-4,1; 4Q392 Frg. 1-9; 4Q422 Frg. 1 1-13; 4Q504 Frg. 8 4-10; 11QPsa 26,9-15). Als kurze Verweise auf die Schöpfung untersucht er Jub 12,4.26; LibAnt 60,2-3; ApkAbr 7,10-11; 9,3.9; Jakobsleiter 2,10-14.20; OrMan 1,2-3; Weisheit 7,22; 8,5; 9,1-2.9; 1Baruch 3,32-38 und Sirach 33,7-15. Der Vf. behandelt die Texte in drei Schritten: Kontext der Schöpfungsbezüge, Rekonstruktion des Textes - falls nötig - und Einfluss von Schlüsselpassagen aus dem Alten Testament.

Die narrativen Schöpfungsberichte sind nach dem Vf. ausführliche Nacherzählungen der Schöpfungsgeschichte in Gen 1-2. Die deskriptiven Texte wählen Schwerpunkte aus dem Genesistext aus, wobei ihr Schöpfungsbezug eher interpretativ als narrativ ist. Die kurzen Schöpfungsverweise behandeln die Schöpfung nur nebenbei. Bei allen drei Textarten stellt der Vf. folgende Gemeinsamkeiten fest: Sie nehmen wichtige Elemente aus anderen biblischen Texten auf, z. B. Jes 48,3.13; 55,11. Die Schöpfungsbezüge betonen die Einzigkeit Gottes, seine Allmacht und seine Weisheit. Die Beschreibung des Schöpfungswerks wird von der Aufnahme göttlicher Attribute begleitet. Die Schöpferidentität wird mit der eschatologischen Verheißung verbunden - in den deskriptiven Texten stärker noch als in den narrativen. Ein weiterer Schwerpunkt sind die Erschaffung des Menschen und sein besonderer Platz in der Geschichte. In den Schöpfungsverweisen sind darüber hinaus das Lebens- und das Lichtmotiv in ihren verschiedenen Interpretationen von besonderer Bedeutung.

Der Vf. behandelt Philo lediglich in einem Exkurs, findet aber in Opif ähnliche Motive: Philos Interesse an dem ursprünglichen Plan der Welt, seine Betonung des Monotheismus, des Lichts und Lebens als zugehörig zur göttlichen Identität. Die Logoslehre Philos fasst der Vf. kurz anhand einiger Texte zusammen und versucht zu belegen, dass Philo sich in der Übernahme der platonischen Logosvorstellung vom Judentum wegentwickelt habe und daher für die Erhellung der Hintergründe des Johannesprologs nicht in Frage komme.

In der Untersuchung des Johannesprologs beginnt der Vf. mit einer Quellenanalyse und einer Übersicht über die wichtigsten Ansätze seit Bultmann. Dann erfolgt eine Strukturanalyse mit einem eigenen dreiteiligen Strukturvorschlag (1,1-5; 6-13; 14-18). Eine thematische Analyse des Prologs arbeitet die Verbindung des Logos mit dem Anfang, mit Gott, mit der Schöpfung und mit der Eschatologie heraus. Dabei zieht der Vf. Parallelen zu anderen biblischen Schöpfungstexten, z. B. Jes 48,3. 12-15; 55,11. Er zeigt auf, dass die Schöpfungsbezüge im Prolog, die Verweise auf Licht und Leben, auf die Souveränität Gottes und seine Einzigkeit eine schrittweise Auslegung des Genesistexts in der Tradition jüdischer Schöpfungsbezüge darstellen. Über den Sohnesbegriff verbinde der Prolog auch die im Schöpfungsbezug enthaltenen eschatologischen Erwartungen mit dem Logosbegriff. Nach dieser Rückführung der Motive des Schöpfungsbezugs aus dem Prolog auf die frühjüdische Tradition verfolgt der Vf. sie in einem Folgekapitel weiter durch das Evangelium. In seinem Schlusskapitel fasst er seine Ergebnisse und ihre Konsequenzen zusammen. Mit seiner Arbeit sieht er sowohl die alte These Bultmanns widerlegt, dass der Prolog nicht auf der Basis des Alten Testaments verstanden werden könne, als auch solche Theorien, die Mittlerfiguren als Hintergrund der johanneischen Christologie sehen. Schließlich wendet sich der Vf. gegen eine Überbetonung des Weisheitshintergrundes der johanneischen Christologie, indem er die eschatologische Bedeutung des Wortes im Prolog betont.

Diese Schlussbemerkung gibt Anlass zur Kritik: Der Vf. hat es nicht geschafft, die Verbindung des Prologs zur Weisheit zu widerlegen. Nicht nur zeigen weisheitliche Texte wie Hi 38 f. oder Spr 8,22-36, dass die Schöpfungsbetrachtung in der Weisheitsliteratur enthalten ist. Es ist darüber hinaus im Hinblick auf weisheitliche Texte wie 4Q416-418 unmöglich, die eschatologische Erwartung prinzipiell von der Weisheitsliteratur zu trennen. Demnach gibt es keinen einzigen Aspekt der vom Vf. erarbeiteten Schöpfungsauslegung, der sich nicht auf weisheitlichem Hintergrund verstehen ließe. In seiner undifferenzierten Wahrnehmung des Judentums wird der Vf. auch Philo und dem alexandrinischen Judentum nicht gerecht, wenn er dessen Verbindung zwischen jüdischer Weisheit und platonischer Philosophie als unjüdisch ausschließt. Hier zeigt sich die Schwäche der Arbeit: Der Textumfang ist so gewaltig, dass eine differenzierte Berücksichtigung der für das Verständnis relevanten Themen und ihrer Sekundärliteratur schwer wird. Probleme mit dem Umfang zeigen sich dann auch im Umgang mit dem Johannesprolog. Die Quellen- und Strukturanalyse des Prologs beginnt eine ausführliche Auslegung des Prologs, die dann nicht durchgeführt wird, sondern nur in die thematische Analyse einmündet. Für die Argumentation der Arbeit ist die ausführliche Bearbeitung der Struktur des Johannesprologs jedoch nicht zwingend notwendig. Die Verbindungen zur frühjüdischen Tradition ließen sich auch durch die thematische Analyse allein belegen. Hier ist die Arbeit entweder zu kurz (für einen Kommentar zum Prolog) oder zu lang (für eine Darstellung der thematischen Linien). Darüber hinaus sprengt das folgende Kapitel mit seiner Einbeziehung des gesamten Evangeliums den Rahmen der Arbeit und bleibt doch als weiterführende Studie zu kurz. Dennoch hat der Vf. die Traditionslinien im Umgang mit der Schöpfungsgeschichte vom frühen Judentum bis zum Johannesprolog sehr deutlich herausgearbeitet, und das macht das Verdienst dieses Arbeit aus. In der Darstellung einer so großen Anzahl verschiedener Texte bleibt das Buch ein hilfreicher Beitrag zur Diskussion um die Hintergründe des Johannesprologs.