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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

100–102

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Odenthal, Andreas

Titel/Untertitel:

Liturgie als Ritual. Theologische und psychoanalytische Überlegungen zu einer praktisch-theologischen Theorie des Gottesdienstes als Symbolgeschehen.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. 287 S. gr.8 = Praktische Theologie heute, 60. Kart. Euro 25,00. ISBN 3-17-017818-0.

Rezensent:

Lutz Friedrichs

I. Das Buch ist die von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn 2002 angenommene Habilitationsschrift Andreas Odenthals. Er lehrt inzwischen Liturgiewissenschaft an der Universität Fulda. Schon im Vorwort stellt O. betont sein Interesse heraus, dem nachzugehen, was ihn von Kindheit an fasziniert und "unauslöschliche Spuren hinterlassen" habe: das Erlebnis "christlicher Rituale, die eine [...] heilsame Dimension haben, indem sie menschliche Erfahrungen in den Horizont des Glaubens einzubergen vermögen" (9). Darüber hinaus versteht O. sein Buch auch als praktisch-theologischen Beitrag zur Frage der Zeitgemäßheit kirchlich-katholischen Gottesdienstes in der Erlebnisgesellschaft. Das ist überraschend, weil die psychoanalytische Annonce des Untertitels eine solche Stoßrichtung nicht vermuten lässt.

II. Man kann O.s Grundanliegen als den Versuch beschreiben, Bausteine zu einer - in seinem Sinn - erfahrungsbezogenen Gottesdiensttheorie zu skizzieren. Über ein engeres Verständnis des Liturgiewissenschaftlichen hinaus sucht er dazu das Gespräch mit Theologie und Psychoanalyse, um einen "symboltheoretischen" Zugang auszuarbeiten. Dieser stellt sich als Vermittlungsansatz dar, innerhalb dessen Liturgie gleichsam als dritte Ebene zwischen Leben und Glauben ins Spiel kommt oder, anders formuliert, als eine Art rituell-symbolischer Raum, in dem Lebenserfahrungen in ihrer Ambivalenz im Horizont des Glaubens "eingeborgen" (225) werden: Das Ritual "will Leben und Glauben vermitteln und muss so die Schwebe zwischen beiden Bereichen halten" (225).

Der Gang seiner gut nachvollziehbaren Argumentation ist vom Dialog mit seinen intra- und interdisziplinären Gesprächspartnern strukturiert. Von Edward Schillebeeckx und Josef Wohlmuth greift O. das Anliegen einer erfahrungsbezogenen Theologie auf. Im Gespräch mit Donald W. Winnicott, Heinz Kohut und Wilfried R. Bion wird der Erfahrungsbezug psychoanalytisch vertieft und unter Rekurs auf die pastoralpsychologischen Ansätze von Dieter Funke und Heribert Wahl im Sinn einer Theologie symbolischer Erfahrung ausformuliert.

Der Dialog, wie er so im dritten Kapitel (Mensch und Symbol) geführt und im ersten Kapitel (Prolegomena) methodologisch reflektiert ist, habe seinen Konvergenzpunkt im Begriff des Symbolischen. Das von O. favorisierte "Modell der konvergierenden Optionen" erlaube ein sich vertiefendes Verstehen bei Wahrung des je eigenen Profils. Dieses wird im vierten Kapitel (Liturgie als Ritual) praktisch-theologisch "ausgefaltet". In einer den bisherigen Gang zusammenfassenden These (194 f.) wird deutlich gemacht, dass Gottesdienst, als Feier des Pascha-Mysteriums begriffen, ein ritueller Ort symbolischer Erfahrung sei. Wie später exemplarisch am "Opfer" gezeigt wird, bringe Liturgie auch Brüchiges, Ambivalentes, Archaisches zur Darstellung: "Die archaische Dimension des Opfers kann helfen, [...] Ambivalenzen aufzudecken. Gott ist nicht nur licht und rein, sondern auch Geheimnis." (236) So wird deutlich, was O. unter "Erfahrungsbezug" des Liturgischen versteht.

Darüber hinaus wird der Gewinn des Dialogs mit der Psychoanalyse konkret fassbar, weil die Theologie von ihr die Dimension des Unbewussten im Glauben lernen könne. O. legt an dieser Stelle Wert auf Abgrenzungen. Ihm geht es um symbolische Darstellung, nicht um rituell-therapeutische Bearbeitung des Unbewussten. Kann so die Theologie von der Psychoanalyse lernen, so umgekehrt auch die Psychoanalyse von der Theologie, dass ein rituell-symbolisches Begehen des Unbewussten "heilsam" sein könne. Dass die Psychoanalyse in diesem Sinn tatsächlich theologisch befruchtet werden könnte, ist nicht mehr ganz undenkbar, weil in ihr, wenn auch nicht uni sono, inzwischen eine "Enttabuisierung des Glaubens" feststellbar sei (so Eckhard Frick anlässlich der Jahrestagung "Psychoanalyse des Glaubens" [2003] des Dachverbands der Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker, in: HK 57 [2003], 619-623).

III. Die Rekonstruktion der Liturgie als Ritual, wie sie hier vorgelegt wird, ist für das Verstehen liturgischer Prozesse erhellend. Wer, wie O., Liturgie als Form symbolisch-repräsentativer Kommunikation versteht, wird nicht nur aufmerksam auf überbordenden liturgischen "Aktionismus". Auch wird deutlich, dass eine "allzu platte Inszenierung von Gemeinschaft" (221) im Gottesdienst problematisch erscheint. Es gehört zu den ansprechenden Zügen des Buchs, dass es seine elaboriert ausgearbeitete Theorie an sieben "Fallvignetten" (17) exemplarisch in - zugestandener - Zufälligkeit konkretisiert. Was da etwa zum "für eine ganze Gemeinde angeordneten Friedensgruß" (221) zu lesen ist, löst mehr als nur einen "Aha-Effekt" für den aus, der ob solcher christliche Gemeinschaft vermeintlich stiftender Riten peinlich berührt bis schamhaft pflichterfüllend tat, was "verordnet" war. Es ist der liturgisch fundierte und plausible Hinweis auf das Problem rituell gepflegter Klischees christlicher Gemeinschaft, die mehr auf "moralischem Appell" (232) als auf gemeinsam gelebter Frömmigkeit fußen.

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass eben genau an diesen "Fallvignetten" die Frage aufbricht, inwiefern das Buch seinem Anspruch gerecht wird, einen Beitrag zur Frage der Zeitgemäßheit des Gottesdienstes zu leisten. O. arbeitet sich an Grundentscheidungen des II. Vatikanum ab. Von seinem Ansatz aus sucht er "tätige Teilnahme am Gottesdienst einmal anders" (228) zu buchstabieren. Das ist nachvollziehbar, sofern etwa herrschender Aktivismus kritisiert wird (siehe oben). Doch methodisch unzureichend ist das Ausblenden der Rezeptionsbedingungen religiös-kirchlicher Rituale in der Gegenwart. O. nennt im zweiten Kapitel zwar grundlegende "Anfragen", etwa aus der Soziologie (Erlebnisgesellschaft). Aber eine echte Auseinandersetzung damit bleibt das Buch schuldig. Kein Wort etwa dazu, warum der Kirchgang am Sonntagmorgen so stark rückläufig ist (Stichwort "Protestantisierungseffekt"). Kein Wort zu der Frage, inwiefern gegenwärtige Spiritualität überhaupt noch Platz hat im kirchlichen Ritual. Stattdessen nur Bekundungen kulturkritischer Überzeugungen, die "die Formen von gestern" (225) hochhalten, kirchliche Traditionen als "Objektivationen der Erfahrungen Gottes" (226) unangreifbar machen und stark apologetisch anmuten, wenn es etwa heißt, "dass auch der Mensch von heute [ - wer ist das eigentlich, der Mensch von heute? - ] in den altehrwürdigen Formen des Gottesdienstes der Kirche sein Leben und Glauben auszudrücken vermag" (242). Es ist dann kaum noch verwunderlich, wenn O. auf die Herausforderung der Erlebnisgesellschaft letztlich mit (trotzigem?) Beharren auf kultureller Hierarchie der "Hochkultur" antwortet: Liturgie ist für ihn der Akt rituellen "Einfügens" (231) in kirchlich vorgegebene Symbolik "auf einem künstlerisch und dramaturgisch anspruchsvollen Niveau" (219). Ob damit angemessen auf die Herausforderungen unserer Zeit reagiert wird, wage ich zu bezweifeln.

Angesichts dessen sehe ich den Ertrag des Buches auf den liturgisch bedeutsamen Aspekt fokussiert, das Symbolisch-Repräsentative in seiner heilsamen, weil Unbewusstes des Glaubens mit zur Darstellung bringenden Dimension herausgearbeitet zu haben. Doch in der Frage der Zeitgemäßheit kirchlichen Gottesdienstes ist das nur eine - nicht unumstrittene - Facette des Problems.