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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

22–25

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Achenbach, Reinhard

Titel/Untertitel:

Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2003. XII, 699 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 3. Geb. Euro 128,00. ISBN 3-447-04602-3.

Rezensent:

Horst Seebass

Dieser außerordentlich umfangreiche Band entstammt einer Habilitationsschrift des Vf.s, die im Wintersemester 2001/2 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians Universität zu München angenommen wurde. Aus ihr gliederte der Vf. seine Analyse von Num 13-14 aus, die er inzwischen unter dem Titel "Die Erzählung von der gescheiterten Landnahme von Kadesch Barnea (Numeri 13-14) als Schlüsseltext der Redaktionsgeschichte des Pentateuch", ZAR 9 (2003), 56-123 publiziert hat. Der Vf. hat damit das gesamte Num-Buch durchexegesiert und an ihm seine im Gefolge von E. Otto entwickelte Theorie der Pentateuchredaktionen dargelegt. Ganz gleich, ob man diesem Werk überwiegend, in Teilen oder kaum zustimmt, hat der Vf. zweifellos eine gewaltige Leistung erbracht. Da der Rezensent es unternommen hat, das Buch Num im Rahmen des BKAT so gründlich wie möglich zu exegesieren, weiß er sich verpflichtet, das neue Werk in der ThLZ zu würdigen. Dem Rezensenten ebenso wie dem Vf., der auf S. 11 den Rezensenten als einen beschreibt, der "unverdrossen um eine differenzierte Repristination der Urkundenhypothese" bemüht ist (er ist es immerhin nicht allein), war und ist bewusst, dass die Grundhypothese Ottos auf keine rechte Gegenliebe bei ihm stoßen kann. Es ist aber nicht einzusehen, warum man nicht trotzdem fair, d. h. wissenschaftlich miteinander umgeht, was einflussreiche Kollegen derzeit häufiger vermissen lassen.

Das Buch Num hat in letzter Zeit ein wenig überraschend eine ganze Reihe wichtiger Kommentierungen erfahren. Neben den schon etwas älteren von P. J. Budd, Numbers, WBC (1984), J. Milgrom, Numbers, JPS (1990), J. Scharbert, Numeri, NEB (1992), B. A. Levine, Numbers 1-20, AB 4 (1993), T. R. Ashley, The Book of Numbers, NICOT (1993), E. W. Davies, Numbers, NCBC (1995), D. T. Olson, Numbers, Interpretation (1996) und T. Staubli, Die Bücher Levitikus Numeri, NSKAT (1996), die der Vf. noch berücksichtigen konnte, traten inzwischen B. A. Levine, Numbers 21-36, AB 4 (2000), H. Seebass, Numeri Kapitel 10,11-22,1, BKAT IV/2 (2003) und L.Schmidt, Das 4. Buch Mose. Numeri Kapitel 10,11-36,13, ATD 7,2 (2004). In diesem Konzert ist das Buch des Vf.s zweifellos ein Außenseiter, auch wenn er sich gelegentlich Analysen von P. J. Budd zu einzelnen Stücken anschließt. Denn es soll ja die These von E. Otto zum Zuge kommen, dass das Dtn, genauer DtrL als eine in Dtn + Jos anzutreffende Schicht, den Ausgangspunkt für die Entstehung des Hexateuchs, des Pentateuchs und schließlich weiterer Bearbeitungen gebildet habe.

Seine Ergebnisse hat der Vf. tabellarisch auf S. 635-638 zusammengefasst, und da begegnet man Tendenzen, die in der gegenwärtigen Forschung durchaus einen Rückhalt haben, auch wenn die Schichtenbezeichnungen selten übereinstimmen.

So sei vor-dtr. Überlieferung nur in 10,*29b-32 (Abgang vom Sinai); 11,*1-32 (Wachtelsage); 12,1b (ägyptisch-jüdische Legende von einer Frau Moses); 13,*17-31; 14,*23-25 (Kundschafter); 20,*14-21 (Edom); 21,1-3 (Horma); 21,*6-9 (Kupferschlange); 21,21-*24.27-30 (Sichon); 32,*1 ff.; *22-24 (Moabkriegs-/Bileamlegende) zu fassen. Den verbleibenden Stoff ordnet der Vf. fünf Redaktionen zu. Da diese von DtrL abhängig sein sollen, beginnen sie nach-deuteronomistisch mit dem Hexateuchredaktor (1. Hälfte 5. Jh.) und dem Pentateuchredaktor, der Jos abgekoppelt haben soll (2. Hälfte 5. Jh.), sowie drei theokratischen Bearbeitungen (4. Jh.), von denen die erste dem Hexateuchredaktor nahe stehe (1. Hälfte des 4. Jh.s), die zweite dem Pentateuchredaktor (2. Hälfte des 4. Jh.s) und die dritte vorchronistisch im spätesten 4. Jh. angesiedelt sei. Aus S. 638 kann man dazu ersehen, dass die Num-Buch-Komposition selbst auf die "Theokratischen Bearbeitungen" zurückgehen soll (Num 1-10.15-19.26-36), von denen die erste (nach Esra) das Grundgerüst (1-2; *3-4; 10,*11-28.34; Ergänzungen in *13-14; *16-17 [Korach];*18; 26-27; *32; 33,50-56; 34-35; 36,13), die zweite Reinheits- und Ritualgebote (Num 5-6.15.19.28,1- 30,1) und die dritte theokratische Legenden ausgebaut (3,11-13.40-51; 7-8; 9,1-23; 10,1-10; 31) bzw. Ergänzungen (30,2-17; 33,1-49; 36,1-12) geliefert haben sollen. Als Einzelergebnisse mögen besonders interessieren: Num 11 f. seien zwischen 10,12b und 12,16 als Nachträge erkennbar; der Pentateuchredaktor habe angeblich Mose in 11,*4-33 als schwer leidenden Gottesknecht ausgemalt, der das Leiden des Knechts bei Deuterojesaja übertreffe; 12,3-8 gehe wegen Dtn 34,10-12 ebenso auf den Pentateuchredaktor zurück wie der Aufstand der 250 in Num *16, Moses und Aarons Versagen in 20,*1-13 (Aussperrung vom Land), die Eselinepisode 22, 21-35 und die Bileamsprüche 23,21-24; 24,3b-9 (24,14b-24 seien dagegen Zusätze); Num 1 sei von Num 26 her entworfen, und Num 1 f. literarisch einheitlich.

Wenn man davon absieht, wie der Vf. zu seinen Schichtenbestimmungen kommt, kann man ihm attestieren, dass angesichts der Komplexität des Num-Stoffes eine Theorie, die mit nur fünf Schichten auskommt, ganz maßvoll bleibt. Aber eben über die Kriterien a) für die Notwendigkeit von literarkritischen Eingriffen und b) für das, was als Argument gelten kann und was nicht, wird heftig gestritten und muss gestritten werden, wenn es irgendwann einmal wieder zu einem leidlichen Konsens oder wenigstens zu einem nicht völlig unbegrenzten Spielraum für Hypothesen kommen soll. Dazu einige Hinweise unten!

Wichtiger scheint mir vorher zur Beschreibung des anzuzeigenden Werks, dass der Vf. mindestens Num, wenn nicht den Pentateuch insgesamt als ganz und gar jüdisch versteht: wohlgemerkt antik-jüdisch und nicht konfessorisch. Das aber führt sogleich zu den Problemen dieses Buches. Geht es z. B. (es gäbe mehr Beispiele) an, dass man wie der Vf. 25,6-13, das er noch im 4. Jh. v. Chr. ansiedelt, aus einem 400 Jahre jüngeren Text des Josephus erklären will, für dessen offenkundigen Bileam-Midrasch der Vf. rasch eine Entstehung in spätpersischer Zeit postuliert, ohne dafür einen Anhalt nennen zu können (435)? Im ganzen Buch Num kommt nirgendwo der Titel "Hohepriester" vor. Der Vf. aber verwendet ihn ständig, auch wenn die Texte nur von Priestern, nicht speziell von den Aaroniden reden. Aber selbst für die Aaroniden ginge das so nicht, da das Geschlecht Itamar zu ihnen zählt, aber nie oberpriesterlich in Betracht kommt. Ebenso unbegründet ist die Identifikation der Aaroniden mit den Zadokiden von Ez 44, da es zwar unbestritten gemeinsame priesterliche Materialien zwischen Ez *40-48 und Num gibt, aber speziell Zadokidisches in Num nicht nachweisbar ist, vielmehr die Zadokiden umgekehrt nach 1Chr 5,27-41 sich genötigt sahen, sich an die Linie des Eiferers Pinchas d. h. an die der Aaroniden anzuschließen. Zum Zwecke der Annahme, Num etabliere im Schatten des unvergleichlichen Mose als Nachfolger in der Oberaufsicht über die Edah Aaron und seine Nachfolger, wird in 17,16-26 hineingelesen, dass Aaron beim Wunder vom Aaronstab zum Chef der Stämme-Nesi'im erhoben worden sei, obwohl es im Kontext von Num 16 f. eindeutig um den Umgang mit dem Begegnungszelt geht und Aarons Stab das Haus Levi dazu privilegiert, nicht aber speziell sein Priestertum vertritt (17,19: Das Haus Levi wird in Bezug auf das Heiligtum allen anderen zwölf Stämmen vorgeordnet). Der Vf. nimmt m. E. für Num ständig Entwicklungen vorweg, die erst beim Übergang in die hellenistische Zeit zu Stande kamen bzw. nachweisbar werden. Dem gewichtigen Nachweis von M. Douglas, In the Wilderness, JSOT.S 158 (1993), 58 ff., jedenfalls, dass Mose und Aaron in Num durchweg einen schweren Stand als Führende haben, also wenig gelten und stets Jahwes Hilfe benötigen, um zu bestehen, hat er bei seiner Überhöhung der Rolle Aarons und seines Nachfolgers keine Aufmerksamkeit gewidmet. So kommt es auch, dass 27,21 für ihn zu einem Musterbeleg der Hohepriesterführung gegenüber weltlichen Mächten wie Josua wird, er es aber nicht daraufhin geprüft hat, ob Eleasar jemals mit einem Krieg oder einem Aufbruch des Gemeindelagers zum Krieg in Verbindung gebracht wird (s. der Rezensent, Die Ankündigung des Mosetodes. Noch einmal zu Num 27, 12-23 und Dtn 32,48-52, in: Textarbeit, FS P. Weimar, AOAT 294, 2003, 457-468: 460- 462).

Das führt zu einer weitergehenden Anfrage an die vom Vf. befolgte Methode der Erklärung. Seine Exegesen leiden m. E. darunter, dass sie seitenweise andere alttestamentliche Texte zur Erklärung heranziehen, ohne dass die Notwendigkeit von deren Beteiligung einsichtig würde. So war z. B. bisher das Verständnis der Eselinepisode 22,22-35 höchstens in der Weise strittig, ob sie Bileam verurteilend oder humorvoll-satirisch betrachtet und wie alt sie ist. Es gibt dagegen außer dem Titel "mal'ak JHWH" durchaus keine sachliche Gemeinsamkeit mit Sach 3,1-5, das der Vf. (404) aber dazu nutzen will, die Eselinepisode in priesterlichem Milieu zu beheimaten. Zu 25,1-13 bemüht der Vf. ein wahres Feuerwerk an Bezugnahmen (425-440), basiert aber auf der jüngst wieder von E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189 (1990), 114, Anm. 55, mit Berufung auf R. Smend sen., M. Noth und B. Janowski mit guten Gründen bestrittenen Unterteilung von 25,1-5 und 25,6-13. Num 18 darf seine Sache nicht sagen, wenn die Auslegung des Vf.s auf S. 141-172 lediglich unter dem Gesichtspunkt einer Haggada zu 17,27 f. steht, die schroff den Primat des Hohepriestertums gegenüber den Leviten hervorkehrt, aber nur in einem Nebensatz die Hauptsache bemerkt, dass Num 18 die erste gründliche Versorgung der Leviten entwirft und ihre Durchführung just den Priestern auferlegt, weil die Leviten sich zwar an die Priester anzuschließen hatten, sie aber nicht den Priestern, sondern Jahwe Gegebene waren. Typisch scheint mir ebenso die Auslegung von 6,22-27. Von sich aus sagt die Gottesanordnung nichts anderes, als dass Aaron den vorher wörtlich genannten Segen auf das Volk zu legen habe. Der Vf. behauptet aber (511-517), dort stünde, dass ausschließlich der Hohepriester das Volk habe segnen dürfen. Kurz: Dem Vf. steht ein Modell des Hohepriestertums im spätpersischen Jehud vor Augen, das zwar erst aus späteren Quellen zu gewinnen ist, dem sich aber die Texte zu beugen haben.

Sind dies mehr sachkritische Punkte zum Gesamtkonzept, so möchte der Rezensent umgekehrt dankbar auf manche Erläuterungen zu persischen Quellen der vergleichbaren Zeit verweisen. Dies betrifft z. B. die Zählungen in Num 1 und 26 (473 ff.), zu denen der Rezensent auch hervorheben möchte, dass der Vf. überzeugend die Zähltradition von Num 1 auf die Sippentradition von Num 26 zurückführt (443 ff.). Es betrifft des Weiteren die Vereinbarkeit der Landverteilungsnotizen von 26,53 f. und 26,55 f. (472). Auch die Marschordnung von 10,11 ff. dürfte durch den Vf. verständlicher werden (473 ff.), wenn dort die Leviten als Träger des Ohäl Mo'ed nicht wie die Lade voranziehen, sondern nach persischem Beispiel in der Mitte bleiben. Wie der Vf. selbst weiß, ist die Verknüpfung von Opferschau und Jahwe-Orakel in 23,1 ff. nicht zwingend an persische Analogien gebunden, die der Vf. vielmehr nur wegen seiner post-deuteronomistischen Lozierung der so genannten Hexateuchredaktion benötigt. Jedoch betrifft dies nicht seine präzisen Angaben.

Bei solch einem Riesenwerk kann es nicht ausbleiben, dass man manche Wünsche an die heranzuziehende Literatur hat. Dies gilt m. E. besonders zur Bileamperikope, die auch noch dadurch verfremdet wird, als ginge es in ihr um eine Herabstufung Bileams gegenüber Mose, insofern er nur Raunungen des Höchsten hörte und nichts von Mund zu Mund. Für den Vf. ist leitend, dass eine Opposition Bileams zu Mose zwar erst aus rabbinischen Texten abgeleitet werden kann, sie aber hier einfach zu behaupten ist. Da die Arbeit unter der Ägide von E. Otto verfasst wurde, der früher für das Deutsche Evangelische Institut der Altertumswissenschaften des Heiligen Landes tätig war, fragt man sich, warum aus dessen Zeitschrift der ausgezeichnete Beitrag von G. Schmitt, Levitenstädte, ZDPV 111 (1995), 28-48, zu 35,1-8 fehlt. Der Vf. hat ferner das ihm wichtige Bet (Baal) Pe'or mehrfach nicht nach S. Mittmann, Die Gebietsbeschreibung des Stammes Ruben in Josua 13,15- 23, ebd. 1-27: 22 f., lokalisiert, das ältere Ansätze erledigt, obwohl es im "Tübinger Bibelatlas" (2001) unter "Bet Baal Peor" danach mit ras musaqqar identifiziert wird. Es ließe sich mehr sagen, Beispiele müssen genügen.

Man kann leider über die große, hier anzuzeigende Leistung nicht reden, ohne in aller Drastik zu sagen: Es war und ist eine Strafe, dieses Buch zu lesen, weil es bei 632 Seiten Text auf 342 Seiten fast immer sehr sinnentstellende Druckfehler enthält, also bei ca. 55% aller Seiten. Die Lektüre ist allein schon deswegen äußerst mühsam, weil man sich selten auf die Wiedergabe der hebräischen Texte verlassen kann, die allzu häufig durch Zeilenverschiebungen verunstaltet werden und immer wieder eine Überprüfung am Original verlangen. Dazu kommt, dass der Vf. vielfach Sätze nicht zu Ende bringt, ihnen also am Schluss der Sinnträger (zumeist das Verb) fehlt. Natürlich gibt es wie in vielen Büchern auch harmlose errata. Aber das kann man hier nur als Ausnahme ansehen, wenn man von den ersten 36 und den 14 letzten S. absieht. So findet man u. a. auch fehlerhafte Stellenangaben und gelegentlich die Verwechslung von Num und Dtn. Der Mängel sind so viele, dass man mindestens eine Seite benötigte, um sie aufzuweisen, was sich hier von selbst verbietet. Das Buch ist in unverantwortlicher Weise nicht Korrektur gelesen worden und damit auch für den Verlag kein Ruhmesblatt.

Trotzdem darf man das Werk wegen seiner Materialfülle wohl auf seine Weise herausragend nennen, wenn es auch einer Theorie gewidmet ist, die wenig Aussicht auf eine probable, zukunftweisende Synthese zur Pentateuchforschung bietet.