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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

19–21

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Klöckener, Martin, u. Benedikt Kranemann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Liturgiereformen. Historische Studien zu einem bleibenden Grundzug des christlichen Gottesdienstes. 2 Bde. I: Biblische Modelle und Liturgiereformen von der Frühzeit bis zur Aufklärung. II: Liturgiereformen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.

Verlag:

VII, 1224 S., 1 Taf. gr.8. Münster: Aschendorff 2002 = Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, 88. Kart. Euro 99,00. ISBN 3-402-04067-0.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Das zweibändige Werk nimmt unter dem Stichwort Liturgiereformen ein zu wenig beachtetes Gebiet der Liturgiewissenschaft in den Blick, denn bisher sind oftmals eher die Konstanten der Liturgie oder die entsprechenden Bücher als Textbestände für ihren Vollzug beachtet worden. Angelus A. Häußling hatte die Liturgiereformen in dem Beitrag "Liturgiereform. Materialien zu einem neuen Thema der Liturgiewissenschaft" (Alw 31 [1989], 1-32) und weitergeführt unter dem Titel "Liturgiereform und Liturgiefähigkeit" (Alw 38/39 [1996/1997], 1-24) als ein eigenständiges Phänomen bezeichnet. Aus diesem Anfang ist ein Projekt erwachsen, dessen Ergebnisse nun vorliegen und das Häußling, Mönch in Maria Laach und Professor der Liturgiewissenschaft, zu seinem 70.Geburtstag als Festschrift gewidmet ist.

Der Untertitel des Buches, dass die Liturgiereformen einen bleibenden Grundzug des christlichen Gottesdienstes bilden, wird in 47 Einzelstudien und einer von den beiden Herausgebern verfassten systematischen Auswertung für die gesamte Gottesdienstgeschichte aufgezeigt. Zunächst werden biblische Modelle von Liturgiereformen vorgestellt, dann jene der Alten Kirche, des Mittelalters, von der Reformation bis zur Aufklärung, von der Mitte des 19. Jh.s bis zum Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils und zum Schluss selbstverständlich die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils und der nachkonziliaren Zeit. Nicht nur mit dieser Anlage des Projekts, sondern auch durch seine inhaltliche Erschließung zeigt sich, dass Liturgiereformen nicht "nur" den Gottesdienst betreffen, sondern auf die Kirchen-, Frömmigkeits- und Kulturgeschichte übergreifen, ja, dass manche Liturgiereform erst verständlich wird, wenn der jeweilige Kontexte der Mentalitäten oder der politischen Umstände des Gottesdienstes mit bedacht wird. So ist es folgerichtig, dass nicht nur die römisch-katholischen, sondern auch die reformatorischen Liturgiereformen - lutherisch, reformiert, anglikanisch bis hin zu gegenwärtigen Agendenreformen - Berücksichtigung finden. Deshalb kommen auch nicht allein Liturgiewissenschaftler, sondern auch Exegeten und Kirchenhistoriker u. a. zu Wort. Das alleinige Ziel ist allerdings nicht, mit den zahlreichen Einzelstudien die Kenntnisse über die Liturgiereformen zu vertiefen, sondern - da ja Liturgiereform als ein Phänomen wahrgenommen werden soll - auch nach einer Typologie zu fragen. Darum soll eine diachrone Betrachtung einzelner Liturgiereformen vorgenommen werden, um zu beantworten, was "Liturgiereform" ist, denn es müssten sich Merkmale aufzeigen lassen, die allen Liturgiereformen eigen sind, so dass festgehalten werden könnte, was die jeweiligen Besonderheiten einer jeden Liturgiereform sind.

Die beiden Bände können gemäß der diachronen Perspektive mit mehreren Registern erschlossen werden: Schriftstellen, Autoren und Personen, Namen, Wörter, Sachen. Es schließt sich noch eine Liste der Mitarbeiter an.

Allein die große Anzahl der Beiträge legt nahe, dass im Rahmen einer Rezension die einzelnen Beiträge nicht ausreichend gewürdigt werden können, die es an historischer Fundiertheit durchweg nicht fehlen lassen. Um aber den Forschungsansatz zu würdigen, soll hier die systematische Auswertung der Herausgeber beachtet werden.

Zunächst wird betont, dass Liturgiereform kein singuläres Ereignis ist, obwohl der Begriff meist für das Zweite Vatikanische Konzil in Anspruch genommen wird. Hier handelt es sich zwar um eine universalkirchliche und wohl auch die größte Reform, aber es gab immer wieder lokale Reformen oder Reformen innerhalb von einzelnen Orden (und damit nicht für Kirchengemeinden oder Bistümer). Ganz abgesehen vom räumlichen Ausmaß und vom Ziel einer Liturgiereform ist sie als ein Grundzug kirchlichen Lebens anzusehen, da es immer Reformen des gottesdienstlichen Lebens gegeben hat. Die Quellenlage erlaubt, ab dem 4. Jh. begründet von Liturgiereform zu sprechen. Es werden drei Typen von Liturgiereformen genannt: die gesamtkirchliche Reform, die teil- oder ortskirchliche Reform und die monastische Reform.

Nach dieser Typologie werden Charakteristika zusammengetragen, die mit dem Fortgang der Forschung noch zu differenzieren und zu ergänzen sind: Von Liturgiereform sollte nur gesprochen werden, wenn der Gottesdienst insgesamt erneuert worden ist. Dabei wird die Liturgie aufgefasst als ein komplexes Geschehen aus Wort, Gesang, Symbolen, Kommunikation, Handlungsvollzügen, die wiederum in ein kirchliches, kulturelles und soziales Umfeld eingebunden sind. Dies trifft beispielsweise zu auf die Reform in Nordafrika, die karolingische Reform, die Ordensliturgien des Hochmittelalters, die Reformen im Anschluss an das Konzil von Trient und an das Zweite Vatikanische Konzil. Ein weiteres Charakteristikum ist die Revision der schriftlich fixierten Quellen der Liturgie, also der Missalien, Ritualien etc. bis hin zu den Kalendarien und dem Liturgierecht. So zeigt sich im Anschluss an die beiden letztgenannten Konzilien wieder, dass eine umfassende Revision der liturgischen Bücher vorgenommen wurde bzw. derzeit noch vollzogen wird. Als Charakteristika zählen ebenfalls die unterschiedlichen liturgierechtlichen Geltungsbereiche von Liturgiereformen, die die Universalkirche, die Teil- und Ortskirche und die Orden als Spezialfälle einer Teilkirche betreffen. Dabei kommt mit in den Blick, wer Reformen durchführt und wer sie durchsetzt. Ein nächstes Charakteristikum ist die liturgietheologische Hermeneutik einer Liturgiereform. Denn für die inhaltliche Durchführung einer Reform bedarf es einer liturgietheologischen Begründung und eines hermeneutischen Konzepts. Folgende Aspekte kommen dafür in Frage: die Rückkehr zum Ursprung als Frage nach der Tradition, sofern sie als Geschichte und Entwicklung wahrgenommen wird; eine Einheit der Liturgie als Zeichen für die Einheit im Glauben, da es auch um die Einheit der Kirche geht; dann die Ausstrahlung der liturgischen Erneuerung auf weitere Bereiche des kirchlichen Lebens, wie z. B. die Diakonie, so dass letztlich auf die Intensivierung des Glaubenslebens gezielt wird; weitere Aspekte sind die an Rom zu orientierenden Reformen, die Schriftgemäßheit, die Ermöglichung der Inkulturation; als singuläres Phänomen steht die Feier des Pascha-Mysteriums als Reformmitte des Zweiten Vatikanischen Konzils. Weitere Charakteristika sind die ekklesiale Einbindung der Reform durch eine kirchliche Autorität, die Rezeption einer Liturgiereform, die innerkirchliche Vermittlung der Reformanliegen, die Beobachtung, dass Liturgiereformen im Kontext von kirchlichen, gesellschaftlichen oder politischen Reformen vollzogen werden, und die Beeinflussung von Liturgiereformen durch liturgische Bewegungen.

Es bleiben noch einige offene Fragen: Es wurde zwar historisch Evidentes für die Entstehung und Durchführung der Reformen zu Tage gefördert, aber die Rezeption bei den Glaubenden kommt nur äußerst selten in den Blick. Die Rolle der Laien, insbesondere der Frauen, ist ein Desiderat. Auch dass Liturgiereformen konfessionsüberschreitend stattgefunden haben, ist wenig beachtet worden. Es können nicht allein schriftliche Quellen, sondern es müssen - da ja das gottesdienstliche Leben gemeint ist! - auch die liturgischen Zeichen und die Gestalten des Raums, der Kleidung, der Musik etc. unter einem systematischen Gesichtspunkt Berücksichtigung finden. So wird abschließend zu Recht festgestellt, dass Liturgiereformen noch stärker unter den liturgiehistorischen und liturgietheologischen Aspekten zu untersuchen sind. Der Rezensent möchte hinzufügen, dass auch die liturgiepraktischen Gesichtspunkte nicht außer Acht gelassen werden sollten, denn Liturgiereformen jedweder Konfession bedürfen nicht nur der wissenschaftlichen Rezeption, sondern auch- und darauf zielen ja die Reformen - der kirchlichen, der durch die Glaubenden mit beeinflussten Rezeption. Dieses zweifelsohne schwierig zu erschließende Feld kann aber nicht mehr mit historischen Methoden allein erschlossen werden, sondern es bedarf soziologischer, psychologischer, linguistischer, semiotischer etc. Methoden, um am gelebten Glauben abzulesen, wie Liturgiereformen heute ihren Weg suchen und auch finden werden.