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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

35–37

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Chancey, Mark A.

Titel/Untertitel:

The Myth of a Gentile Galilee.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2002. XVI, 229 S. m. 3Ktn. 8 = Society for New Testament Studies. Monograph Series, 118. Lw. £ 45,00. ISBN 0-521-81487-1.

Rezensent:

Jens Schröter

Zu den wichtigen Entwicklungen der neueren Jesusforschung gehört die erneute Beschäftigung mit Galiläa, dem Herkunfts- und Wirkungsgebiet Jesu. Lange Zeit vorherrschende Stereotypen haben sich dabei als unzutreffend erwiesen, was für künftige Jesusdarstellungen nicht unerhebliche Auswirkungen zeitigen dürfte.

Eine dieser Thesen lautet, Galiläa sei eine multiethnische Region gewesen, das Judentum deshalb nur eine Gruppierung inmitten einer von diversen kulturellen und religiösen Einflüssen geprägten Bevölkerung. Jesus sei folglich bereits früh mit heidnischer Kultur in Kontakt gekommen, habe möglicherweise sogar Theateraufführungen in Sepphoris besucht und in seine Lehre popularphilosophische Einflüsse aufgenommen, unter seinen Nachfolgern - etwa in der postulierten "Q-Gemeinde" - seien sowohl Juden wie Heiden gewesen. Die vorliegende Untersuchung unternimmt es, dieses bis in neueste Publikationen hinein anzutreffende Bild als unhaltbar aufzuzeigen. Sie basiert auf der Dissertation des Vf.s, die von Ed P. Sanders und Eric M. Meyers betreut und 1999 an der Duke University erfolgreich verteidigt wurde.

Die entscheidende Weichenstellung in der neueren Galiläaforschung erfolgte dem Vf. zufolge durch die archäologischen Forschungen der zurückliegenden Jahrzehnte: das Meiron Excavation Project (1971-1977) sowie die verschiedenen amerikanischen und israelischen Ausgrabungskampagnen seit den 80er Jahren des 20. Jh.s. Der Vf. war selbst an dem Sepphoris Regional Project der Duke University unter Leitung von Eric M. und Carol L. Meyers beteiligt. Die Publikation der Ergebnisse dieser Grabungen (etwa durch Meyers und Jonathan L. Reed, auch durch zwei Artikel zu Sepphoris vom Vf. selbst, einer davon gemeinsam mit E. Meyers) verändert Galiläabilder wie das oben genannte grundlegend.

Nach einem Überblick über die Rolle Galiläas in der Jesusforschung zeichnet der Vf. zunächst die politische und demographische Geschichte der Region von der assyrischen Eroberung bis zum 1. Jh. n. Chr. nach. Die durch 2Kön 15,29, assyrische Inschriften sowie die Annalen Tiglat-Pilesars bezeugte Entvölkerung Galiläas durch die Assyrer wird durch die Ausgrabungen bestätigt: Zvi Gals Forschungen in Untergaliläa belegen eine nahezu vollständige Siedlungslücke für das 7. und 6. Jh. Das Bild ändert sich auch in der persischen und griechischen Zeit nur wenig. Die Annahme einer Kontinuität zwischen der galiläischen Bevölkerung der vorassyrischen Zeit und derjenigen aus der Zeit des Zweiten Tempels (so Richard Horsley und bereits Albrecht Alt) ist damit nicht länger aufrecht zu erhalten. Die Rede vom pasa Galilaia allophylon in 1Makk 5,15 beziehe sich auf die von Heiden bewohnte Küstenregion; sie sei zudem als Aufnahme von Jes 8,23 (Galilaia ton ethnon) zu deuten, mit der gleichzeitig auf deuteronomistische Sprache (allophylos als Bezeichnung für die Philister als Feinde der Juden) und die Konzeption von "ganz Israel" angespielt werde. In Folge der Eroberung unter Aristobul (104-103) erhielt Galiläa sodann seine auch für die Zeit Jesu vorauszusetzende Prägung: Die hasmonäische Herrschaft führte zur Gründung neuer jüdischer Siedlungen, gleichzeitig verließen Heiden das galiläische Gebiet. Das von Josephus suggerierte Bild einer "Zwangsjudaisierung" der Bewohner Galiläas erweist sich damit als fragwürdig. Die Präsenz römischer Siedler oder Besatzungstruppen in Galiläa als Folge der römischen Eroberung Palästinas ist vor 120 n. Chr. nicht nachweisbar. Die Herrschaft des Antipas sei von Rücksicht auf die jüdische Bevölkerung Galiläas bestimmt gewesen.

Der Vf. wertet sodann die literarischen und archäologischen Zeugnisse für jüdische bzw. heidnische Bevölkerung in wichtigen Orten Unter- und Obergaliläas in hellenistischer und frührömischer Zeit aus. Ein größerer Abschnitt ist Sepphoris gewidmet, des Weiteren kommen z. B. Nazareth, Kana, Jotapata, Tiberias, Magdala, Kafarnaum, Kafar Hanania, Gischala und Meiron in den Blick. Sepphoris, wo die Ausgrabungen wesentlich weiter vorangeschritten sind als etwa in Tiberias, kann als Beispiel für die spezifische Gestalt urbaner Kultur in (Unter-)Galiläa dienen: Die zu vermutende Bevölkerungszahl war deutlich niedriger als etwa in Cäsarea maritima oder Skythopolis (Reed zufolge ca. 8000-12000), römische oder hellenistische Bauten sind im 1. Jh. nur spärlich vorhanden (ob das Theater zur Zeit Jesu bereits existierte, ist zumindest nicht eindeutig), die bei den Ausgrabungen gefundenen Mikwaot und Steinkrüge sowie die Abwesenheit von Schweineknochen sind Anzeichen für jüdische Bevölkerung. Gemeinsam mit den literarischen Quellen (Evangelien, Josephus, rabbinische Schriften) bezeugen die archäologischen Daten somit, dass Sepphoris in der frührömischen Zeit eine vorrangig jüdische Stadt war. Wie auch im übrigen Galiläa sind die Anzeichen für heidnische Kultur im 1. Jh. dagegen vage und den auf jüdische Prägung weisenden Zeugnissen in keiner Weise gleichwertig.

Teil IV weitet den Blick auf die an Galiläa angrenzenden Gebiete. Das Bild stellt sich hier grundlegend anders dar: Galiläa war von Städten und Regionen umgeben, in denen heidnische Bevölkerung und Kultur den Ton angaben, Juden waren in der Minderheit. Kontakte beschränkten sich allem Anschein nach auf die Grenzgebiete, regelmäßige intensive Beziehungen zwischen der jüdischen Bevölkerung Galiläas und den umgebenden heidnischen Gebieten scheint es nicht gegeben zu haben. Zwar war Galiläa, wie z. B. numismatische Funde belegen, in den Handel mit den umliegenden Gebieten eingebunden, jedoch kein Durchgangsland für den internationalen Warenverkehr.

Am Ende kommt der Vf. auf den neutestamentlichen Befund zu sprechen: Das Zitat von Jes 8,23 in Mt 4,15 sei historisch überbewertet worden. Es erkläre sich aus der auf die Heidenmission gerichteten Perspektive des MtEv, nicht aus den tatsächlichen Gegebenheiten. Die in den Evangelien berichteten (wenigen) Begegnungen Jesu mit Heiden seien dagegen durchaus plausibel.

Die Untersuchung des Vf.s reiht sich ein in die Publikationen, die auf der Grundlage der archäologischen Forschungen das Bild eines heidnischen Galiläa grundsätzlich in Frage stellen. Sie beruht auf solider Kenntnis der Grabungsergebnisse, wie sie in ähnlicher Weise bereits durch Reed dargestellt worden waren. Der Vf. bezieht auch die literarischen Zeugnisse ein und entwirft ein prägnantes Bild des jüdisch geprägten Galiläa als kulturelle Matrix für die Wirksamkeit Jesu.

Zuweilen überzieht der Vf. sein Argument, so etwa, wenn er den hellenistischen Einfluss in Sepphoris oder die Kontakte Galiläas zu den umliegenden Gegenden herunterspielt. Von einer, wenn auch sparsame Öffnung gegenüber hellenistischer Urbanität kann jedoch ebenso ausgegangen werden wie die vom Vf. notierten Handelsbeziehungen zum Umgang mit Nicht-Juden geführt haben. Dem überzeugend dargestellten jüdischen Milieu Galiläas tut dies keinen Abbruch. Für die historische Jesusforschung, wie für die Erforschung des Urchristentums überhaupt, ist mit der vorliegenden Untersuchung trotz dieser Einschränkung ein wichtiger Beitrag geleistet.