Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

46–49

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lindemann, Andreas

Titel/Untertitel:

Der Erste Korintherbrief.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. IX, 389 S. gr.8 = Handbuch zum Neuen Testament, 9/I. Kart. Euro 39,00. ISBN 3-16-147473-2.

Rezensent:

Reimund Bieringer

Die erste Bearbeitung der beiden Korintherbriefe in der Reihe "Handbuch zum Neuen Testament" wurde 1907 von Hans Lietzmann vorgelegt, zu dessen Lebzeiten drei Auflagen erschienen (31931). Nach dem Tod Lietzmanns (1942) wurde im Jahre 1949 die vierte Auflage veröffentlicht. Man verzichtete auf eine Neubearbeitung, sondern hatte vielmehr "das Bestreben, H. Lietzmanns Arbeit in ihrem Charakter nach Möglichkeit unverändert zu lassen, zugleich aber die Erträge der neueren Forschung einzuarbeiten" (41949, Vorwort). Daher wählte man die Form der Nachträge. So ergänzte Werner Georg Kümmel die Arbeit Lietzmanns in der vierten Auflage um etwa 30 Seiten zu 1Kor (165-196) und um 18 Seiten zu 2Kor (196-214). Diese ergänzte Auflage wurde 1969, lediglich um einen Literaturnachtrag erweitert, erneut veröffentlicht (51969). In den darauf folgenden Jahren erschien keine weitere Auflage.

Die im Jahre 2000 veröffentlichte völlig neue Bearbeitung des Kommentars war zweifellos notwendig. Mit Andreas Lindemann konnte ein führender Pauluskenner für diese Arbeit gewonnen werden. Vergleicht man den neuen Band mit seinem Vorgänger, so fällt auf, dass der Umfang der Bearbeitung so sehr angewachsen ist, dass es unmöglich wurde, beide Korintherbriefe im selben Band zu besprechen.

Während Lietzmanns Bearbeitung hinsichtlich der Einleitungsfragen zu 1Kor lediglich eine einseitige Inhaltsübersicht bot, finden wir bei L. unter dem Titel "Einleitung" 17 Seiten (1-17). Der Band enthält außerdem fünf Seiten Literaturverzeichnis (19-23) und darüber hinaus zu Beginn der Kommentierung eines jeden Textabschnitts ausführliche Literaturangaben (hauptsächlich deutsch- und englischsprachige Autoren). Der Vorgängerband hatte lediglich eine Seite Literatur enthalten und verwies im Kommentar selbst nur ab und zu auf weitere Literatur. Bei Lietzmann hatte der Kommentar den Charakter der Fußnoten zum deutschen Text des Paulusbriefes und beschränkte sich auf bescheidene 90 Seiten. L. stellt den biblischen Text in eigener Übersetzung seinem auf den vierfachen Umfang angewachsenen Kommentar voraus und unterscheidet ihn durch Fettdruck.

Trotz dieser formalen Unterschiede stellt L. sich bewusst in die Tradition des "Handbuchs" und teilt dessen Ziel, "auf knappem Raum philologische und religionsgeschichtliche Informationen zu liefern, soweit sie für das Verständnis des Textes erforderlich" sind (V). Im Unterschied zu Lietzmann betont L. allerdings:

"Wichtig war mir jetzt vor allem aber auch, den Brief als ein theologisches Dokument zu sehen, d. h. es kommt mir darauf an, den Gedanken- und Argumentationsgang des Paulus inhaltlich zu verfolgen und zu versuchen, ihn wirklich zu verstehen" (V).

In der "Einleitung" behandelt L. die klassischen Einleitungsfragen. Er schließt sich der Tendenz an, 1Kor als ursprüngliche Einheit zu verstehen. "Ausgangspunkt der Exegese des 1Kor ist ... die Annahme der ursprünglichen literarischen Einheitlichkeit; diese ist dann allerdings nicht nur thetisch zu behaupten, sondern vom vorliegenden Text her auch als plausibel zu erweisen" (5).

L. erklärt die "außergewöhnliche Länge" und "die Vielfalt der Themen" (5) als situationsbedingt, denn Paulus gehe hier "nacheinander inhaltlich auf die ihm bekannt gewordenen Probleme ein" (7). L. hält es für unmöglich, 1Kor "von einer bestimmten rhetorischen Theorie her zu interpretieren" (7) oder einer rhetorischen Gattung zuzuweisen. Paulus benutze die Briefform nicht nur als Art und Weise der persönlichen Anwesenheit bei leiblicher Abwesenheit, sondern auch als "ein autoritatives Mittel der Kommunikation mit den Adressaten" (7).

Das Briefkorpus (1,10-15,58) gliedert L. unter Berücksichtigung von Form und Inhalt in fünf Hauptteile: 1) Paulus und die Gemeinde in Korinth (1,10-4,21); 2) Ethisch-moralische Probleme in Korinth (5,1- 7,40); 3) Die Christen und das Götzenopferfleisch (8,1-11,1); 4) Die Versammlungen der Gemeinde (11,2-14,40); 5) Die Auferweckung Christi und die Auferstehung der Toten (15,1-58). Diese Grobgliederung sowie die weitere Untergliederung des 1Kor erfreuen sich in der Forschung, von einigen Ausnahmen abgesehen, allgemeiner Zustimmung. Das zentrale Hauptthema ist nach L. die Paraklese (9), der auch die mehr theologischen Abschnitte (wie etwa das Kapitel über die Auferstehung) untergeordnet seien. Paulus füge die vielfältigen, sich aus der Gemeindesituation ergebenden Themen unter dem Gesichtspunkt der Ekklesiologie zusammen. "Im Grund ... stellt Paulus ... nur ein einziges Thema in den Mittelpunkt, nämlich die ekklesia selber und deren oikodome."

Der Kommentar bietet eine eigene Übersetzung, in der die exegetischen Entscheidungen des Kommentars zum Ausdruck kommen. In runden Klammern werden verdeutlichende Zusätze, Erläuterungen ("d. h." oder "="), alternative Übersetzungen bzw. Lesarten ("oder") oder wörtliche Wiedergaben ("wörtlich") hinzugefügt.

Der Kommentar enthält 20 Exkurse von durchschnittlich etwa einer Seite (in kleinerem Druck; siehe die Liste S. IX). Die Exkurse sind etwa gleichmäßig über die fünf Hauptteile verteilt. Textkritische Probleme, Schriftzitate, Diskussion bestimmter Themen "bei Paulus" im Allgemeinen (ekklesia; Sexualität, Ehe, Ehescheidung; Herrenmahl, Auferstehung), Diskussionen bestimmter Themen im korinthischen Kontext (erides; Sexualität, Ehe, Ehescheidung; Bestreitung der Totenauferstehung) und einiges mehr kommen hier zur Sprache.

Die Auslegung der einzelnen Texteinheiten beginnt mit einer kurzen Analyse von Thema, Gliederung, Argumentationsgang und gegebenenfalls literarkritischen Fragestellungen. Darauf folgt die Detailanalyse der einzelnen Verse. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf einige ausgewählte Beispiele.

In seiner Interpretation von 11,2-16 übernimmt L. etwas zu unkritisch die (von Murphy-O'Connor verteidigte und auch von Schrage übernommene) Position, dass es in dem Abschnitt um die Haarlänge (und nicht um eine Kopfbedeckung bzw. einen Schleier) und von daher um die Verhüllung des Hauptes mit langem (aufgestecktem) Haar geht (237-247). Es wäre wünschenswert gewesen, dass L. sich z. B. mit den ausführlichen Gegenargumenten in J. Delobels Aufsatz (1986), den er in seinem Literaturverzeichnis aufführt, auseinander gesetzt hätte.

In 13,3 sehen sich die Ausleger mit der Frage konfrontiert, sich zwischen den alternativen Lesarten kauchesomai und kauthesomai zu entscheiden. N26 gab im Unterschied zu N25 kauchesomai den Vorzug (allerdings nur mit

Fussnoten:

C