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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

628–631

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Leukel, Perry

Titel/Untertitel:

Theologie der Religionen. Probleme, Optionen, Argumente.

Verlag:

München: Ars Una 1997. VIII, 637 S. 8 = Beiträge zur Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie, 1. Kart. DM 138,-. ISBN 3-89391-4512-X.

Rezensent:

Wolfgang Pfüller

Mit seiner geringfügig überarbeiteten, monumentalen Habilitationsschrift legt P. Schmidt-Leukel nach seinen verschiedentlichen Einzelbeiträgen nun eine umfassende Erörterung zur Theologie der Religionen vor. Umfassend ist das Werk mindestens in doppelter Hinsicht. Zum einen wird die einschlägige Literatur in stupendem Umfang bearbeitet - das Literaturverzeichnis (583-628) weist weit über 1000 Titel aus. Zum anderen und vor allem aber werden die "Probleme, Optionen (und) Argumente" einer Theologie der Religionen in umfassender Weise dargelegt und diskutiert. Dabei liefert Sch.-L. ein Muster systematisch-theologischen Denkens: streng problemorientiert, klar strukturiert und sorgfältig argumentierend. "Aus diesem Grund werden zunächst die zu behandelnden Problemfelder gesichtet, dann die grundsätzlich zur Verfügung stehenden Optionen logisch eingegrenzt und schließlich die Konsistenz, Kohärenz und Plausibilität einer jeden von ihnen anhand einer kritischen Diskussion ihrer spezifischen Schwierigkeiten getestet, so daß letztlich eine begründete ... Entscheidung getroffen werden kann" (10). Dieses Programm bestimmt die fünf Kapitel des Buches.

In einem ersten Kapitel (11-64) werden fünf "Problemfelder einer Theologie der Religionen" erläutert: "Das dogmatische Problem: Gibt es eine Heilsbedeutung nichtchristlicher Religionen?", das "praktische Problem: Wie anderen Religionen begegnen?", das "kriteriologische Problem: Wie andere Religionen beurteilen?", das "apologetische Problem: Widerlegen sich die Religionen durch ihre Vielfalt selbst?" und das "hermeneutische Problem: Lassen sich andere Religionen richtig verstehen?" Dabei hat für Sch.-L. das dogmatische Problem eine führende Rolle. Die "Frage nach der möglichen Heilsbedeutung anderer Religionen" hält er für "die fundamentale Leitüberlegung im Rahmen einer christlichen Urteilsbildung über andere Religionen" (63). Mit dieser Frage aber verbindet sich die andere nach der theologischen Interpretation der religiösen Vielfalt, welche gleichsam einen Brennpunkt der verschiedenen Problemfelder einer Theologie der Religionen und darüber hinaus einen entscheidenden Gradmesser für die Vorzüglichkeit der religionstheologischen Grundmodelle darstellt.

Mit der Klassifikation der religionstheologischen Grundmodelle beschäftigt sich das zweite Kapitel des Buches (65-97). Sch.-L. nimmt die mittlerweile weit verbreitete Unterscheidung von "Exklusivismus", "Inklusivismus" und "Pluralismus" auf und versucht, deren Stringenz nachzuweisen. Er bemüht sich folglich zu zeigen, daß diese Unterscheidung logisch umfassend und unausweichlich sowie theologisch adäquat ist. Dabei orientiert er die Definitionen der drei Grundmodelle konsequent an der religionstheologisch entscheidenden Frage nach der Heilsbedeutung anderer Religionen bzw. - wie er es auch ausdrückt - nach der möglichen "Vermittlung heilshafter Gotteserkenntnis" durch andere Religionen. Die Definitionen lauten somit von der Warte des Christentums aus wie folgt. Exklusivismus: "Unter den Religionen enthält allein das Christentum heilshafte Gotteserkenntnis/Offenbarung" (69). Inklusivismus: "Unter den Religionen enthält nicht nur das Christentum heilshafte Gotteserkenntnis/Offenbarung. Es enthält diese jedoch in einem alle anderen überbietenden Höchstmaß" (70). Pluralismus: "Unter den Religionen enthält nicht nur das Christentum heilshafte Gotteserkenntnis/Offenbarung. Sie ist im gleichen Höchstmaß neben dem Christentum auch in anderen Religionen enthalten" (71). Neben der logischen Suffizienz und Stringenz, die Sch.-L. mengentheoretisch aufzuweisen sucht, eignet dem Dreierschema auch theologische Adäquatheit, die vor allem in seiner präzisen Orientierung an der religionstheologischen Grundfrage und in seiner Flexibilität (Möglichkeit verschiedener Subdifferenzierungen) besteht.

Nachdem nun sowohl die religionstheologischen Grundprobleme aufgezeigt wie auch die grundsätzlich möglichen und notwendigen religionstheologischen Optionen analysiert und definiert sind, unternimmt Sch.-L. die Prüfung der drei religionstheologischen Grundmodelle auf deren Konsistenz und Kohärenz. Dabei werden jeweils zwei entscheidende Schwierigkeiten der Modelle erörtert. Zunächst wird im dritten Kapitel (99-165) der Exklusivismus der Frage nach der Heilsmöglichkeit für Nichtchristen sowie durch nichtchristliche Religionen konfrontiert. Angesichts der Annahme eines allgemeinen göttlichen Heilswillens gerät der Exklusivismus durch diese Frage in erhebliche Turbulenzen. Immerhin lassen sich diese durch Hilfskonstruktionen (Heilsmöglichkeit für Nichtchristen nach dem Tod, Sonderfälle) einigermaßen kompensieren. Noch schwerer bedroht der offensichtliche Tatbestand inhaltlicher Parallelen zwischen dem Christentum und anderen Religionen den Exklusivismus, zumal diese Parallelen oft alles andere als peripher zu sein scheinen. Freilich kann der Exklusivismus gleichwohl versuchen, sie als scheinbar darzustellen (vorwiegend in früheren Zeiten sprach man gar von dämonischen Imitaten). Überzeugt dies nur wenig, so kann er des weiteren die Parallelen in jedem Fall für unwesentlich erklären, so daß die dann zugestandenen Parallelen in keinem Fall heilshafte Gotteserkenntnis bedeuten. Nur gerät solche Erklärung allzu leicht zur Flucht ins Nebulöse, wie Sch.-L. vor allem an K. Barths Rückzug auf den bloßen "Namen Jesus Christus" demonstriert.

Wird der Exklusivismus vornehmlich mit dem Problem der interreligiösen Parallelen nur schwer fertig, so hat der Inklusivismus hier keine Schwierigkeiten. Im Gegenteil, er kann die Übereinstimmungen als teilweise heilshafte Gotteserkenntnis in anderen Religionen nur begrüßen. Die Schwierigkeiten des Inklusivismus, denen sich Sch.-L. im vierten Kapitel (167-235) zuwendet, liegen demgegenüber in seinem Anspruch auf singuläre Höchstgeltung bzw. Überlegenheit einer Religion (hier des Christentums) im Vergleich zu allen anderen Religionen. Hiergegen erhebt sich zum einen die Frage, ob der Inklusivismus die anderen Religionen nicht ungerechtfertigterweise vereinnahmt, indem er sie zur ansatzhaften, teilweisen Verwirklichung der einen überlegenen Religion degradiert. Diesen Vorwurf hält Sch.-L. nur zum geringeren Teil für berechtigt. Dahinter aber verbirgt sich die gravierendere Frage nach der Wertschätzung religiöser Vielfalt durch den Inklusivismus. Und hier zeigt sich: Hat der Exklusivismus Schwierigkeiten mit den interreligiösen Übereinstimmungen, so hat der Inklusivismus ebensolche mit den interreligiösen Verschiedenheiten, was zweifellos auch seine Dialogoffenheit erheblich einschränkt. Zudem muß er die anderen Religionen im Grunde als obsolet betrachten, ihnen mithin die Existenzberechtigung absprechen. Darüber hinaus erhebt sich zum anderen die Frage, ob sich der Anspruch auf singuläre Überlegenheit bzw. Höchstgeltung nicht an Zeichen des Heils ("guten Früchten") erweisen lassen müßte. Daß ein derartiger Nachweis offenkundig nicht möglich ist, belastet die inklusivistische Option beträchtlich.

Ist nach alledem nicht der Pluralismus die gebotene Alternative? Im fünften und letzten Kapitel (237-576) überprüft Sch.-L. diese Option im Blick auf zwei entscheidende Schwierigkeiten. Zum einen: Läßt sich Gleichwertigkeit zumindest einiger Religionen behaupten trotz ihrer augenscheinlichen Verschiedenartigkeit in wesentlichen Auffassungen (Problem der divergierenden Wahrheitsansprüche)? Zum anderen: "Gibt es nicht in den Religionen zentrale und unverzichtbare Glaubensannahmen, die den Anspruch auf Alleingeltung oder zumindest auf singuläre Höchstgeltung unweigerlich implizieren, so daß es mit Rücksicht auf diese Glaubensannahmen kategorisch ausgeschlossen ist, irgendeine andere Religion als gleichwertig zu betrachten?" (244). - Das Problem divergierender Wahrheitsansprüche diskutiert Sch.-L. außerordentlich extensiv (249-492), und zwar in bezug auf die Konzepte F. Schuons, W. C. Smith’s sowie besonders J. Hicks, des wohl bedeutendsten Vertreters einer pluralistischen Religionstheologie. Bei aller Berechtigung einer ausführlicheren Erörterung der pluralistischen Option (vgl. 7) und bei aller sonstigen hervorragenden problemorientierten, argumentativen Durchdringung der zu diskutierenden Sachverhalte: Hier gehen die Darlegungen allzu sehr in die Breite. Zumindest hätte die Problematik ohne weiteres allein in bezug auf das Konzept Hicks diskutiert werden können, und diese Straffung hätte dem voluminösen Buch sicher gut getan.Wie dem indes auch sei: Die pluralistische Lösung des Problems konfligierender Wahrheitsansprüche besteht "ganz allgemein gesagt darin, für jene divergierenden Aussagen, die als gleichermaßen gültig betrachtet werden, einen kontradiktorischen Charakter zu bestreiten" (487). D. h. im wesentlichen verliert die Widersprüchlichkeit divergierender Wahrheitsansprüche ihren strikten Charakter, andere Widersprüche sind unwesentlich (Hick: "soteriologisch irrelevant") oder nur scheinbar.Was schließlich den Anspruch zentraler und unverzichtbarer Glaubensannahmen auf Allein- oder zumindest singuläre Höchstgeltung betrifft, so konzentriert sich dieser Anspruch hinsichtlich des Christentums auf die Christologie. Sch.-L. diskutiert diese Schwierigkeit für die pluralistische Option vor allem im Hinblick auf die Inkarnationslehre, ferner im Blick auf das "Argument der Auferweckung" und die "Frage der Normativität des Jesus von Nazareth". Fazit: Weder die Behauptung der Inkarnation noch die der Auferweckung noch auch die der Normativität Jesu implizieren den Anspruch der "Einzigkeit" Jesu im Sinne singulärer Höchst- oder gar Alleingeltung, während sie sehr wohl die "Einzigartigkeit" Jesu belegen.

Alles in allem plädiert Sch.-L. in "Rückblick und Schlußbemerkung" (577-582) für die pluralistische Option. Und zwar nicht zuerst deshalb, weil sie die ihr begegnenden Schwierigkeiten besser bewältigt als Ex- und Inklusivismus; vielmehr vor allem deshalb, weil allein sie religiöse Vielfalt wahrhaft zu schätzen vermag. "Man kann nicht religiöse Vielfalt als theologischen Wert begreifen und zugleich die alleinige Überlegenheit der christlichen Offenbarung vertreten. Wer von letzterem überzeugt ist, muß den Wunsch in sich tragen, daß alle Welt zur Erkenntnis und Übernahme dieser höchsten Offenbarung kommt und daß damit die religiöse Vielfalt überwunden wird" (581). Da indes die Bewertung religiöser Vielfalt für die Lösung der einzelnen religionstheologischen Problemfelder zentrale Bedeutung besitzt, "scheint mir die pluralistische Position gegenüber den beiden anderen Optionen im Vorteil zu sein" (582).

Natürlich konnte ich hier von der äußerst komplexen Erörterung Sch.-L.s nur einen sehr reduzierten Eindruck vermitteln. Ich halte diese Erörterung für herausragend - sowohl hinsichtlich der Klarheit der Sprache wie der Schärfe der Problemerfassung und -analyse wie auch vor allem der Umsicht, Sorgfalt und Differenziertheit der Argumentation (von der stupenden Kenntnis der einschlägigen Literatur gar nicht zu reden). Das Buch dürfte gute Aussichten haben, zum Standardwerk für die Diskussion der religionstheologischen Problematik zu avancieren. Freilich, bei allem Lob wirft das Buch auch eine ganze Reihe von Fragen auf, was ja zumindest zum Teil auch zu seinen löblichen Eigenschaften gezählt werden darf. Ich kann in diesem Rahmen nur vier wichtige Fragen kurz ansprechen:

1. Übersieht Sch.-L. nicht ein entscheidendes religionstheologisches Problemfeld, nämlich das epistemologische? Dabei geht es um die Frage, ob sich der von verschiedenen Religionen erhobene Endgültigkeitsanspruch für die jeweilige Offenbarung bzw. Manifestation der göttlichen Wirklichkeit aufrechterhalten läßt. 2. Müßte nicht dieses Problem auch im Blick auf die Klassifikation religionstheologischer Grundmodelle eine maßgebliche Rolle spielen? Genauer gefragt: Sollte nicht die Definition der Grundmodelle eher an der Wahrheits- als an der Heilsfrage orientiert werden? (Sch.-L. verwischt hier m. E. die Konturen, indem er von "heilshafter Gotteserkenntnis" spricht.) 3. Sollte man die Theologie der Religionen nicht besser im Sinne einer allgemein religiösen Interpretation der Religionen entwickeln und nicht als christlich-theologische Interpretation? Diese Frage scheint mir vor allem hinsichtlich des kriteriologischen Problems von hohem Belang. 4. Lassen sich die divergierenden Wahrheitsansprüche, da man sie ihres Endgültigkeitsanspruches entkleiden sollte, nicht besser als mehr oder weniger oder auch gleichermaßen angemessene, jedenfalls vorläufige Lösungsvorschläge für gegebene religiöse (Grund-)Probleme begreifen? Divergenzen wären dann unproblematisch, da es dabei nicht um Wahrheit im strikten Sinne endgültiger Erkenntnis, sondern um vorläufige Einsichten geht, die mehr oder weniger, aber eben auch gleichermaßen gut begründet sein können. (Natürlich dürften die Divergenzen sich nicht als kontradiktorische oder auch nur konträre Widersprüche erweisen, sofern sie dann jedenfalls nicht gleichermaßen gut begründet sein könnten.)

So fragmentarisch diese Andeutungen hier bleiben müssen, so klar scheint mir dies: Verfolgt man sie weiter, dürfte die Entscheidung zugunsten der pluralistischen Position noch weitaus deutlicher ausfallen als bei Sch.-L., dem mit seinem angezeigten Buch ungeachtet dessen zweifellos ein großer Wurf gelungen ist.