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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

29–31

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

1) Isserlin, Benedikt S. J. 2) Isserlin, Benedikt S. J.

Titel/Untertitel:

1) Das Volk der Bibel. Von den Anfängen bis zum Babylonischen Exil. Aus d. Engl. übers. v. B. Jaros-Deckert.

2) The Israelites.

Verlag:

1) Mainz: von Zabern 2001. VIII, 327 S. m. zahlr. Abb. 4 = Kulturgeschichte der Antiken Welt, 84. Geb. Euro 45,00. ISBN 3-8053-2713-7.

2) Minneapolis: Fortress Press 2001. 304 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. gr.8. Kart. US$ 23,00. ISBN 0-8006-3426-8.

Rezensent:

Walter Dietrich

Was an diesem Buch speziell den Theologen und Alttestamentler besticht, sind der weite Horizont und die oft ungewohnte Perspektive, woraus es geschrieben ist. Der mittlerweile über 90-jährige Vf. ist von Haus aus Archäologe und Orientalist, hat in Israel, Griechenland, Italien und Spanien gegraben, war Leiter der Abteilung für Semitistik an der Universität Leeds, erforschte u. a. die Dialekte von Malta und trug bei zur "Encyclopedia of Islam". Dieser Vf. ist also "keiner von uns" - und das tut gut. Mit großer Selbstverständlichkeit porträtiert er das "Volk der Bibel" vom ausgehenden 13. bis ins 6. Jh.: in einer Zeitspanne also, über die minimalistisch verengte oder verängstigte Fachgenossen kaum mehr etwas zu sagen wagen, weil es über sie angeblich nichts Sicheres zu sagen gibt. Und er zieht dazu nachhaltig auch die Bibel als Quelle bei - freilich mit Vorsicht und nach Kräften angereichert durch außerbiblisches literarisches und epigraphisches sowie archäologisches Material (vgl. dazu die Einleitung "Die Quellen und ihre Grenzen", 6-17).

Das Buch ist in seiner deutschen Fassung gut ausgestattet: Festeinband mit farbigem Schutzumschlag, 40 Tafelseiten (teils farbig, wobei die Qualität eher höher ist als in der amerikanischen Ausgangsversion), viele Strichzeichnungen, Landkarten usw. Am Schluss findet sich neben kleineren Tabellen eine ausführliche Bibliographie, die in der deutschen Fassung aktualisiert und hiesigen Bedürfnissen angepasst ist - wobei sich freilich über die Titelauswahl streiten ließe. Unbegreiflich ist das Fehlen jeglicher Register; die amerikanische Version hatte wenigstens einen Personen- und Sachindex, doch wären auch ein Bibelstellen- und ein Ortsregister wünschenswert.

Das eigentliche Textcorpus gliedert sich in drei Hauptteile zu vier, fünf und drei Unterkapiteln (mit jeweils 15 bis 30 Seiten): 1. Teil "Der Schauplatz und seine Akteure": I. Geographie; II. Entstehung Israels; III. Abriss der Geschichte Israels bis zum Ende der Staatlichkeit; IV. Sozialstruktur und Regierungsformen. 2. Teil "Die materielle Kultur": V. Städte und Dörfer; VI. Landwirtschaft; VII. Industrie und Handwerk; VIII. Handel und Wirtschaft; IX. Krieg. 3. Teil "Die Geisteskultur": X. Sprache, Schrift, Literatur; XI. Religion; XII. Kunst.

Der Aufriss verrät einen souveränen Zugriff auf höchst unterschiedliche Fachdisziplinen und Fragehinsichten. Einige wenige inhaltliche Streiflichter mögen einen Eindruck vom Themen- und Aspektreichtum des Buches vermitteln: I: Geologie, Klimazonen, Flora und Fauna, Verkehrswege, Kommunikation. II: Theorien zu Landnahme und Entstehung Israels (eine vernünftige Mixtur aus den neueren Ansätzen; 50 f.: kurze, präzise Information über Hapiru/Hebräer). III: Ein knappes, prägnantes Kompendium der Ereignisgeschichte Israels vom 12. bis zum 6. Jh. IV: Bevölkerungsdichte, soziale Schichtung (95: Nachweis einer "Mittelschicht" im königszeitlichen Israel und Juda), bereits frühe Bindung Israels an Jhwh-Religion, Exodustradition und Monolatrie. V: Die dörflichen Siedlungen in der Eisen I-Zeit, Leben in den Städten (118: Müllbeseitigung!), Architektur (125 f.: Kälte und Nässe in damaligen Wohnhäusern). VI: Sozioökonomische Entwicklungen auf dem Land. VII: Instruktive Zusammenstellung von Daten und Materialien, Zeichnungen, archäologischen Befunden (165: Kupferverhüttung in Timna: nicht-israelitisch); über Töpferhandwerk und Keramikformen (174 f.: Zusammenstellung der wichtigsten Gefäßtypen); zur Leistungsfähigkeit der damaligen Wirtschaft (185-187: Autarkie bei Keramik, Olivenöl und Kleidung, Importzwang bei Metallen). VIII: Phönizische, assyrische, arabische, philistäische, griechische, schließlich israelitische Händler im östlichen Mittelmeerraum. IX: Heeresadministration (erhoben aus den Ostraka von Arad und Lachisch), Versorgung (le-melek-Krughenkel), Ausrüstung, Strategie und Taktik. X: Standardhebräisch und Dialekte, Bildungsstandard (schon 18, auch 230 f.: gegen modischen Minimalismus), Epigraphik (Monumentalinschriften, Ostraka, Siegel, beschriftete Gewichte), biblische Literatur (keine Epik wie in Ugarit, aber Poesie und Prosa; 240-242: Kurzkurs über Narratologie). XI: Biblisches Bild und religionshistorische Wirklichkeit (nicht so weit auseinander wie oft angenommen!), Heiligtümer in Kanaan (Sichem, Bet Schean, Deir 'Alla, Tell Qasile, Aschdod, Ekron) und in Israel (Gibeon, Bet-El, Dan, Jerusalem; Kulthöhen in Hazor, Arad, Lachisch, auf dem Ebal u. a.), Volks- und Hauskult. XII: Mit der Zeit eigene israelitische Kunst, bis Salomo freilich auf niedrigem Niveau; dann zunehmend kunstvolle Kultständer, Elfenbeinschnitzereien, Schmuck, Siegel, Zeichnungen (Kuntillet 'Adschrud), Reliefs; Musik, Instrumente, Tanz.

Eine klare Grenze des Buches liegt in seiner zeitlichen und räumlichen Begrenzung. Natürlich erführe man gern auch etwas über die Lebensumstände und -äußerungen des nachexilischen Israel und des frühen Judentums. Doch müssten dabei die Grenzen Israel-Palästinas entschieden überschritten und völlig neue Zeitumstände erschlossen werden, was der Vf. - ungeachtet seiner immer wieder aufblitzenden Kenntnisse aus dem gesamten (ost)mediterranen Kulturraum - zu Gunsten einer geophysischen und soziohistorischen Kohärenz der Darstellung bewusst unterlässt.

In dem gesetzten Rahmen repräsentiert das Buch weitgehend den neuesten Forschungsstand. Es bietet z. B. Ausführungen zur 1994 gefundenen Tel-Dan-Stele (75) und Literatur zur aktuellen low-chronology-Debatte (306). Der Vf. neigt dazu, den Quellenwert der Bibel relativ hoch zu veranschlagen (sogar und wohl zu weit gehend bei der Chronik!); doch immer wieder - und nicht erst in der deutschen Fassung, sondern schon in der englischen - verweist er einschränkend auf neue kritische und hyperkritische Forschungstendenzen (z. B. 9 zur Pentateuchforschung, 71 zum salomonischen Städtebau, 85 zum Verhältnis Kanaan-Israel, 245 zum Monotheismus).

Ein wohl allzu herkömmliches Bild bewahrt der Vf. von der frühen Königszeit: Tell el-Ful gilt ihm, nach einer überholten These Albrights, immer noch als das Gibea Sauls (126). Wiederholt liest man vom "Imperium" ("empire") Davids und Salomos. David habe sich als religiöser Musiker betätigt (294), sein Hofstaat habe 5600 Personen umfasst (115). Salomos Tempel sei an den Wänden mit Gold überzogen gewesen (263), zu seiner Zeit habe es eine Blüte der literarischen Kultur gegeben (219), die damals entstandene Thronfolgegeschichte sei auch in den Dialogteilen verlässlich, weil es damals eben Lauscher gab (63) ...

Dem Buch ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Durch die Weite seines Horizonts eignet es sich nicht nur für Theologiestudierende, sondern etwa auch für Studierende benachbarter Fächer wie Geschichte, Orientalistik oder Archäologie, überhaupt für Interessierte, die sich der Welt der Bibel nähern wollen. Mit Fug und Recht kann es als Ersatz für Martin Noths "Welt des Alten Testaments" und in mancher Hinsicht auch für Roland de Vaux' "Das Alte Testament und seine Lebensordnungen" gelten. Solider und umfassender als z. B. Thomas Staublis "Begleiter durch das Erste Testament" und Ernst Axel Knaufs "Umwelt des Alten Testaments" führt es in die Lebenswelt Israels und des Alten Testaments ein und bietet das nötige Hintergrundwissen für eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte Israels und den Texten der Hebräischen Bibel.

Die deutsche Übersetzung bewegt sich angemessen zwischen Treue zum Original und Eigenständigkeit in der Stilistik. Allerdings hätte das Buch eine bessere Lektorierung verdient. Da haben sich neben Helvetismen ("sich befindlich", "am Land") allzu viele Ausdrucks-, Grammatik-, speziell Interpunktionsfehler und auch Schreibversehen eingeschlichen. Wer in der Lage ist, darüber hinwegzusehen, wird sich freilich in seinem Lesevergnügen nicht stören lassen.