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Ausgabe: | Januar/2005 |
Spalte: | 78–80 |
Kategorie: | Christliche Kunst und Literatur |
Autor/Hrsg.: | Zentrum für Medien Kunst Kultur im Amt für Gemeindedienst der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers u. Kunstdienst der Evangelischen Kirche Berlin [Hrsg.] |
Titel/Untertitel: | Kirchenräume - Kunsträume. Hintergründe, Erfahrungsberichte, Praxisanleitungen für den Umgang mit zeitgenössischer Kunst in Kirchen. Ein Handbuch. |
Verlag: | Münster-Hamburg-London: LIT 2002. 377 S. m. Abb. u. Tab. = Ästhetik - Theologie - Liturgik, 17. Kart. Euro 15,90. ISBN 3-8258-5197-4. |
Rezensent: | Sebastian Engelbrecht |
Nach langer Vorherrschaft einer puristischen Theologie des Wortes gewinnt der Dialog zwischen Kirche und Kunst mehr Raum. Die Chance dieses Raumgewinns liegt nach Auffassung der Herausgeber des Sammelbandes für beide Seiten nicht in der gegenseitigen Vereinnahmung, sondern in der "Polarität". Darin besteht das Credo dieser Aufsatzsammlung. Sie sucht nicht nach einer Harmonisierung des ungleichen Paars, sondern lobt den "positiven Irritationseffekt" (Hans-Werner Dannowski) der Beziehung zwischen Kirche und Kunst. Und sie erinnert an die Kunst als eine Kommunikationsform, die nicht an Sprachen gebunden ist, zugleich aber eine "universelle Sprache" artikuliert, die einer "Kirche der Ökumene" gut zu Gesicht steht (Manfred Richter).
Die Ausgangsthese wird in den verschiedenen Bereichen der Kunst verifiziert: Kirchenarchitektur, Bildende Kunst, Musik, Literatur, Tanz, Theater und Film. An diese grundlegenden Reflexionen schließen sich Kapitel über "Handlungskonzepte", "Finanzierungsmodelle" sowie weitere "Hinweise" an, in denen es um konkrete Probleme bei der Verwirklichung der theoretischen Vorgaben in der Gemeinde geht. Jüngere Dokumente aus der Arbeit von kirchlichen Kunstbeauftragten und -gremien sowie aus dem Umfeld dieser Szene schließen den Band ab.
Insgesamt 36 Autoren bieten in 39 Aufsätzen eine Synopse von den Intentionen derer, die an der Begegnung von Kunst und Religion arbeiten. Die Fülle der kurzen Einzelaufsätze bringt kaum Überschaubarkeit. Genau dies aber könnte im Sinne der Herausgeber Manfred Richter und Klaus Hoffmann sein. Ihr Handbuch verstehen sie als Füllhorn der Anregungen, nicht als Dogmatik für Insider.
Die Beiträge zur Kirchenarchitektur kreisen um den nun auch im Protestantismus entdeckten Begriff des Sakralen. Horst Schwebel rät in seinem Aufsatz über "Evangelium und Raumgestalt" zur Vorsicht. Wer Sakaralität propagiert, läuft nach Schwebel Gefahr, diese an "bestimmte Gestaltungsmerkmale und Wirkungsweisen von Architektur" zu binden. Er empfiehlt, es beim Ziel des "Höchstmaßes an architektonischer und künstlerischer Qualität" zu belassen. Damit begibt sich Schwebel auch in einen Gegensatz zu Oskar Söhngen, für den ein moderner Kirchenraum "jenes undefinierbaren Mehr bedarf, das mit dem Ausdruck sakral gemeint ist". Schwebel orientiert sich statt am Sakralitätsbegriff lieber an Martin Luthers Predigt zur Einweihung der Schlosskapelle in Torgau von 1544. Danach ist der Kirchenraum nichts weiter als ein Ort des Dialogs: der Ort, an dem Gott mit den Menschen durch sein heiliges Wort redet und die Gemeinde mit dem Lobgesang antwortet. Das Kirchengebäude ist kein medium salutis. Entsprechend sind Überlegungen zur Gestalt von Kirchen für Schwebel anthropologischer, nicht theologischer Natur.
Dagegen trauen Martin Benn und Markus Zink dem Kirchenraum eine eigene Verkündigungsfunktion zu: "Raumgestalt ist eine Weise der Verkündigung". Der Raum antwortet ihrer Auffassung nach auf die "religiösen Grundbedürfnisse". Die Autoren entwerfen ein Modell vom "sprechenden Raum" und plädieren für geöffnete Kirchen, um das Sprechen dieser Räume zu ermöglichen. Im sakralen Raum als solchem sehen sie "ein großes brachliegendes Kapital" und empfehlen die bewusste Gestaltung von Sakralität durch "Kerzenecken, Gästebuch für Gebet und Meinung, Kinderecke und künstlerische Gestaltung". Dadurch lasse sich die "Anziehungskraft" dieser Orte noch erhöhen.
Erfrischenderweise - und im Kontrast zu den zuvor dargestellten innerkirchlichen Blickwinkeln - weist der Architekt Bernhard Hirche das Sakrale im Profanen nach, zum Beispiel im Thermalbad von Vals, gebaut von Peter Zumthor ("Dort finden Rituale statt"). Umgekehrt erkennt Hirche Profanes im vermeintlich sakralen Raum, einer von ihm entworfenen Kirche: den Projektor, die elektrische Liedbuchanzeige, die per Knopfdruck herunterfahrbare Leinwand für Bildmeditationen.
Solche Dialektik zieht Manfred Richter, Leiter des Kunstdienstes der Evangelischen Kirche mit Sitz im Berliner Dom, der "dialektischen Theologie" vor. Dieser sei es nicht gelungen, große zeitgenössische Kunst "im Bilde" von van Gogh bis Beckmann in die Kirchenräume zu holen. Richter stellt in seinem Aufsatz die eigenen Bemühungen dar, das rückständige Kunstverständnis vieler Gemeinden zu überwinden. Am Berliner Dom werden regelmäßig Kunstwerke "situativ" in den Kirchenraum "eingebracht", geraten im Rahmen eines Gottesdienstes oder einer Andacht in den Dialog mit der wilhelminischen Architektur des Hauses sowie mit dem Evangelium. Dabei beruft sich Richter auf Paul Tillichs "Kunstdienst-Rede" von 1930, wonach "kultische Gestaltung" durch Alltag, Gegenwart und Wirklichkeit bestimmt sein muss. Kunstwerke in der Kirche sind für Richter heute gleichsam der Import von "Gegenwart" und bewirken im Kirchenraum die "Begegnung mit Fremdem" oder die "Wiederentdeckung von Vertrautem". Diese Essenz der Begegnung von Kunst und Kirche lässt sich in den meisten Aufsätzen des Bandes wiederfinden: Kunst dient der Transzendierung des scheinbar allzu bekannten Transzendenten. Oder, mit Richters Worten: "Die gebräuchlichsten und wohltemperierten theologischen Worthülsen zerfallen angesichts der Sprengkraft des scheinbar Nichtigen".
Besonders plastisch wird dieser Effekt auch in Jörg Herrmanns Aufsatz über "Kino in der Kirche" deutlich. Er beschreibt die wechselseitige Kontextualisierung von Religion und Film: Der Protestantismus wird gegenwartskulturell kontextualisiert, das Kino religionskulturell. Die Erfahrungen in einer Hamburger "cineastisch-theologischen Arbeitsgemeinschaft" waren wegen des großen öffentlichen Interesses ermutigend. In "liturgischen Filmnächten" zeigten die Initiatoren Streifen wie "Das Schweigen der Lämmer" oder "Blade Runner" in einem "schlichten liturgischen Rahmen" und mit Unterbrechungen, die zur theologischen Interpretation genutzt wurden. Dabei wirkte der Kirchenraum als "atmosphärischer Katalysator". Aus dem Aufeinanderprallen der "Bilderdynamik des Kinos" und der "Wortdominanz der Kirche" ergab sich ein "produktiver Gesprächsbedarf". Herrmann spricht von "wechselseitigen Bereicherungen" der beiden disparaten Milieus und fordert zu Recht, dass die Richtigkeit dieser These durch empirische Untersuchungen überprüft werden müsste.
Hervorzuheben ist schließlich Hans-Werner Dannowskis Appell unter dem Rubrum "Handlungskonzepte". Er beklagt zunächst die "tödliche Langeweile vieler Predigten" auf Grund der "totalen Vorhersehbarkeit des Inhalts" und preist den von diesem Zustand befreienden "Kollisionskurs" von Kirche und Kunst. In der gemeindlichen Praxis sieht Dannowski den Bremsklotz für die fruchtbare Begegnung der beiden in den Kirchenvorständen. Diese müssten mehr "Spielraum geben für den Dialog Gottes mit der Welt".
Dannowski ist der beste Zeuge für den Geist des Bandes. Er will wie die meisten Autoren nicht das "Wort Gottes" gegen die Kunst ausspielen, sondern das Wort durch Kollision mit der Kunst neu zum Strahlen bringen.