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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1373–1375

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Osmer, Richard R., and Friedrich Schweitzer

Titel/Untertitel:

Religious Education Between Modernization and Globalization. New Perspectives on the United States and Germany.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2003. XX, 319 S. gr.8 = Studies in Practical Theology. Kart. US$ 40,00. ISBN 0-8028-1284-8.

Rezensent:

Bernd Schröder

Dieses Buch ist in gewisser Hinsicht ein Meilenstein in der Theoriegeschichte der Religionspädagogik. Es handelt sich um die erste (nahezu) durchgängig gemeinsam verantwortete komparative Monographie zweier evangelischer Religionspädagogen bzw. Praktischer Theologen aus verschiedenen nationalen Kontexten. Die Studie nimmt die in den letzten Jahren zunehmend dringlich formulierte Forderung nach vergleichender religionspädagogischer Theoriebildung auf; die Autoren, R. R. Osmer, Professor für "Christian Education" in Princeton, und F. Schweitzer, Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik in Tübingen, ernten damit eine (in IJPT 1 [1997], 227-254 bereits angekündigte) beeindruckende Frucht ihrer Kooperation (u. a. im Rahmen der "International Academy of Practical Theology").

Die Studie gliedert sich - nach Vorwort und Einleitung (IX- XIX) - in drei Teile. Teil I ("The Promise and Problems of Contemporary Religious Education", 3-73) steckt in zwei Kapiteln den Problemhorizont sowie den methodischen und begrifflichen Rahmen der Untersuchung ab. Nach einem Gang durch lernortspezifische Probleme religiöser Erziehung, die sich gleichermaßen in den USA wie in Deutschland stellen, schlagen die Autoren konzeptionelle Pflöcke ein: Sie machen sich einen "ecological approach to education" (8) zu Eigen, der Lebensweltorientierung und Lernorttheorie verbindet, und bejahen einen "pluralistic approach" (12), der Raum lässt für theologische Positionierung und Orientierung an pädagogischen Kriterien.

Die leitende These dieser Arbeit wird erstmals auf S. 3 formuliert: "Protestant religious education stands in an interdependent relationship to the social contexts in which it is located and these contexts are best understood today on the basis of international, comparative analysis." (Vgl. zusammenfassend vor allem 209 f. und 292-294.) Bemerkenswerterweise fügen Osmer und Schweitzer umgehend hinzu, dass ihr Hauptanliegen im ersten Teil der These zum Ausdruck kommt: "The major goal ... is a new understanding of religious education gained through a reconstruction of religious education theory against the backdrop of its social context." (17/18) Die angekündigte "comparative perspective" (IX) wird folglich nur als Mittel zum Zweck veranschlagt. Entsprechend knapp fällt die komparatistische methodologische Reflexion aus (24-28; vgl. 75 f.). Sehr ausführlich wird demgegenüber der Bedeutungsgehalt der drei Begriffe erörtert, die von den Autoren zur Kennzeichnung des gesellschaftlichen Hintergrundes religionspädagogischer Theoriebildung ausgewählt werden: "Modernization", "Globalization" and "Postmodernism" (29-73).

Teil II ("Paradigmatic Figures and Texts in Twentieth-Century Protestant Religious Education", 77-208), das Herzstück dieses Buches, analysiert in drei Kapiteln ebenso viele Perioden religionspädagogischer Theoriebildung des 20. Jh.s: die "Religious Education Reform Movements" der Jahre 1900-1930, die Phase der "Reaffirmation of Theological Identity" nach 1945 und die nicht begrifflich spezifizierte Zeit des Wandels in der religionspädagogischen Landschaft der Jahre 1960-1990 (vgl. 78). In den entsprechenden Abschnitten werden jeweils ein US-amerikanischer und ein deutscher Protagonist der religionspädagogischen Entwicklung (oder mehrere) anhand ihrer Biographie und eines Schlüsseltextes parallelisiert. Jeder Autor wird sodann kurz in den gesellschaftlichen Kontext eingezeichnet. Die Abschnitte enden jeweils mit der Benennung einiger "comparative aspects". Das Verfahren des Vergleichs wird hier somit auf "historische" Theorien angewendet.

Für mich als deutschen Leser sind die Abschnitte zu amerikanischen Theoretikern anregend: Skizziert werden George Albert Coe und Sophia Lyon Fahs, James Smart und Lewis Joseph Sherrill sowie John Westerhoff; deutscherseits stehen ihnen F. Niebergall, M. von Tiling und H. Kittel sowie K. E. Nipkow zur Seite. Die vergleichenden Bemerkungen betonen die Parallelität der amerikanischen und deutschen Problemkonstellationen und Theorien; eher am Rande werden Differenzen benannt (116 f.163 f.207 f.).

Den Gewinn ihres Durchgangs durch die Theoriegeschichte verbuchen Osmer und Schweitzer nur äußerst knapp: Der Vergleich lenke den Blick nachhaltig auf "contextual changes to which religious education theory and praxis are always responding" (208; vgl. die entsprechende vorgängige Annahme auf 75).

Teil III ("The Challenges of Protestant Religious Education in the Twenty-First Century", 209-295) nimmt die Ergebnisse der historischen Analyse prospektiv auf. Im Blick auf vier Adressatengruppen Praktischer Theologie, nämlich Öffentlichkeit und Individuum (die entsprechenden Kapitel 6 und 8 verfasste F. Schweitzer), Gemeinde und Familie (die zugehörigen Kapitel 7 und 9 stammen von R. R. Osmer), werden Desiderate und Aufgaben des Faches formuliert. Sie alle dienen dem Anliegen einer "recovery of audience" (213; vgl. 293). Sie soll den "loss of audience" (211), den die Religionspädagogik beider untersuchten Länder im Laufe des 20. Jh.s erfahren hat, wett machen. Folgerichtig sprechen Osmer und Schweitzer programmatisch von der Notwendigkeit einer "public practical theology" (216.293; vgl. 218).

Die Akzente und Denkfiguren, die dabei im Einzelnen skizziert werden, sind durchaus unterschiedlich. Während Schweitzer auf "the church's responsibility for public education" (225) abhebt und fordert, Religionspädagogik solle das Individuum, vor allem Übergänge im Lebenslauf, als Herausforderung ernster nehmen als bisher (269 f.), plädiert Osmer für interdisziplinäres Nachdenken über (kirchen-)gemeindliche Erziehung (252) sowie für "an ecology of supports for families in civil society" (288), insbesondere für ein stärkeres gemeindliches Engagement zu Gunsten religiöser und ethischer Erziehung in der Familie (290-292). Eine Spezifikation dieser Forderungen im Blick auf deutsche bzw. US-amerikanische Adressaten erfolgt nicht.

Beigegeben sind dem Buch eine ausführliche Bibliographie zu Teil II (296-313) und je ein selektives Autoren- sowie Sachregister (315-317. 318 f.).

Im Rückblick fällt die Einschätzung des Gelesenen ambivalent aus: Gewiss, die Darstellung US-amerikanischer Religionspädagogik erschließt (mir z. T.) bisher unbekannte Ansätze; die erneute Interpretation von Sachverhalten in internationaler Perspektive ist immer wieder erhellend (etwa 99 und 117); gesellschaftliche und religionspädagogische Affinitäten zwischen den USA und Deutschland treten frappierend klar hervor. Kritisch hebe ich zwei Beobachtungen hervor: Die Leitthese und das zentrale Ergebnis der Studie, also: das Abheben auf die Kontextualität religionspädagogischer Theorie und Praxis (vgl. summarisch 292 f.), scheint mir keine so neue Einsicht zu sein, dass ein derart langer begriffsklärender und beschreibend-analytischer Zugang erforderlich wäre - gerade die jüngste deutschsprachige Gesamtdarstellung der Religionspädagogik aus der Feder Ch. Grethleins hat diesen Gedanken eindrücklich (und sogar, wenngleich sehr viel knapper als im vorliegenden Band, mit Seitenblick auf die USA) entfaltet.

Enttäuschend fallen zudem die komparatistischen Elemente aus: Dass die Autoren auf eine detailliertere Auseinandersetzung mit bereits vorliegenden vergleichenden Studien (s. 26 und 76), sei es erziehungswissenschaftlicher oder religionspädagogischer Provenienz, verzichten, kommt dem methodischen Profil dieses Buches nicht zu Gute. Die von den Autoren selbst als zukunftsträchtig bezeichnete "comparative perspective" (IX.294) sollte mehr freisetzen als die Frage nach Parallelen (und Differenzen) zwischen zwei nationalen Kontexten und Theorietraditionen. Allerdings merken die zwei Autoren selbst an: "We are well aware of the limited scope of these comparisons." (210)

In die Bewunderung für ein in enger transatlantischer Kooperation entstandenes, gut lesbares Buch mit komparatistischem Anspruch mischt sich somit die Ernüchterung, dass der Weg zu einer methodologisch ausgewiesenen und sachlich Frucht bringenden interkulturell und vergleichend arbeitenden Religionspädagogik mit dieser international-innerprotestantischen Studie noch keineswegs zu Ende gegangen ist. Sie verdeutlicht indes, dass ein international-vergleichender Zugang auch für historische religionspädagogische Arbeit möglich und sinnvoll ist (210).