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Ausgabe:

Januar/2005

Spalte:

15–18

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

1) The Encyclopedia of Christianity. Vol. 2: E-I. Eds.: E. Fahlbusch, J. M. Lochman, J. Mbiti, J. Pelikan, and L. Vischer. Transl. and Engl. Ed.: D. B. Barrett.

2) The Encyclopedia of Christianity. Vol. 3: J-O. Eds.: E. Fahlbusch, J. M. Lochman, J. Mbiti, J. Pelikan, and L. Vischer. Transl. and Engl. Ed.: G. W. Bromiley. Stat. Ed.: D. B. Barrett.

Verlag:

1) Grand Rapids-Cambridge-Leiden-Boston-Köln: Eerdmans/Brill 2001. XXX, 787 S. 4. Geb. US$ 100,00. ISBN 0-8028-2414-5.

2) Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans; Leiden-Boston: Brill 2003. XXXII, 884 S. 4. Geb. US$ 100,00. ISBN 0-8028-2415-3 (Eerdmans); 90-04-12654-6 (Brill).

Rezensent:

Jan Hermelink

Die "Encyclopedia of Christianity" beruht auf einer Übersetzung des "Evangelischen Kirchenlexikons" (3. Auflage, Göttingen 1985 ff.: EKL) und bemüht sich, dessen Informationen und Urteile zu bewahren, sie zu aktualisieren, vor allem jedoch für eine englischsprachige Leserschaft zu erschließen. Damit ergeben sich in den beiden hier anzuzeigenden Bänden - zum ersten Band vgl. ThLZ 125 (2000), 714 ff. - gegenüber dem EKL zahlreiche Veränderungen, die das Werk auch für deutschsprachige Nutzerinnen und Nutzer bedeutsam erscheinen lassen und die im Folgenden zu würdigen sind. Nicht allein aktualisiert, sondern gründlich und solide überarbeitet sind vor allem die Bibliographien fast aller Artikel. Deutsche Titel, nicht nur spezieller Thematik, sind ganz in den Hintergrund getreten; es dominieren englischsprachige Standardwerke und wichtige Beiträge, oft aus den 1990er Jahren.

In den Haupttext der EKL-Artikel hat der Herausgeber der englischen Ausgabe, G. W. Bromiley, dessen gewaltige Übersetzungsleistung nur zu loben ist, weniger energisch eingegriffen. Inhaltliche Veränderungen haben sich hier - selten - durch Kürzungen, vor allem aber durch Erweiterungen sowie - bei etwa einem Viertel der Lemmata - durch Neufassung ergeben. Im Ergebnis stammt von den Autorinnen und Autoren der "Encyclopedia" noch knapp die Hälfte aus dem deutschen Sprachraum; von den angelsächsischen Beitragenden (ein gutes Drittel) haben nicht wenige auch schon im EKL geschrieben, das ja von vorneherein international ausgerichtet war.

Relativ wenige Veränderungen sind - abgesehen von den bibliographischen Informationen - bei exegetischen, kirchen- und religionshistorischen und auch bei den meisten dogmatischen Artikeln zu bemerken. Viele von ihnen bezogen schon im EKL die ökumenische Gesprächslage ein, so etwa "Eucharist", "Faith" oder "Language and Theology". Auch die Ausführungen zu "Enlightenment", zu "Forgiveness", "Law" oder "Natural Theology" sind jedoch unverändert geblieben, obwohl sie zum Teil aus einer recht speziell deutschen Perspektive verfasst sind.- Was sich im systematisch-theologischen Bereich verändert hat, ist dann allerdings umso aufschlussreicher:

So sind die historischen und systematischen Partien zu "Justification" neu geschrieben und dabei energisch gekürzt und elementarisiert worden. Hier und auch in einem neuen Artikel "Joint Declaration on the Doctrine of Justification" werden die aktuellen Entwicklungen aufgenommen und - recht ausgewogen - diskutiert. - Der Artikel "Law and Gospel" ist ebenfalls neu verfasst und dabei kürzer worden; er ist nun stärker historisch orientiert. Fortgefallen ist ein größerer, vornehmlich philosophisch ausgerichteter EKL-Artikel zur "Rechtstheorie"; der neue Artikel "Law and Legal Theory" ist sehr viel stärker konzentriert auf den Beitrag der religiösen, vor allem der christlichen und kirchlichen Tradition zum Rechtsverständnis. - Der Artikel "Ethics" (29 Sp.) basiert in den meisten, auch in den systematischen Passagen, auf dem EKL-Beitrag; hinzugekommen ist hier lediglich ein Abschnitt "Feminist Ethics" (4 Sp.). Neu verfasst und dabei stark erweitert sind jedoch Artikel wie "Economic Ethics" (22 Sp.), "Environmental Ethics" (3 Sp.) und "Medical Ethics" (9 Sp.).

Auch insgesamt bemüht sich die "Encyclopedia", noch stärker als das EKL, um eine umfassende und aktuelle Wahrnehmung gegenwärtiger Verhältnisse. Tendenzen und Schwerpunkte dieser Gegenwartsorientierung lassen sich gut an den geographischen Artikeln ablesen, deren Zahl und Akkuratesse sich gegenüber dem EKL nochmals vermehrt hat. Für alle Staaten mit mehr als 200.000 Einwohnern werden - mindestens vierspaltige, oft sehr viel längere - Artikel mit aktuellen statistischen Daten und weiteren Informationen zur allgemeinen, vor allem aber zur religiösen und kirchlichen Situation geboten, meist durch einheimische Autoren verfasst. Auch die umfangreichen Artikel zu den Regionen (hier "Europe", "Latin America", "Northern America", "Oceania") konzentrieren sich auf die religiösen Verhältnisse, wiederum mit reichem statistischen Material. Dazu kommen, gegenüber dem EKL-Bestand ebenfalls stark erweitert, höchst informative und differenzierte Artikel zur nord- und lateinamerikanischen sowie zur (neuzeitlichen) europäischen Theologie.

Zu den umfänglichsten Einzelartikeln zählt "Germany", verfasst von einem kanadischen Autor. Auf 20 Spalten werden hier vor allem die kirchlichen Entwicklungen, vornehmlich seit 1945, in großer Breite skizziert. Das Augenmerk liegt auf strukturellen Eigentümlichkeiten, etwa den protestantischen "provincial churches" oder den Regelungen für den Religionsunterricht. Auch die Entwicklung in der DDR wird verständnisvoll nachgezeichnet. Im Blick auf die Gegenwart überwiegen skeptische, modernekritische Töne.

Das Interesse der "Encyclopedia" an einer möglichst breiten Wahrnehmung der religiösen und kirchlichen Gegenwart lässt sich auch in zahlreichen anderen Erweiterungen gegenüber der Basis des EKL erkennen. So finden sich im Blick auf den interreligiösen Dialog neben den Artikeln zu "Hinduism", "Islam" (und "Islamic Philosophy"), die in etwa den deutschen Fassungen entsprechen, stark ergänzte Artikel zu Hinduismus bzw. Islam "and Christianity". Erheblich geweitet ist auch der Blick auf das Judentum (insgesamt 45 Sp.): Die Artikel zu "Jewish Philosophy", "Jewish Theology" und "Judaism" sind - mit konservativer Tendenz - ergänzt, der jüdisch-christliche Dialog wird, in einem neu verfassten Artikel (10 Sp.), mit großer Dichte rekonstruiert.

Schon das EKL zeichnete sich durch eine ausgesprochen ökumenische Perspektive aus: Einzelne Kirchen, Kirchenbünde und ökumenische Institutionen wurden ausführlich dargestellt; viele theologische Sachartikel enthielten Hinweise vor allem auf angelsächsische Fragestellungen. Diese Tendenzen sind nun noch greifbarer geworden. Neben zahlreichen Ergänzungen (etwa zu "Episcopacy", "Hymnals", "Liberation Theology" oder "Ordination") sind besonders die Artikel zur Ökumene und zur Missionsthematik erweitert und verändert worden. In größerem Umfang neu geschrieben sind etwa die Artikel "Ecumenical Learning" sowie "Ecumenical Movement" (von 12 Sp. im EKL auf 28 Sp.). Hier wird im Vergleich zur deutschen Fassung stärker die offizielle, pragmatische Perspektive präsentiert, mit vielen historischen, oft personbezogenen Daten und recht ausführlichen Würdigungen einzelner Vollversammlungen. Dazu haben die einzelnen ökumenischen Bewegungen nun eigene Artikel erhalten: "Faith and Order" (16 Sp.), "Life and Work" (15 Sp.) und "International Missionary Council" (5 Sp.).

Ähnliche Tendenzen zeigen sich in den Artikeln zur Mission (insgesamt ca. 40 Sp.). Einzelinformationen zu den Missionskonferenzen, zur missionarischen Ausbildung und beruflichen Arbeit ("Missionary") werden ausführlich referiert; der Hauptartikel "Mission" ist historisch etwas knapper, verkürzt aber vor allem die systematisch-theologische Reflexion der deutschen Fassung zu Gunsten pragmatischer Ausführungen. Auch die evangelikale Perspektive wird verständnisvoll aufgenommen.

Die deutlichere Wahrnehmung evangelikaler, charismatischer und anderer konservativer Strömungen im Christentum ist etwa auch den Artikeln "Evolution", "Glossolaly", "Holiness Movement" oder "Homosexuality" deutlich anzumerken. Zumeist werden die entsprechenden Ansichten und Urteile aber nur referiert und in einen breiteren, auch humanwissenschaftlichen Diskussionskontext gestellt.

Nicht nur in dieser Hinsicht bietet die "Encyclopedia" ein für deutsche Leserinnen und Leser höchst aufschlussreiches, weil breites und zugleich differenziertes Bild der aktuellen kirchlichen und theologischen Debatten im englischsprachigen Raum. So demonstrieren die Artikel etwa zu "Family", zu "Group and Group Dynamics", "Lay Movements" oder "Marriage and Divorce" die eigentümlichen Probleme wie auch die Chancen eher freikirchlich-pluraler Verhältnisse. In theologischer Hinsicht bieten die Artikel "Feminist Theology" oder "Narrative Theology" eine neue bzw. erfreulich ausgeweitete Perspektive auf die Diskussion.

Neben den skizzierten Erweiterungen des religiösen, christlichen und kirchlichen Horizontes lässt der Vergleich mit dem EKL freilich auch einige perspektivische Verengungen erkennen. Exemplarisch ist hier der Umgang der "Encyclopedia" mit biographischen Artikeln. Von den sehr reichhaltigen, mehrere hundert Personen umfassenden Einträgen des EKL wurden in den beiden hier betrachteten Bänden nur knapp 20 Artikel übernommen, dazu kommen etwa 15 neu verfasste Biographien.

Ein Schwerpunkt liegt wiederum bei der Alten Kirche und dem Mittelalter (darunter immerhin vier Päpste); in der nachreformatorischen Zeit werden Protagonisten kirchlicher Erneuerung bevorzugt, so etwa J. Knox, Menno Simons oder N. Grundtvig. Relativ beträchtliche Aufmerksamkeit erhält die amerikanische Erweckungsbewegung mit Artikeln zu J. Edwards, C. G. Finney und D. L. Moody; die ökumenische Bewegung ist u. a. mit J. R. Mott, M. Niemöller und J. E. Newbigin vertreten. Zu dieser doch recht spezifischen kirchlichen Perspektive passt es, dass an Philosophen nur S. Kierkegaard, K. Marx und F. Nietzsche Beachtung finden - zwar gibt es (wie im EKL) Artikel zu "Kantianism" und "Hegelianism"; die Namensgeber selbst aber haben kein eigenes Lemma erhalten.

Ein gewisser Verlust an geistig-kultureller Weite sowie an theologischer Vertiefung ist auch an einigen anderen Stellen spürbar. So konzentrieren sich die Artikel zu "Education", zu "Funeral" oder "Ordination" vergleichsweise stärker auf die kirchlichen Praktiken und Riten; die systematische Reflexion, auch des jeweiligen kulturellen Kontextes, tritt dagegen deutlich zurück. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang auch, wie knapp die Artikel zu "Healing" sowie zu "Health and Illness" geblieben sind. Nimmt man die skizzierten Beobachtungen zu den ökumenischen und missionarischen Themen hinzu, so lässt sich feststellen: In der Perspektive dieser Enzyklopädie ist "Christianity", ungeachtet der Titeländerung gegenüber dem deutschen Werk, doch zuerst ein organisiertes, ja ein vornehmlich kirchliches Phänomen - und erst in zweiter Linie eine kulturelle, auch aus der Außenperspektive zu reflektierende Erscheinung.

Insgesamt ist die Einschätzung aus der Rezension des ersten Bandes zu bekräftigen: Um auf knappem Raum ein ausgesprochen differenziertes Bild des Christentums, der Kirchlichkeit und der theologischen Debatten im englischsprachigen Raum zu erhalten, wird man die "Encyclopedia of Christianity" auch in einer deutschen Bibliothek mit großem Gewinn nutzen können.