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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

70 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Krieger, Gerhard

Titel/Untertitel:

Subjekt und Metaphysik. Die Metaphysik des Johannes Buridan.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2003. 336 S. gr.8 = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge, 65. Kart. Euro 47,00. ISBN 3-402-04015-8.

Rezensent:

Volker Leppin

Buridans Esel erfreut sich als Exempel für die Diskussion der Willensproblematik in der Scholastik einigermaßen ansehnlicher Bekanntheit. Johannes Buridan selbst hingegen, nach dem dieses Fallbeispiel benannt ist, obwohl es in seinem Werk nicht nachweisbar ist, scheint zur Randfigur philosophiehistorischer Diskurse verkommen zu sein. Gerhard Krieger darf auf Grund mehrerer Veröffentlichungen als einer der derzeit besten Kenner des Pariser Magisters aus der Mitte des 14. Jh.s gelten. Nun liegt die überarbeitete Fassung seiner Bonner Habilitationsschrift im Druck vor.

In einem 1. Teil erinnert K. daran, dass in der Via moderna Buridan viel wirkmächtiger war als Wilhelm von Ockham, und begründet einen methodischen Ansatz, der Buridan aus dem Schatten des Venerabilis Inceptor lösen soll: Unter Rückgriff auf Kant findet K. seinen Ansatzpunkt im "Primat der Freiheit oder der praktischen Vernunft bei Buridan" (32). Da er sich hierfür auf die Vorordnung des actus volendi vor den actus intelligendi in Buridans Ethik stützen kann, wäre der Umweg über Kant eigentlich gar nicht nötig - aber mit Kant ist die Perspektive benannt, die als konstruktiver Grundgedanke die gesamte Arbeit bestimmt; übrigens muss dies gar nicht so selbstverständlich von Ockham fortführen, wie K. meint, da ja die von ihm nicht erwähnte Arbeit von Gottfried Martin über Wilhelm von Ockham den Venerabilis Inceptor einer eben solchen Kantischen relecture unterzogen hat, wie sie Buridan nun durch K. widerfährt.

Angesichts dieses Horizonts überrascht es nicht, dass K. im zweiten Teil unter der Überschrift "Subjekt und Begriff" die Apriorität des Wissens darlegen kann. Insofern hierfür die selbstevidente Prinzipienerkenntnis entscheidend ist, wäre freilich eine Einordnung Buridans in die seit den Lehrverurteilungen von 1277 intensivierte Evidenzdiskussion hilfreich gewesen, die bereits eine Fülle von Aussagen bietet, die kantisierend als Behauptung apriorischer Prinzipienerkenntnis lesbar wären und doch ihren Ort in einer dem 18. Jh. gegenüber völlig fremden Diskussionslage haben. Durch die Ausblendung der genetischen Zusammenhänge macht K. Buridan also möglicherweise gerade dort stark, wo er nicht am stärksten oder wenigstens nicht am originellsten ist.

Für den dritten Teil, der der Entfaltung von Buridans Metaphysik gilt, ist der Übergang vom Denken zum Sein, vom erkenntnistheoretisch leitenden Subjekt zur Möglichkeit einer objektbezogenen Ontologie leitend. Buridan leistet dies nach K., indem er es für notwendig erklärt, die von Kontingenz bestimmte Vielfalt des Seienden vermittels eines vorgängigen (absoluten) Begriffs zu erfassen (209) - wiederum stellt sich die Frage, ob diese unter Gebrauch eines Thomas-Zitates (201, Anm. 397) prononciert als neu charakterisierte Position Buridans nicht durch Einordnung in die Debatte um den intellectus agens und passivus, zu der es im 13. Jh. ja reichlich Zeugnisse gibt, stärker kontextualisiert und hinsichtlich ihrer vermeintlichen Originalität relativiert werden könnte bzw. müsste. K. kann jedenfalls auf dieser Basis zeigen, wie eine metaphysische Gotteslehre für Buridan möglich wird und schließlich auch ein Ort für den Anschluss des Glaubens an das metaphysische System gefunden wird, auch wenn K. meint, die biographisch nicht uninteressante lebenslange Bindung Buridans an die artes-Fakulät als "Entscheidung für die philosophische Existenzweise" aus seinem Systemzusammenhang heraus erklären zu können (274).

Die abschließenden Reflexionen streichen noch einmal die weitreichenden Übereinstimmungen heraus, die K. zwischen Kant und Buridan sieht. Damit wird insbesondere der Blumenbergschen Deutung der spätscholastischen Via moderna als Negativfolie für die Genese der Neuzeit widersprochen - ein Widerspruch freilich, der weit offene Türen einrennt, da Blumenbergs Bild von der Via moderna theologie- und philosophiehistorisch längst als obsolet gelten darf. Ohnehin mutet die Ehrenrettung Buridans vermittels einer historische Abstände rasch überspringenden Annäherung an Kant auf einem abstrakten Theorielevel wenig Erfolg versprechend an. Immerhin wird in K.s aus ausgezeichneter, umfassender Textkenntnis schöpfender Arbeit selbst deutlich, dass es auch die Möglichkeit gäbe, Buridans Bedeutung gerade darin zu suchen und zu zeigen, dass man ihn an den Problemkonstellationen seiner Zeit misst.