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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

97 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Köhl, Georg

Titel/Untertitel:

Lern-Ort Praxis. Ein didaktisches Modell, wie Seelsorge gelernt werden kann.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2003. 517 S. gr.8 = Tübinger Perspektiven zur Pastoraltheologie und Religionspädagogik, 15. Kart. Euro 25,90. ISBN 3-8258-5861-8.

Rezensent:

Uta Pohl-Patalong

Die an der Universität Fribourg angenommene Habilitationsschrift hat insofern einen für wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten immer noch ungewöhnlichen Gegenstand, als sie sich eng an einer Praxiskonstellation orientiert, diese ausführlich beschreibt und mit Hilfe von Theoriemodellen praktisch-theologisch reflektiert. Die wahrgenommene Praxis ist die Konzeption der Berufseinführungsphase der pastoralen Berufe im Bistum Trier, in der K. langjährig tätig war. Damit ist schon deutlich, dass das Wort "Seelsorge" im Titel sich nicht, wie evangelischerseits üblich, auf poimenische Zusammenhänge beschränkt, sondern das gesamte pastorale Handeln in den Blick nimmt. K. profiliert mit diesem Ansatz die Berufseinführung als "eigenständigen Lernort von Seelsorge sowie als eigenständigen Ort praktisch-theologischen Arbeitens" (28). Dies ist zumindest in dieser Ausführlichkeit und Detalliertheit sowohl im katholischen als auch im evangelischen Bereich eine Seltenheit.

Dem (modifizierten) Schema "Sehen - urteilen - handeln" folgend bietet der erste Teil "Sehen" eine detaillierte Darstellung der in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelten Praxis der Berufseinführung von Priesteramtskandidaten, Pastoralassistentinnen und Gemeindeassistenten im Bistum Trier, also der Phase nach dem Studium und vor Beginn der selbständigen Berufstätigkeit. Diese Konzeption besitzt Modellcharakter für die deutschen Bistümer, ihre Reflexion in dieser Arbeit hat damit nicht nur auf Grund ihrer bisherigen Einzigartigkeit einen deutlich größeren Horizont als das genannte Bistum. Zudem positioniert sie sich im wissenschaftlichen Theoriediskurs, indem sie Praktische Theologie als Handlungswissenschaft darstellt und praktisch durchführt.

Der zweite Teil - mit "Urteilen" überschrieben - stellt unterschiedliche Theorieansätze aus Psychologie, Theologie und Pädagogik vor, die der Reflexion der dargestellten Praxis dienen: Seelsorgekonzepte, lernpsychologische Überlegungen und die Positionierung von Praktischer Theologie als Handlungswissenschaft. Einen Schwerpunkt legt K. auf das handlungsorientierte berufliche Lernen, das auf erwachsenenpädagogischen Überlegungen basiert. Erwachsenenpädagogische Konzepte, beispielsweise das Lernen in Bürgerinitiativen, das Konzept befreiender Alphabetisierung und die themenzentrierte Interaktion werden illustrierend dargestellt.

Unter den Stichworten "Handeln - Neu-Sehen - Neu-Urteilen" sollen dann im letzten Teil die Berufseinführung didaktisch reflektiert und Konsequenzen für die Deutung und die Weiterentwicklung der Berufseinführungsphase im Bistum Trier gezogen werden. Das Verständnis dieses Kapitels wird leider dadurch erschwert, dass in den ersten Unterkapiteln jeweils neue theoretische Überlegungen herangezogen werden - zum nachvatikanischen Kirchenverständnis ebenso wie zur Lebenssituation von Menschen heute -, die neue, eher allgemein orientierte Reflexionsgänge erfordern. Erst unter 4.4. erfolgt dann der Bezug auf die Berufseinführung. Hier wird das komplexe Theoriedesign jedoch eher eklektisch herangezogen. Der konkrete Ertrag dieser Theoriemodelle für die praktisch-theologische Reflexion des Praxisfeldes ist vorhanden, aber muss manchmal eher vermittelt erschlossen werden. Abschließend werden offene Fragen und Defizite, die auf eine Verfeinerung und Erweiterung der bisherigen Praxis zielen, behandelt. K. klagt hier vor allem eine Erweiterung der Lernfelder im diakonalen und gemeinwesenorientierten Handeln ein. Ferner werden die Didaktik der Berufseinführung mit dem universitären Lernen verbunden und die faktische Interdependenz und die daraus resultierenden Konsequenzen folgerichtig aufgezeigt: Das Studium müsste sich stärker als bisher an den für die Praxis notwendigen Schlüsselqualifikationen orientieren und didaktisch so gestaltet werden, dass der Lebens- und Praxisbezug präsent bleibt.

Die durchgehende Lektüre dieser Arbeit ist keine ganz einfache Aufgabe, nicht nur aus sprachlichen Gründen, sondern vor allem auf Grund der bereits im Inhaltsverzeichnis schwer durchschaubaren Gliederung, die in der Umsetzung nicht deutlicher wird. Ich hätte mir eine deutlichere Markierung dessen gewünscht, was welche Theorie konkret für die praktisch-theologische Reflexion des Praxisgegenstandes nun wirklich austrägt. In ökumenischer Perspektive wären hier auch interessante Einsichten für die Gestaltung des Vikariats in der evangelischen Kirche denkbar gewesen, das derzeit in der Diskussion ist. Im Einzelnen sind aus dieser Arbeit jedoch durchaus interessante Erkenntnisse zu gewinnen, beispielsweise in der Übertragung der erwachsenenpädagogischen Konzepte auf die Berufseinführung kirchlicher Berufe. Der Ansatz und die Anlage der Arbeit, vorhandene Praxis praktisch-theologisch zu reflektieren und auf erneuerte Praxis hinzuführen, ist zudem durchaus gelungen, die Durchführung hätte ich mir jedoch klarer und lesefreundlicher gewünscht.