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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

90–92

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wagner, Harald

Titel/Untertitel:

Dogmatik.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2003. 567 S. gr.8 = Kohlhammer Studienbücher Theologie, 18. Kart. Euro 30,00. ISBN 3-17-016469-4.

Rezensent:

Bertram Stubenrauch

Der Münsteraner Systematiker hat ein Opus vorgelegt, das er als "Lese- und Lernbuch katholischer Dogmatik" versteht; es soll "Rahmen, Grundlage und Ausgangspunkt für ein vertieftes Studium bieten", also von propädeutischer Natur sein, und doch ein wenig mehr sein (Vorwort, 5). Das Buch behandelt die Hauptthemen der katholischen Glaubenslehre in zehn als solche ausgewiesenen Traktaten, wie sie momentan, mit leichten Varianten hinsichtlich Benennung und Umfang, an den Hochschulen des deutschen Sprachraums gelehrt werden. Die Reihenfolge der einzelnen Abhandlungen scheint eigenwillig, hat aber ihre innere Logik. W. beginnt, nach einer "Allgemeinen Einleitung", die den wichtigsten Grundfragen der Theologischen Erkenntnislehre (21-54) sowie der Klassifizierung "heutiger Dogmatik" (54-60) gewidmet ist, mit der Ekklesiologie, weil das Christentum "zuerst" erkennbar sei "durch die Gemeinschaft der Kirche" (77). So wird die christliche Glaubenswelt sozusagen induktiv erschlossen: Die Überzeugungen einer "Verstehens- und Verständigungsgemeinschaft" (109) führen in den Kosmos von Fragen, Thesen und Auseinandersetzungen ein, der dem christlichen Dogma Gestalt gegeben hat.

Von der Ekklesiologie geht W. zur Pneumatologie und zur Christologie über. Er behandelt danach das Thema Gnade und Rechtfertigung, referiert über die Sakramente im Allgemeinen und im Besonderen, erörtert die Trinitätslehre, den kirchlichen Schöpfungsglauben und die Eschatologie und schließt mit einem knappen Traktat über die Communio Sanctorum, der faktisch als Mariologie gestaltet ist. Abgesehen von der Theologischen Anthropologie, die sich im Gegensatz zur Pneumatologie offensichtlich noch nicht als eigenes dogmatisches Lehrstück durchgesetzt hat, finden sich also die Kerninhalte der katholischen Glaubenswelt in dem Buch. Als systematischen Leitfaden für seine Darstellung hat W. das Ideal Gemeinschaft gewählt; ihm ist an einer "kommunionalen Dogmatik" gelegen, die von den Kategorien "Teilgabe" und "Teilhabe" (62) lebt und darauf baut, was diesbezüglich in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitet worden ist.

Als ausgewiesener Ökumeniker hat W. für den entsprechenden Weitblick gesorgt. Schon die Einleitung des Buches zeichnet "Wege evangelischer Dogmatik" nach (65-74), und bei Problemkreisen wie Sünde und Rechtfertigung, Sakrament und Wort oder auch der Mariologie sind reformatorische Positionen den römisch-katholischen zur Seite gestellt, wobei, durchaus inspirierend, die Synthese der einzelnen Aussagen entweder bereits geleistet ist oder der Leserschaft als Anregung und Aufgabe überlassen bleibt. Gemäß den Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, in dessen Geist W. schreibt, spielt das heilsgeschichtliche Denken eine fundamentale Rolle: Jeder Traktat basiert auf biblischen Daten (sie sind nicht immer gleich ausführlich), die im Licht der großkirchlichen Dogmen- und Theologiegeschichte interpretiert werden. - Auch hier gibt es Unterschiede: Ausführliche patristische, mittelalterliche und neuzeitliche Daten bietet W. in seiner Gnadenlehre, während die Geschichte des altkirchlichen Christusglaubens oder jene des Trinitätsdogmas im Vergleich dazu als Stenogramme gestaltet sind; vgl. 199-204 und 345-350. Sehr zum Verständnis der dargebotenen Traktate tragen jeweils vorausgeschickte Problemanzeigen bei. W. fällt nicht mit der Tür ins Haus; er steht zunächst gleichsam vor ihm, zeigt auf seine Ecken und Kanten, weist auf renovierungsbedürftige, zum Teil einsturzgefährdete Partien hin und macht umgekehrt darauf aufmerksam, was man bereits erneuert hat. Studierende der Faches Dogmatik werden für diese originelle Art der Hausführung dankbar sein, und nicht nur sie profitieren davon, wenn am Ende eines jeden Traktats angedeutet wird, welche Fragen nach wie vor offen sind und weiterer wissenschaftlicher Investitionen bedürfen.

Mithin kommt wohltuend zum Vorschein, dass die Dogmatik kein museales Fach ist mit Stapeln ehrfurchtgebietender Papiere, sondern dass sie lebt und jeweils die Zeit spiegelt, aus der sie stammt. Überhaupt ist das Buch sehr lebendig, sehr zupackend geschrieben. Es zeigt einen Autor, der langjährige Lehrerfahrung besitzt und deshalb in der Lage ist, das Gesamtgebiet der Dogmatik sowohl zu überblicken als auch für ein breites Publikum begehbar zu machen. Dass man sich mit Gesamtdarstellungen freilich besonders schnell der Kritik aussetzt, hat W. vorausgesehen und deshalb in seinem Vorwort den Rezensierenden einigen Wind aus den Segeln genommen (vgl. Vorwort, 5: "Das Buch hätte schon verloren, wenn es daraufhin befragt wird, warum dieser Aufsatz und nicht ein anderer genannt ist, im Einzelnen jener Zugang gewählt ist und nicht ein anderer"). Nun, mir geht es nicht um diesen oder jenen Aufsatz (es wird sehr viel genannt und auch verarbeitet, manches ein wenig rasch abgetan), sondern um einige Beobachtungen, die sich mir bei der Lektüre des Buches aufgedrängt haben und die zum Teil nicht nur seinen Autor betreffen.

Da ist zunächst einmal der als Erkenntnis- und Methodenbegriff bemühte Communio-Gedanke. W. führt ihn am Beginn seiner Ausführungen eigens ein und kommt dann öfters auf ihn zu sprechen (vgl. 60-62.88-94.322 f.). Dennoch wird er eher nominell gebraucht. Das fällt besonders bei der Trinitätslehre W.s ins Auge, die laut Überschrift als "Die Fülle der Communio" zu gelten hat, ohne in diesem Sinn dezidiert durchbuchstabiert zu sein. Ich vermute, dass die überkommene, bei aller Praktikabilität doch sehr schematische Einteilung der katholischen Schul-Dogmatik in stark eigengeprägte, auch ziemlich eingefahrene Traktate das konsequent leitmotivische Arbeiten erschwert. Aber warum trägt man sie dann so strikt weiter? Die Entschiedenheit W.s, Dogmatik kurz und bündig vorzutragen, ist für das Wagnis eines einbändigen Lehrbuches unerlässlich und im vorliegenden Fall auch zielführend gewesen. Allerdings kommt mir die Gewichtsverteilung etwas unausgewogen vor: Es finden sich informationsreiche Übersichten - etwa zur Theologie des Wortes (288-293) oder zur so genannten Endentscheidungshypothese (451-454) - neben Passagen, deren Informationswert gegen Null tendiert: so die Andeutungen über das Wesen der Kirche als Traditionsgemeinschaft (111) oder zur Theodizeefrage (374 f.). Was die Sichtung neuester dogmatischer Herausforderungen von philosophischer oder naturwissenschaftlicher Seite her betrifft, so muss sich das vorliegende Opus wohl die gleiche Frage gefallen lassen, wie sie in letzter Zeit auch an groß angelegte, mehrbändige Dogmatiken mit vielen Autoren und Autorinnen herangetragen worden ist: Wo bleibt die Auseinandersetzung mit postmodernen, poststrukturalistischen, sprachkritischen Erwägungen, die das theologische Reden von Offenbarung, Communio, Subjekt und Heilsgeschichte nachhaltig bedrohen? Hier hat die Dogmatikerzunft generell Nachholbedarf - was freilich voraussetzt, dass man, wie W. es getan hat, das Überkommene neu durchgeht, planvoll aufbereitet und für weiteres Nachdenken verfügbar macht.