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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

158–160

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Wanke, Gunther 2) Wanke, Gunther

Titel/Untertitel:

1) Jeremia. Teilbd. 1: Jeremia 1,1-25,14.

2) Jeremia. Teilbd. 2: Jeremia 25,15-52,34.

Verlag:

1) Zürich: Theologischer Verlag Zürich 1995. 228 S. gr.8 = Zürcher Bibelkommentare. AT, 20. Kart. Euro 29,50. ISBN 3-290-10935-6.

2) Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2003. VIII, S. 229-472 gr.8 = Zürcher Bibelkommentare. AT, 20.2. Kart. Euro 29,00. ISBN 3-290-17266-X.

Rezensent:

Ernst Haag

Angesichts der Fülle an theologischen und historischen Problemen, mit denen das Jeremiabuch seinen Ausleger konfrontiert, ist nach eigenem Bekunden der Vf. sich sehr wohl bewusst, dass sein Kommentar nur ein Annäherungsversuch an den Propheten und das ihm zugeschriebene Buch sein kann. Die angesprochene Problematik beginnt bereits bei einem Vergleich der hebräischen mit der griechischen Fassung des Urtextes, die sich beide nicht nur in der Anordnung, sondern auch im Umfang des Textes erheblich unterscheiden. Bekanntlich hat die Septuaginta etwa ein Siebtel Text weniger als der masoretische Text, wobei nur ein Teil dieses Minus auf stilistische Eingriffe der Übersetzer oder auf Abschreibeversehen zurückzuführen ist. Der andere Teil dieses Minus kann nur darin seine Erklärung finden, dass die Septuagintaübersetzer nicht den masoretischen Text, sondern eine kürzere, wahrscheinlich auch ältere Vorlage benutzten. Umstritten ist die Antwort auf die Frage nach der Authentizität der Jeremiaworte in den Prosareden und poetischen Stücken: ein Problem, das durch die Beobachtung verschiedener Stilformen und Textsorten im Jeremiabuch ausgelöst und durch die Frage nach dem Anteil der deuteronomistischen Redaktion an dieser Überlieferung noch verschärft worden ist. Ungeklärt ist auch die Frage nach der Herkunft des Erzählgutes in der zweiten Hälfte des Jeremiabuches. Ein Sonderproblem stellen die so genannten Konfessionen (in Kap. 11-20) dar. Nachdem nämlich die Forschung auf Grund redaktionskritischer Analysen für die Deutung der Konfessionen auch deren Einordnung in den Kontext stärker in Rechnung gestellt hat, kann man beobachten, dass diese Gebetstexte unabhängig von der Beurteilung ihrer Echtheit als Überlieferungszeugnisse aufgefasst werden, mit deren Hilfe man den Propheten nicht nur als Unheilsverkünder, sondern auch als einen an seiner Botschaft Leidenden charakterisieren wollte. Theologische Problematik kennzeichnet aber nicht nur das Mittlerleiden des Propheten, sondern auch den in dem so genannten Trostbüchlein (Kap. 30-31) angesagten "neuen Bund", der als die von Gott selbst herbeigeführte Erneuerung des Gottesverhältnisses die Möglichkeiten des Menschen grundsätzlich übersteigt.

Die hier nur kurz angedeutete Kompliziertheit der Textentstehung und Textentwicklung im Jeremiabuch erlaubt daher dem Vf., wie er einleitend bekennt, gegenwärtig kaum mehr, als hypothetisch einige Grundannahmen vorzustellen, auf deren Basis er seinen Kommentar abgefasst hat.

So wird - selbstverständlich als Ergebnis der Textanalyse - vorausgesetzt, dass Jeremia zur Zeit (Joschijas? und) Jojakims als Unheilsprophet aufgetreten ist und dass er nach 597 v. Chr. zur Zeit Zidkijas dafür geworben hat, die Herrschaft Babels als ein von Gott verhängtes Gericht anzuerkennen und sich nicht dagegen aufzulehnen. Mit einer Heilsverkündigung des Propheten wird nicht gerechnet. Für die Buchentstehung folgt daraus nach der Darstellung des Vf.s, dass nach der Aufnahme des Kerns der Jeremiaüberlieferung in Spruchsammlungen (Kap. 2-6*; 8-10*; 21,11-23,8*; 23,9-32*) eine erste umfangreiche Fassung des Traditionsmaterials in der so genannten deuteronomistischen Redaktion stattgefunden hat. Damals hat man den Spruchsammlungen 2-6* und 8-10* den Berufungsbericht (Kap. 1) vorangestellt, den Hauptteil der Kap. 11-20; 25 daran angefügt und das Ganze mit den Erzählungen Kap. 26 und 36 sowie dem Wort an Baruch Kap. 45 abgerundet. Diese deuteronomistische Redaktion ist dabei nach der Meinung des Vf.s so vorgegangen, dass sie die ihr vorgegebenen Berichte über symbolische Handlungen und Unheilsverkündigungen z. T. integrierend erweiterte und ihre eigenen Beiträge (z. B. 7,1-8,3; 11,1-14; 14,1-15,4) derart in das Ganze eingliederte, dass ihr Verständnis von der Aufgabe und der Bedeutung des Jeremia klar zum Ausdruck kam. Im Rückblick auf die Katastrophe von 587 v. Chr. wollte dieser Redaktor nämlich zeigen, dass die Zerstörung Jerusalems und der Untergang des Staates Juda Jahwes Gericht über deren Verstocktheit gegenüber der Botschaft des Propheten und über deren Unbußfertigkeit war.

Gegen Ende des Exils und/oder in nachexilischer Zeit erfolgte wahrscheinlich in mehreren Schritten die Einschaltung weiteren Erzählgutes (Kap. 27-29; 32-35; 37-43), und zwar ebenfalls im Umfeld deuteronomistischen Denkens. Diese Beobachtungen gehen nach der Auffassung des Vf.s in der Interpretation der Jeremiaüberlieferung über die erste Fassung insofern hinaus, als sie neben anderen vor allem die Möglichkeit künftigen Heils, die Wiederherstellung Israels und die Erneuerung des Gottesverhältnisses in den Blick nehmen (z. B. 29,10-15; 32-33). Zu den jüngsten Bearbeitungen des Jeremiabuches gehören schließlich die Einfügung der Kap. 21-24, das so genannte Trostbüchlein Kap. 30-31, die Konfessionen und die Fremdvölkersprüche Kap. 46-51, mit deren Einfügung Jeremia auch das Amt des Völkerpropheten zugewachsen ist. Hinsichtlich der Kap. 21-24 muss allerdings offen bleiben, wie der Vf. einräumt, ob der Bearbeitung die Spruchsammlungen über die Könige und über die Propheten (21,11-23,32) bereits in der ihr vorliegenden Fassung des Jeremiabuchs oder noch als selbständige Überlieferungen vorlagen. Die Rahmung dieser Kapitel (21,1-10; 24) lässt jedenfalls erkennen, dass diese Bearbeitung auf dem Hintergrund von Auseinandersetzungen im nachexilischen Juda zu sehen ist.

Angesichts der schwierigen Quellenlage zur Person des Propheten in der Frühzeit seines Auftretens - Stellungnahmen zur Emanzipations- und Annexionspolitik Joschijas in 2-6* und 30-31*? - bleibt nach der Auffassung des Vf.s die Rekonstruktion der Anfänge von Jeremias prophetischer Tätigkeit ein offenes Problem. Erst nach Joschijas Tod steht man trotz spärlich fließender Informationen auf festerem Boden.

Auch wer die Textentstehung und Textentwicklung im Jeremiabuch hier und da anders sieht und gewichtet als der Vf., was angesichts der traditions- und redaktionsgeschichtlichen Problematik dieser Prophetie nicht verwunderlich ist, muss ehrlich anerkennen, dass der Vf. sich bei der Kommentierung der Texte durchweg vor apodiktischen Urteilen und Festlegungen hütet, dafür aber ständig mit Blick auf den aktuellen Stand der alttestamentlichen Forschung eine jeweils durch Textanalysen gut begründete und theologisch anregende Exegese bietet. Dem Charakter der Kommentarreihe entsprechend fehlt der wissenschaftliche Apparat und sind auch die Hinweise auf die Sekundärliteratur beschränkt. Gleichwohl liefert der Vf. fern von allem rezeptionsästhetischen Subjektivismus eine stets an der Intention des biblischen Autors orientierte Auslegung, die bei aller Nüchternheit der Darstellung den Leser erfreut und bereichert.