Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

638 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Bruch, Richard

Titel/Untertitel:

Ethik und Naturrecht im deutschen Katholizismus des 18. Jahrhunderts. Von der Tugendethik zur Pflichtethik.

Verlag:

Tübingen: Francke 1997. XI, 319 S. 8. Kart. DM 84,-. ISBN 3-7720-2172-7.

Rezensent:

Wilhelm Ernst

Im 18. Jh. kam es bei katholischen Autoren zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der ein Jh. zuvor von protestantischen Gelehrten entwickelten sogenannten neuen Naturrechtslehre. Im Verlauf dieser Diskussion erfolgte ein Wandel von der bis dahin vorherrschenden aristotelisch geprägten Tugendethik zu einer naturrechtlich orientierten Pflichtethik. Obwohl sich die in dieser Entwicklung durchsetzende Identifizierung von Moralphilosophie oder Ethik und Naturrecht bis in die Mitte des 20. Jh.s fortgesetzt hat, liegt die Erforschung der Anfänge dieser geistigen Bewegung im 18. Jh noch weithin im Dunkel. Die vorliegende Studie will ein Beitrag zur Beseitigung dieses Mangels sein.

Das Werk umfaßt neben Inhaltsübersicht (I-VIII), Vorwort (IX-XI), Einleitung (1-3) und Schluß (293-295), Abkürzungs-, Quellen-, Literatur- und Namensverzeichnis (297-319) eine Abhandlung von drei Teilen (7-296).

Der erste Teil bietet in einer Einführung einen Überblick über die Ethik in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit und über die katholische Naturrechtslehre von der Scholastik im 12. Jh. bis zur spanischen Spätscholastik im 17. Jh., ferner eine Darstellung der nichtkatholischen Naturrechtslehre im 17. und 18. Jh. sowie eine Erörterung über das Neue in der neuen Naturrechtslehre (7-54). Es besteht darin, daß man aus der Naturrechtsma terie eine systematisch geordnete normative Verhaltenslehre im sittlichen und rechtlichen Bereich entwickelte, daß man ferner versuchte, die Welt aus sich selbst heraus und ohne Rückgriff auf Gottes Kausalität zu erklären und daß man der Vernunfterkenntnis ein uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachte, wodurch sich bei den protestantischen Naturrechtlern eine optimistische Sicht bezüglich der Möglichkeit einer natürlichen Theologie und einer natürlichen Sittlichkeitslehre durchsetzte.

Im zweiten Teil bietet der Vf. eine Literargeschichte der katholischen Moralphilosophie und Naturrechtslehre im 18. Jh. (57-174). Er zeigt auf, daß die Naturrechtsauffassung der Protestanten von katholischer Seite anfänglich nur zögernd zur Kenntnis genommen wurde, einige Zeit später aber eine Auseinandersetzung erfolgte, in der sich auch auf katholischer Seite eine naturrechtlich begründete Pflichtethik mit der bekannten Trias der Pflichten gegen Gott, gegen sich selbst und gegen den Mitmenschen durchsetzte. Hierbei ist bemerkenswert, daß auf katholischer Seite die theonome Einstellung vorherrschend blieb und daß sich trotz vielfacher konfessioneller Polemik auf beiden Seiten niemand fand, der nicht das Naturgesetz oder das Naturrecht mit Gott in Verbindung gebracht hätte. Noch in der 2. Hälfte des 18. Jh.s wäre bei den Gebildeten die Leugnung Gottes eine Ungeheuerlichkeit gewesen. Trotz vieler Versuche, die theonome Begründung des Naturrechts zu retten, wuchs in den letzten drei Jahrzehnten des 18. Jh.s die Tendenz, zugunsten einer allgemein annehmbaren Vernunftreligion als Basis vernunftorientierter Verhaltensnormen die konfessionellen Unterschiede zu verwischen.

Im dritten Teil bietet der Vf eine Reihe von thematischen Durchblicken (175-292), wobei er historisch gesehen ein ethisches, ein theologisches und ein juridisches Naturrecht unterscheidet, die Frage nach der Quelle, der Erkennbarkeit und der Verpflichtung des Naturrechts oder Naturgesetzes zu klären sucht und über die von zahlreichen Autoren für die Naturrechtslehre maßgebenden Prinzipien (Konstitutions- und Erkenntnisprinzip) referiert. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, daß das im 18. Jh. zu beobachtende Ringen der Naturrechtler auf beiden Seiten um die Auffindung eines übergeordneten Erkenntnisprinzips, das es gestattete, die in Frage kommenden Verhaltensnormen in logisch-deduktiver Weise aus einem an der Spitze stehenden Obersatz abzuleiten, zu keinem Erfolg geführt hat.

Der Vf. bescheinigt in der mit großer Sorgfalt erstellten Studie den katholischen Naturrechtlern des 18. Jh.s ein intensives Bemühen um das Verständnis des Naturrechts, gesteht aber auch einen Mangel an geistiger Lebendigkeit als Grund dafür ein, daß in dieser Zeit nur sehr wenige selbständige Entwürfe entstanden.