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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

94–96

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Friedrich, Marcus A.

Titel/Untertitel:

Liturgische Körper. Der Beitrag von Schaulspieltheorien und -techniken für die Pastoralästhetik.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2001. 320 S. gr.8 = Praktische Theologie heute, 54. Kart. Euro 25,00. ISBN 3-17-016882-7.<

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Die bei G. M. Martin in Marburg angefertigte Dissertation ist insofern sehr verdienstvoll, als sie die vielfachen Beziehungen zwischen Liturgie und Theater und die Programme der liturgischen Präsenz theoretisch unterfüttert und zugleich Instrumente der notwendigen (Selbst-)Kritik an die Hand gibt. Dazu werden die Schauspieltheorien von Konstantin S. Stanislawski, Bert Brecht und Jerzy Grotowski vorgestellt und auf das liturgische Handeln bezogen. Es geht F. dabei nicht nur um das Handeln der liturgischen Profis, sondern um die Gemeinde und ihre Gruppen insgesamt. Darum wählt er den Programmbegriff "Pastoralästhetik", der im Wortteil "Pastoral" die Weite des katholischen Verständnisses aufweist und statt von der Liturgie lieber allgemein von "Ästhetik" spricht. Bei F. sind so auch Bibliodrama und liturgische Werkstätten neben dem Gottesdienst immer wieder Bezugspunkte. Diese werden von F. tendenziell bevorzugt, während er beim Sonntagsgottesdienst (und bei denen, die sich mit diesem beschäftigen) eine Verengung befürchtet auf "hochkirchliche liturgische Formeln, die sich auf die Selbstmächtigkeit der Gotteswirkung zurückziehen" (101 f.).

Weil in der bisherigen praktisch-theologischen Literatur schauspielästhetische Ansätze nur punktuell aufgegriffen wurden (u. a. bei K.-H. Bieritz, G. M. Martin, M. Meyer-Blanck, H. Wenz) stellt F. die drei Ansätze in einem spezifischen zweispaltigen Layout dar: In der linken Spalte wird jeweils der theatralische Ansatz (in einer dreimal identischen systematischen Untergliederung) und in der rechten Spalte daneben eine Relektüre (protestantischer) liturgietheologischer Literatur geboten. Damit ist das Buch gut zu überschauen: Vor die Darstellung der drei Ansätze (35-282) ist eine Einleitung zum Thema "Liturg und Liturgin - Schauspieler und Schauspielerin" (11-34) und an den Schluss eine knappe Zusammenfassung ("Liturgische Körper - schöpferisch, episch, spirituell", 283-293) gestellt.

Stanislawski (35-117) erreichte eine Erneuerung der Spielweise durch die schöpferische Arbeit an der Rolle und unter Protest gegen falsches Pathos, Deklamieren und Übertreibung. Dementsprechend, so F., könne der Liturg seine eigenen Ressourcen nur kennen lernen, "wenn er die tradierten Formen liturgischen Handelns hintanstellt" (57). - Bert Brechts episches Theater (118-185) wurde notwendig, weil sich die gesellschaftlichen (vor allem ökonomisch und politisch bedingten) Konflikte der Moderne nicht mehr im Medium persönlichen Erlebens, sondern nur durch Zeigen, Verfremden und kritische Reflexion darstellen ließen. Illusionen gehörten abgeschafft, denn das Gefühl galt Brecht als privat und borniert (134 f.). Liturgisch ergibt sich daraus der Blick nicht nur auf religiöses Leben an sich, sondern der Liturg reflektiert die politischen Rahmenbedingungen liturgischen Erlebens (129), denn es geht ihm um die "gesellschaftliche Relevanz" liturgischer Praxis (171). - Jerzy Grotowskis Konzept des "Armen Theaters" (186- 282) interessierte weniger die Aufführung für ein Publikum (256), sondern die spirituelle Selbsterkenntnis des Menschen durch Darstellung. Der Körper wird ihm zufolge "zum Medium der Selbstentgrenzung und -entdeckung" (213). Es eröffnet sich der Weg zum "ganzen, immanenten und transzendenten Wesen" des Menschen (262). Aus diesem "totalen Akt" (224 f.) ergibt sich dann liturgisch, dass das Individuum eigene Grenzerfahrungen "bedingungslos einbringt" (203).

F. will schließlich alle drei Ansätze fruchtbar gemacht wissen. Sein Schlussplädoyer lautet, dass sich während der theologischen Ausbildung die drei Perspektiven verbinden und Kompetenzen aus allen drei Ansätzen erworben werden (292).

Die Darstellungsform der Arbeit erschließt in klarer Weise die unterschiedlichen theatralischen Ansätze und man wird in Zukunft immer wieder darauf zurückgreifen. Der Weg über die drei Theorien bringt es allerdings mit sich, dass die Voraussetzungen der kommentierten liturgietheologischen Ansätze nicht systematisch kritisiert, sondern jeweils nur im Raster der drei Theorien zum Thema werden. Bisweilen erscheint es so, als ob die Entsprechung zu einem der Ansätze wichtiger wäre als die liturgische Gestaltungsaufgabe selbst. Das führt etwa dazu, dass das Konzept des Rezensenten in Bezug auf Stanislawski (98) und in Bezug auf Brecht (138) gleichermaßen der Kritik unterzogen wird, anstatt grundsätzlich danach zu fragen, was Liturgie ist und welche Chancen und Grenzen darum die drei theatralischen Ansätze haben. Denn so viel man von diesen liturgisch lernen kann: Die Liturgie ist eben nicht nur ästhetische Schau des Lebens (Stanislawski), sie ist nicht nur politisch-ästhetische Praxis (Brecht) und sie ist nicht nur spirituelle Anthropologie (Grotowski). Sie ist alles das in gewisser Hinsicht auch, aber in welcher Hinsicht, das muss systematisch-theologisch geklärt werden - und der eher abwertende Gebrauch von "dogmatisch" (114.132) reicht dazu gerade nicht.

Es wäre demnach (neben allem Positiven, welches dieses Buch erbringt!) eine grundlegende Unterscheidung der Aufgaben von Liturgie und Theater auf dem Hintergrund eines eigenen liturgietheologischen Ansatzes wünschenswert gewesen. So jedoch kann man F.s Konzept selbst aus den Darstellungen nur erschließen: Liturgie als kreative, politisch reflektierte und von engagierten Gruppen getragene innovative Suche nach dem eigenen Ausdruck von Spiritualität. Dieses Konzept ergibt sich vor allem implizit aus der Kritik an anderen Autoren (welche übrigens - außer bei G. M. Martin - nicht gerade zögerlich ausfällt). F.s Präferenz für kreative Prozesse ist deutlich; die spezifische Situation der persönlich authentischen Verkörperung einer individuellen, aber gerade auch überindividuellen Realität von (kirchlicher) Religion im öffentlichen Gottesdienst ist damit aber noch nicht liturgietheologisch umschrieben.

F.s Buch bietet wichtige Ansätze für eine Theologie der liturgischen Bildung und Ausbildung, aber noch keine schauspielästhetisch inspirierte Gottesdiensttheologie. Aber das wäre von einer Dissertation wohl auch zu viel erwartet, wenn diese der Forschung einen eigenständigen und neuen Impuls geben soll. Das aber ist mit dem lesenswerten Buch zweifellos gelungen.