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Ausgabe:

Februar/2005

Spalte:

144 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bachmann, Michael

Titel/Untertitel:

Göttliche Allmacht und theologische Vorsicht. Zu Rezeption, Funktion und Konnotationen des biblisch-frühchristlichen Gottesepithetons pantokrator.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2002. 256 S. 8 = Stuttgarter Bibelstudien, 188. Kart. Euro 23,90. ISBN 3-460-04881-6.

Rezensent:

Marco Frenschkowski

Wer durch den Untertitel dazu verleitet wird, in der hier anzuzeigenden Studie eine enge begriffsgeschichtliche Untersuchung eines nicht ganz zentralen biblischen Gottesepithetons zu vermuten, wird in mehr als einer Hinsicht überrascht. Obwohl von begrenztem Umfang, ist Michael Bachmanns Arbeit eine weit ausholende, systematisch-theologische, exegetische, judaistische und sogar religionspädagogische Gesichtspunkte bedenkende Studie, die für Leserinnen und Leser aller dieser sehr unterschiedlichen Disziplinen von erheblichem Interesse ist. Die traditionelle Redeweise von der Allmacht Gottes ist in vieler Hinsicht fragwürdig geworden.

Diese Fragwürdigkeit wird in den ersten beiden von vier Teilen der Studie entfaltet. Religionspädagogisch ist zu problematisieren, wenn aus dem Allmächtigen der "Alleskönner" wird, dessen Existenz dann leicht dem Prozess des Erwachsen- und Mündigwerdens zum Opfer fällt. Geschichtliche Leiderfahrungen und ihre Zuspitzung im Holocaust verschärfen diese Fragwürdigkeit einer herkömmlichen Rede von göttlicher Allmacht. B. tritt dabei nicht zuletzt in ein bemerkenswertes Gespräch sowohl mit jüdischer Gegenwartstheologie (61-69 u. ö.) als auch mit psychoanalytischen Problematisierungen tradierter Gottesbilder (H. E. Richter, T. Moser) ein. Eine Rückfrage nach biblischen Gesichtspunkten zum "Theodizee-Prozeß" (85-112; man beachte die bewusste Rezeption der forensischen Symbolik) führt zu der Notwendigkeit, den in der griechischen Bibel (etwa 180 Mal in LXX, dort meist für "zebaoth", seltener für "schaddaj") und im frühen Christentum (vor allem Offb., aber etwa auch 2Kor 6, 18 und Did. 10,3) wichtigen Begriff pantokrator eingehend zu untersuchen (zur Begründung dieser Fokussierung s. 122). Dies geschieht im 3. Hauptteil, der damit augenblicklich wohl sorgfältigsten Arbeit, die zu dem Begriff vorliegt (113-195). Ein 4. Hauptteil (196-207) bietet Rück- und Ausblick. Im Rahmen dieser Untersuchungen ergeben sich Differenzierungen von auch systematisch-theologischer Tragweite. Während sich die gegenwärtige Kritik am Theologumenon von der Allmacht Gottes vor allem gegen die (u. a.) mittelalterliche Omnipotenz-Vorstellung richtet (die freilich nicht karikiert werden darf), evoziert das Pantokrator-Epitheton Gott als Souverän und als eschatologische Hoffnungsinstanz. Die Sichtung aller biblischen und außerbiblisch-jüdischen Belege führt zu zahlreichen interessanten Einzelbeobachtungen, die hier nicht vorgeführt werden können.

Auffällig ist, wie oft B. Aussagen und selbst Belegzählungen in vorliegenden Lexikonartikeln widersprechen muss. H. Hommels These, Pantokrator bedeute auch "Allerhalter" (nach einer möglichen Bedeutung von "kratein"), wird widersprochen (19-21.189). Pantokrator ist meist Substantiv (also gegenüber JHWH = kyrios öfters geradezu ein zweiter Gottesname bzw. mit diesem zusammen ein Doppelname) und nur gelegentlich als adjektivische Näherbestimmung zu verstehen (163 f.). Die nicht sehr zahlreichen paganen Belege (die vor allem aus dem antiken Zauber, aus der Orphik und dem Kult, nicht dagegen aus der Philosophie stammen) werden aufgelistet (147-160), aber leider nur wenig inhaltlich gewürdigt; dies ist eines der wenigen Defizite der Studie. Künftige Forschung könnte allenfalls noch stärker die einzelnen Übersetzungen zu den alttestamentlichen Büchern differenzieren, d. h. die von B. zusammengetragenen Beobachtungen zum Sprachgebrauch mit dem zusammenschauen, was wir über Sprache, Stil und Theologie der in die (christliche!) Septuaginta eingeflossenen jüdischen Übersetzungsleistungen wissen. Zu Philon (137) wäre noch die hier nicht uninteressante armenische Nebenüberlieferung zu bedenken (vor allem zu quaest. in Gen und in Ex). B. konstatiert, wie wenig die hebräischen Texte die christliche Auslegung der Septuagintapassagen beeinflusst haben (137, doch vgl. 145).

Insgesamt ergibt sich ein differenziertes Bild der prophetischen, erwählungstheologischen, eschatologischen und sonstigen Bezüge, in denen sich "Machtaussagen" über Gott des griechischen Wortes Pantokrator bedienen. Die Pragmatik und die Rhetorik von Allmachtsaussagen werden künftig stärker zu beachten sein. B.s Untersuchungen münden in den Vorschlag, Pantokrator als "Allherrscher" oder besser noch als "eschatologischer Sieger" zu übertragen (193 f.198) und eine naive Redeweise von Gottes Allmacht zu meiden, deren Aporien biblischen Gottesbildern nicht angelastet werden können. Eine perfekte Übersetzung gibt es nicht, aber B. zeigt, dass sorgfältiges Beachten der präzisen Funktion und der Konnotationen biblischer Aussagen zum Thema Allmacht einen wichtigen Beitrag auch zum neuzeitlichen, zuerst von Leibniz (vgl. 87) formulierten Theodizee-Problem leistet.

Einige Abbildungen, Register und ein umfängliches Literaturverzeichnis schließen den Band ab, dessen umfassende Dokumentation zum Thema eine eigene Hervorhebung verdient. Die vorliegende Rezension hofft dazu beizutragen, dass diese bemerkenswerte Arbeit - in einer primär exegetischen Reihe mit Publikationen von "mittlerem Umfang" erschienen - dennoch gerade auch von systematischen Theologinnen und Theologen gelesen wird und nicht zuletzt als Beitrag zum christlich-jüdischen Gespräch und zur gottesdienstlichen Sprache Gehör findet.