Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

155–158

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lee, Won W.

Titel/Untertitel:

Punishment and Forgiveness in Israel's Migratory Campaign.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XVI, 308 S. gr.8. Kart. US$ 45,00. ISBN 0-8028-0992-8.

Rezensent:

Horst Seebass

Dies Buch des Associate Professor of Old Testament at Calvin College, Grand Rapids/Michigan, ist der konzeptionellen Organisation des Buches Num gewidmet. Lee bekennt sich als Schüler von R. P. Knierim, dem Kollegen von der Claremont Graduate University of Theology, der sich mehrfach zum Gesamtduktus des Buches Num geäußert hat, s. etwa "The Book of Numbers", in: E. Blum u. a. (Hrsg.), Die hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte (FS R. Rendtorff 1990), 155-164. L. hat sich in seinem Werk vorgenommen, auf seine Weise den grundlegenden Gedanken Knierims, dass nach 1,1-10,10 nur ein einziger weiterer Teil mit dem Marsch des heiligtumsgeführten Israel bis an die Grenze Kanaans anzunehmen sei, in eine Theorie umzusetzen, die alle Texte des nicht ganz einfach zu strukturierenden biblischen Buches erfasst. Sein Methodenansatz für dies Unternehmen ist bemerkenswert. Denn er will 1. zum Maßstab aller Urteile über bisherige Versuche zur Strukturbeschreibung "a close reading" des überlieferten Textes machen und 2. nicht einen schon irgendwie kritisch aufbereiteten, sondern den tatsächlich vorliegenden hebräischen Text (soweit er textlich verständlich ist) auf seine innere Konzeption abhören.

L. gliedert seine Untersuchung in drei Kapitel. Ein erstes (1-46) analysiert sehr scharfsinnig sechs "major proposals", die er bei G. B. Gray, M. Noth, P. J. Budd, D. T. Olson (The Death of the Old and the Birth of the New, 1985), J. Milgrom und T. R. Ashley fand (er begründet anmerkungsweise, warum er den sachlich gewichtigen Kommentar von B. A. Levine [AncB 4, 1993 u. 2000] ebenso wenig einbezieht wie den charmanten Kurzkommentar von K. D. Sakenfeld, Journeying with God, 1995, und zwei weitere, weniger gewichtige Kommentare). Im Wege des "close reading" erweist L., dass keiner der Vorschläge dem Textbefund folgt, ja einige sich auch in ihren inneren Kriterien widersprechen, aber trotz nicht völlig einhelliger, immerhin überwiegender Auffassung ein erster Abschnitt in Num 1,1-10,10 gefunden worden ist. Dabei macht er auf unterschiedliche Ebenen der Argumentation aufmerksam, wenn etwa 1,1-10,10 der Region "Sinaiwüste" und das Buchende der Region "Arbot Moab" zugeordnet werden, nicht selten aber ein Mittelteil dem Einzelort Kadesch. Von diesem Befund aus geht er die Aufgabe an, analytisch nachzuvollziehen, dass 10,11- 36,13 konzeptionell von einer einzigen durchgehenden "migratory-sanctuary campaign" bestimmt sind. Vorbereitend schiebt L. (47-72) noch eine Methodenreflexion ein, mit der er sein "close reading" im Konzert anderer Methoden näher definiert. Das dritte Kapitel (73-290) entfaltet dann jene These, dass Num 10,11-36,13 als eine einzige Makrostruktur eine Unterteilung nur noch für kleinere Zusammenhänge erlaubt, aber Einschnitte wie etwa den von 22,1-36,13 (Arbot Moab) oder den eines Beginns der Landnahme mit 20,14-21 (Noth u. a.) oder den von 25,19-26,65 (Olson) eben nicht.

L. setzt damit ein, dass er zunächst mit eigenen Argumenten den Makro-Einschnitt von 10,11 und den als eigene Einheit (!) zu würdigenden Makroabschluss 36,13 begründet (73-119). In einem Mittelteil (119-209) entfaltet er nach der für FOTL entworfenen Methode seine Sicht der in 10,11-36,13 enthaltenen Untereinheiten, die er auf insgesamt 36 bestimmt (121-123): 10,11-36; 11,1-3; 11,4-34; 11,35-12,16; 13,1-14,45; 15,1- 16; 15,17-31; 15,32-36; 15,37-41; 16,1-17,15; 17,16-26; 17,27-18,32; 19,1-22; 20,1-13; 20,14-21; 20,22-29; 21,1-3; 21,4-9; 21,10-20; 21,21-31; 21,32-35; 22,1-24,25; 25,1-18; 25,19-26,65; 27,1-11; 27,12-23; 28,1-30,1; 30,2-17; 31,1- 54; 32,1-42; 33,1-49; 33,50-34,29; 35,1-8; 35,9-34; 36,1- 12; 36,13. L. diskutiert für seine Untereinheiten je sein Verständnis der Endfassung, ehe er im dritten Abschnitt (209-282) dies Verständnis für seine eigentliche These nutzbar macht: dass nämlich die Makrostruktur von 10,11-36,13 durch 13,1-14,45 bestimmt wird. Nachdem die Organisation des israelitischen Lagers in 1,1-10,10, als militärisch mit über 600000 Soldaten und als um das Zeltheiligtum gegliedert sowie von diesem angeführt, konstituiert wurde, beginne mit 10,11-36 der von den in 1,1-10,10 entwickelten Voraussetzungen her aussichtsreiche Eroberungsmarsch des Lagers, der aber bereits in 11,1-3, heftiger in 11,4-34 und als Streit im Führungspersonal durch 11,35-12,16 schon durch mangelnde Konzentration auf das Ziel der Eroberung behindert werde und in der Katastrophe von 13,1-14,45 zum Todesurteil für die Exodusgeneration, ja für Num daraus folgend, zur Beendigung einer Eroberung von Süden her führe. Deswegen begründe der Rest des Buches den Umweg in das Ostjordanland und komme vor der Eroberung Kanaans an ein logisches Ende, wie 36,13 sowohl Num abschließend als auch vom Dtn abgrenzend feststelle. Denn die Eroberung werde erst nach dem wuchtigen Einschub der Abschiedsreden Moses in Jos 1-12 vollendet. In dem Schlusswort von 36,13 möchte L. allerdings dessen Mizwot bereits bei Num15 beginnen lassen und daher 36,13 als Schluss von 10,11-36,12 begreiflich machen.

Aus der Berichterstattung geht hervor, dass der Rezensent das Buch als sehr wichtig sowohl in literar-analytischer als in konzeptionell-theologischer Hinsicht betrachtet. Wenn der Rezensent recht sieht, ist es nach D. T. Olsons Buch von 1985 das bei weitem wichtigste zur Aufklärung der Eigenart des Num-Buches (neben dem 3. Kap. von Mary Dozglas, In the Wilderness, 1993). Dies möge auch daraus hervorgehen, dass der Rezensent sich zur Auseinandersetzung im wissenschaftlichen Gespräch gedrängt fühlt. Dabei müssen nun auch Einzelheiten zur Sprache kommen, die in der bisher gebotenen Übersicht unterbleiben konnten.

1. Mit Bedacht hat L. seinem Buch den Titel gegeben: Punishment and Forgiveness, weil es die von ihm beobachtete Makrostruktur von 10,11- 36,13 bestimme. Für seine Auffassung dieser Makrostruktur spielt daher das Einsetzen von Jahwes Vergebung eine große Rolle, weil er es in Israels Sieg über die Kanaanäer in 21,1-3 findet, also in einem militärischen Anschluss an das Vorhaben von 10,11-36, das mit 13,1-14,45 (Horma!) radikal unterbrochen wurde. Er übersieht, dass Gottes Heil sich für die Nachwachsenden, die ja mit der sterbenden Generation zusammenleben, bereits in 20,1-13 zeigt, da Jahwe dort dem Volk Wasser gespendet wissen wollte, Mose und Aaron dies aber schuldhaft nicht umsetzten und deswegen ihre Führung ins heilige Land verloren. Damit verfallen zwar auch Mose und Aaron der sterbenden Generation; Gottes Handeln am Volk aber ist bereits eindeutig heilvoll. Ebenso hätte L. bei "close reading" nicht so herunterspielen dürfen, dass das Ende der Exodusgeneration tatsächlich erst in 26,64 f. notiert wird und die Beinahkatastrophe von 25,1-15 zwar u. a. auch die nachwachsende Generation traf, aber nicht zufällig erst danach das Ende der vorigen ausdrücklich erscheint, sie also in der Plage von 25, 8b.9 endgültig umkommt (Olson). Das bedeutet: Sünde und Vergebung, vielleicht besser Sanktion und Heilszuwendung, bilden das Grundthema von 10,11-36,13; aber sie sind nicht deren Gliederungsprinzip.

Nimmt man 1,1-10,10 hinzu, so scheint mir das Gliederungsschema für Num sehr einfach: Sinaiwüste 1,1-10,10; 10,11-22,1 Wanderschaft in der weiteren Wüste; 22,1-36,13 Region Arbot Moab, also eine regionale Gliederung, der offenbar auch Redaktionsnotizen entsprechen: 22,1 nach 10,11 u. 26,4.63. Diese Gliederung tastet die von L. erarbeitete Num-Konzeption nicht an, sondern zeigt die Folgen der Sanktion Gottes seit Num 13 f. ebenso wie das im 40. Jahr (wohl 20,1) wieder erfahrbare Heil, das Pinchas in 25,1-15 bei äußerst bedrohlicher Schuld und Plage zu retten weiß. Man beachte auch, dass L. auf S. 245 f. den Sinn von 20,14-21 und 21,1-3 wegen seines unzutreffenden Urteils zu 20,1-13 verfehlt. Dass Israel vor Edom ausweicht, ist wegen 21,21-31 (Moab war stets stärker als Edom) kein Zeichen von Schwäche (so L., 264 f. u. ö.), sondern Respektierung des "Bruders" Edom (20,14). In 21,1-3 geht es nicht um einen neuen Einstieg in Kanaans Eroberung, sondern lediglich um eine Untat von Negebkanaanäern am durchziehenden Israel und Jahwes Erfüllung der Bitte um einen Bannkrieg an jenen. Auch deutet nichts in 20,22-29 darauf, dass Eleasars Einsetzung als Aarons Nachfolger in Ungehorsam geschehe (L., 265). Vielmehr entnimmt L. dies dem Zusatz "Weg des Schilfmeers" in 21,4a, der 14,25 in fehlerhaftem Text aufgreift.

2. "Close reading" erlaubt nicht L.s These (104-111), dass die Mizwot von 36,13 bereits die Gesetzgebung in Num 15; 18; 19 erfassen, obwohl die Wurzel ziwwah gehäuft in Num 15 vorkommt; denn die Syntax von 36,13 bezieht jene deutlich auf den Bereich der Arbot Moab von 22,1-36,12. Wenig einleuchtend sind zudem die Analysen von Num 15; 16 f.; (18), wenn man dem von L. geforderten strengen Maßstab des "close reading" folgt. Denn 15,1-16 und 15,17-31 bilden keine Untereinheiten in Num 15 (L., 135-140), da offensichtlich 15,22-31 nicht bloß 15,17-21, sondern auch 15,1-21 erfassen. Ähnliches gilt für 16,1-17,15 und 17,16-26 als zwei Untereinheiten (L., 142-147). L. bemerkt selbst, dass 17,27 f. sich auf 16,1-17,15 zurückbezieht und damit 17,16-26 als unselbständigen Teil von 16,1-17,28 erfasst. Hier macht sich ein Mangel an Literaturkenntnis bemerkbar, da neuere Ansätze 16,1-17,28 als Einheit zu erfassen erlauben. Warum z. B. verwendet L. nur die erste Lieferung meines Num-Kommentars, als gäbe es vor 2003 nicht längst mehr davon, wo reichlich Literatur nicht nur zu Num 16 f. verzeichnet wird und wo u. a. 17,27 f. deutlich begründet von Num 18 getrennt wird? Ganz merkwürdig muss man auch das Verstecken der großen, sicher für Num sehr bedeutenden Bileam-Perikope als Untereinheit der Untereinheit der Untereinheit der Untereinheit (so 281!) in 21,1-36,13 unter dem Titel "Forgive- ness" nennen. Forgiveness bzw. Heil beginnt, wie gesagt, schon in 20,1- 13, und 22,2-24,25 gewährt einen so gewaltigen Blick auf Israels Gegenwart und Zukunft von außen, durch einen fremden Divinator, dass dies nicht zur Nebensache gemacht werden kann. Vielmehr eröffnet die Bileam-Perikope nach der Trennungsnotiz 22,1 den gewichtigen Teil der Arbot Moab-Sammlung, und einem treuen Fremden, Bileam, tritt danach im Gegenbild ein schrecklich untreues Israel gegenüber (25,1-15).

Wohlgemerkt: diese Bemerkungen zur Durchführung der These L.s beziehen sich auf das von L. treffend herausgestellte Kriterium des "close reading", nicht etwa auf unterschiedliche Auffassungen zu einzelnen Texten, die hier nicht zur Debatte stehen. L.s These fördert nach Meinung des Rezensenten das Verständnis des Buches Num als eines im Pentateuch selbständigen Buches nachdrücklich. Der Gedanke einer Ausrichtung des Ganzen auf eine Vorbereitung der Besetzung/Eroberung des heiligen Landes durch ein vom Jahweheiligtum geheiligtes, militärisch starkes Lager Israels und deren Aufschub wegen eines erschreckenden Fehlverhaltens des Volkes dürfte, weil er abseits von literarkritischen Konzeptionen entwickelt wird, das Endprodukt entscheidend erhellen. Es ergibt sich hier eine Überlagerung der Ideen von Olson durch den Gesichtspunkt von "punishment and forgiveness" bzw. von Sanktion und Heil, vor allem durch den Gedanken einer Weiterführung des ursprünglichen Vorhabens der Besetzung des heiligen Landes, die zu Lebzeiten Moses eben nicht erfolgen kann und darf (20,1- 13), die aber durch Regelungen in sozusagen letzter Minute, vor Moses Abschiedreden, vorbereitet wird.

Der Rezensent fand erfreulich wenig Druckfehler. Die wichtigsten sind: S. 107 ziwwah statt kiwwah, S. 242 'achiijka statt chijka, S. 248, Anm. 242 Qudeirat statt Oudeirat und S. 253 wajjireschu statt wajjirschac.