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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

639 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Burkhardt, Helmut

Titel/Untertitel:

Einführung in die Ethik. Teil I: Grund und Norm sittlichen Handelns (Fundamentalethik)

Verlag:

Gießen-Basel: Brunnen 1996. 188 S. 8. ISBN 3-7655-9416-4

Rezensent:

Heinrich Bedford-Strohm

Die Einführung in die Ethik von Helmut Burkhardt, die aus langjährigem Unterricht am Theologischen Seminar St. Chrischona herausgewachsen und als Lehrbuch konzipiert ist, versteht sich als eine Grundlegung der Ethik, der eine Darlegung der Inhalte der Ethik noch zu folgen hat. Nach der Behandlung einiger Vorfragen (Begriffsklärung, Stellung der Ethik innerhalb der Theologie, Literaturübersicht) werden zunächst vier Entwürfe säkularer Ethik vorgestellt und erörtert: die positivistische Ethik, die utilitaristische Ethik, die naturrechtliche Ethik sowie die Situationsethik. Auf dem Hintergrund einer kritischen Gesamtbeurteilung dieser Entwürfe wird dann eine theologische Ethik entwickelt, deren kennzeichnendes Merkmal ihr theozentrischer Charakter ist. Drei Begründungsansätze theologischer Ethik werden dabei unterschieden und aufeinander bezogen: eine am Israel offenbarten Gesetz orientierte geschichtstheologische Begründung, eine auf die Entwicklung einer christlichen Anthropologie hin orientierte schöpfungstheologische Begründung und schließlich eine die Herrschaft Gottes in Christus in den Blick nehmende eschatologische Begründung.

Die im Buch verarbeitete Literatur führt durchaus über das Spektrum evangelikaler Theologie, insbesondere der Werke Klaus Bockmühls, denen sich der Autor in besonderer Weise verpflichtet weiß, hinaus. An verschiedenen Stellen setzt Burkhardt sich etwa mit der Theologie Karl Barths auseinander. Dennoch bleibt die Auswahl der zugrundegelegten Literatur insgesamt schwer nachvollziehbar und läßt insbesondere aktuellere Diskussionszusammenhänge aus, die über den evangelikalen Bereich hinausgehen. Seine im ersten Teil gegebene Übersicht über die Literatur zur Ethik nennt als Lehrbücher der Ethik die Ethiken von Adolf Schlatter (1914), Karl Heim (1955), Dietrich Bonhoeffer (zuerst 1949 erschienen), Nils Hansen Soe (1949), Wolfgang Trillhaas (1959), Helmut Thielicke (1958 bis 1964), Joseph Höffner (1975) sowie das Handbuch der christlichen Ethik (1978 ff.). Als einziges neueres Lehrbuch wird Klaus Bockmühls "Christliche Lebensführung. Eine Ethik des Dekalogs" (1993) genannt. Die gerade für eine Einführung höchst relevanten Standardwerke von Martin Honecker und Christopher Frey zur theologischen Ethik von 1990 sowie Dietz Langes Ethik von 1992 bleiben völlig unerwähnt.

Auch wenn bei dieser Literaturauswahl eine etwas einseitige Themenwahl vorprogrammiert ist, gelingt dem Autor an vielen Stellen eine knappe und prägnante Zusammenfassung wichtiger und für die theologisch-ethische Urteilsbildung zentraler Diskussionszusammenhänge. Sowohl bei den säkularen Ethikansätzen als auch bei den theologischen Begründungsrichtungen werden Wahrheitsmomente und Grenzen der Plausibilität jeweils insgesamt fair und unabhängig von der je eigenen Position nachvollziehbar dargestellt. Für einen ersten Überblick über diese Positionen und ihre jeweiligen Stärken und Schwächen ist diese Darstellung also durchaus hilfreich.

Daß der Autor selbst indessen eine klare Position vertritt, wird schon daran sichtbar, daß die kritische Abwägung beim geschichtstheologischen und beim schöpfungstheologischen Ansatz vorgenommen wird, eine solche kritische Abwägung beim eschatologischen Ansatz aber fehlt. In der Erläuterung dieses eschatologischen Ansatzes, insbesondere in der zentralen Bedeutung und spezifischen Interpretation des Bekehrungsthemas, kommt der evangelikale Grundansatz des Autors zum Ausdruck. Bekehrung ist etwas Einmaliges: "Das Christ werden ist je einmalig, in sich abgeschlossen und fertig: entweder ist man Christ oder man ist es nicht, d.h. entweder glaubt man an Christus oder nicht. Dazwischen gibt es nichts" (122). Burkhardt spricht die Gefahr des damit verbundenen "geistlichen Hochmut" selbst an (145). Daß er ihr aber zuweilen selbst erliegt, zeigt etwa folgendes Zitat, das er sich zueigen macht: "Bei den Kindern dieser Welt ist die Sünde fahrplanmäßig, bei den Kindern Gottes ist es jedesmal ein Eisenbahnunglück" (144).

Angesichts der Flut dickbäuchiger Buchveröffentlichungen verdient der Versuch, ein grundlegendes Thema auf weniger als 200 Seiten zu bearbeiten, volle Sympathie. Im Hinblick auf eine Tendenz zur weitestmöglichen Eingrenzung des Lernstoffes an den Universitäten mag das Buch bei manchen Studierenden aber die Versuchung wecken, damit die gesamte Vorbereitung auf die Ethikprüfung zu bestreiten. Diese Funktion kann ein solch knappes und in der Literaturauswahl begrenztes Ethikbuch von Umfang und inhaltlicher Schwerpunktsetzung her sicher nicht ausfüllen, zumal es sozialwissenschaftliche Erkenntnisse völlig ignoriert und die sozialethische Dimension der Ethik, abgesehen etwa von einem allerdings in seiner Prägnanz gelungenen Exkurs zur Zwei-Reiche-Lehre (165-168), weitgehend ausblendet.

Das Buch kann durch seine knappe und verständliche Darstellungsweise in verschiedene theologisch-ethische Grundansätze einführen helfen und zudem Grundzüge eines evangelikales Verständnisses von Ethik vor Augen führen. Neben seinem Einführungscharakter ist die Stärke des Buches deswegen seine mögliche Funktion als Dialogangebot evangelikaler Theologie mit anderen Ansätzen von Theologie und der ihr zugrundeliegenden Frömmigkeit