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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1365–1367

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Bedford-Strohm, Heinrich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion unterrichten. Aktuelle Standortbestimmung im Schnittfeld zwischen Kirche und Gesellschaft.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2003. 143 S. 8. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-7887-1986-9.

Rezensent:

Reiner Andreas Neuschäfer

Der Religionsunterricht steht unter wachsendem Rechtfertigungsdruck, was sich u. a. in einer Vielzahl neuerer Veröffentlichungen (z. B. Michael Wermke [Hrsg.]: Aus gutem Grund: Religionsunterricht, Göttingen 2002; Matthias Hahn u. a. [Hrsg.]: Religions- und Ethikunterricht in der Schule mit Zukunft, Bad Heilbrunn 2003) ausdrückt. Ausdrücklich breit angelegt in diesem Ringen um religiöse Bildung ist vorliegender Druck, der auf eine Tagung der Evangelischen Akademie Arnoldshain am 4./5. Oktober 2001 zurückgeht. Abgedruckt sind sechs überarbeitete Vorträge dieser Tagung, ergänzt durch zwei weitere Beiträge. In ihnen kommen verschiedene Aspekte zum Tragen: soziologische, systematisch-theologische und religionspädagogische Gesichtspunkte zur Situation und Position des Religionsunterrichts, wobei insbesondere die gesellschaftliche Bedeutung im Blickfeld ist. Von daher bietet das Buch bedeutend mehr, als sein Titel erahnen lässt: Es geht nicht in erster Linie um das Unterrichten an sich, sondern um Grundlagen- und Begriffsklärungen, Lehrplanfragen, Fremd- bzw. Selbstverständnis der Lehrkräfte, Konzepte von Religionsunterricht, Aus- und Weiterbildung im Lehramt. Die acht Beiträge sind drei Leitbegriffen zugeordnet: Situation, Reflexion, Perspektiven.

Nach einer sechsseitigen Einleitung des Herausgebers gibt der erste Hauptteil (13-55) Einblicke in historische Entwicklungen und die aktuelle Realität des bundesdeutschen Religionsunterrichts. Der eröffnende Beitrag von Matthias Hahn ("Evangelischer Religionsunterricht in Ostdeutschland. Entwicklungen - Probleme - Aussichten", 13-24) legt Hintergründe, Abgründe und vordergründige Argumente rund um den Religionsunterricht in Ostdeutschland dar. Er fokussiert insbesondere die Situation in Sachsen-Anhalt, ohne gängige Klischees zu bedienen. Über das Schlagwort "Konfessionslosigkeit" hinaus bringt er die beträchtliche Heterogenität der Lernenden und Lehrkräfte ins Spiel, die eine enorme religionsdidaktische Herausforderung darstellt.

Überaus unkonventionell in inhaltlicher wie sprachlicher Hinsicht bringt Matthias J. Raden seine Eindrücke und Einsichten zu westdeutschen Wegen des Religionsunterrichts zum Ausdruck. Sein Beitrag "Religion unterrichten - nachhaltig oder nicht? Zur Praxis des Religionsunterrichts in Westdeutschland" (25-43) erörtert eine Tendenz zur Verflachung in puncto Gestaltung und Inhalt schulischer religiöser Bildung. Seine Ausführungen intendieren eine grundlegende Reflexion in Bezug auf eine Unterrichtspraxis, die seiner Meinung nach an vielen Stellen mit Stichworten wie "Theologieenthaltsamkeit" oder "Bildungsmanagement" zu beschreiben ist.

Die Rolle der Religionslehrkräfte, ihrer Biographie und Religion erörtert Dietlind Fischer in "Biographie und Religion bei ReligionslehrerInnen. Ergebnisse aus der niedersächsischen Religionslehrerstudie" (44-55). Dabei kommt sie einer protestantischen Bildungsreligion auf die Spur, deren Spannung zwischen Engagement und Sachbezug im Ringen um religiöse Bildung wahrgenommen und reflektiert werden muss.

Unter dem Stichwort "Reflexion" beginnt der zweite Hauptteil (56-118) mit beachtlich gründlichen Erwägungen rund um Begriff und Phänomen "Religion" von Matthias Petzoldt: "Religion: Außen- und Innensicht. Systematisch-theologische Standortbestimmung" (56-95). Hierbei werden sorgfältigst verschiedene theologische und (sprach-)philosophische Zugänge vorgestellt, die in die Annahme münden, Religion sei sachgerecht nicht nur aus einer Außenperspektive zu betrachten, sondern letzten Endes führe die Einbeziehung einer Innensicht von Religion zur klaren Differenz zu Religionswissenschaft, ohne dass dabei auf deren wertvolle Impulse verzichtet werden müsse.

Michael Meyer-Blancks Beitrag "Religionsunterricht in der pluralistischen Gesellschaft. Praktisch-theologische Standortbestimmung" (96-106) konkretisiert die Chancen einer Innenperspektive von Religion unter Rückgriff auf Schleiermacher: "Religion hat nichts mit Handlungsanweisungen oder mit überweltlicher Spekulation zu tun, sondern mit der Grunderfahrung des Daseins, mit dem Werden und Geschehen des eigenen Lebens. Religion ist nicht Metaphysik und Moral, sondern Leben und Bildung: Ohne Religion keine Bildung, und ohne Bildung keine Religion." (98) Die Bestimmung der Lehrkräfte liege darin, Religion zu zeigen durch Darstellung und Mitteilung. Friedrich Schweitzer beabsichtigt einen argumentativen Perspektivenwechsel, wenn er seinem Beitrag die Überschrift "Religionsunterricht als Recht des Kindes" (107-118) gibt und zu Recht vom "Recht des Kindes auf Religion" ausgeht. Dieses Recht mündet in einen Anspruch auf einen schulischen Religionsunterricht, da aus pädagogischer und sozialisationstheoretischer Sicht die Elternhauserziehung einer Ergänzung hinsichtlich religiöser Traditionen und Überzeugungen bedarf: "Kinder haben ein Recht auf einen Religionsunterricht, der sie als Subjekte anerkennt, der sich auf ihre Fragen - und Antworten - auch in religiöser Hinsicht einlässt und der sie bei der Klärung und im Aushalten existenzieller Fragen begleitet." (118)

Der dritte Hauptteil "Perspektiven" (119-142) rundet das Buch ab, indem grundsätzliche Positionen und Visionen zum Religionsunterricht in Deutschland aufgezeigt werden. Der Beitrag von Jürgen Frank "Religionsunterricht in der EKD - Diagnosen und Perspektiven" (119-129) betreibt elementar und exzellent Grundlagenklärung rund um das Unterrichten von Religion, dessen Ziel und Gegenstand religiöse Kompetenz der Lernenden und der Lehrkräfte ist. Die teils brisanten programmatischen Ausführungen leiden bedauerlicherweise unter fehlenden Anmerkungen und Hinweisen auf Diskussionslesestoff. Eine Lanze für die Chancen des Lehramtsstudiums schlägt Ulrike Link-Wieczorek mit ihrem Beitrag "Zwischen Voll-Theologie und theologischem Durchlauferhitzer. Zum Potenzial des Lehramtsstudienganges Theologie" (130-142). Hierbei tritt sie dafür ein, dass bereits während des Studiums eine reflexive Grundhaltung in puncto Religion eingeübt, gefordert und gefördert wird.

Ein rundum anregendes Buch liegt vor, das in vielfältiger Weise überzeugt und aufzeigt, warum es sich für die Gesellschaft und die Kirche lohnt, in religiöse Bildung an Schulen zu investieren - nicht zuletzt um der Kinder und der Demokratie willen: "Kritische Zeitgenossenschaft und bürgerschaftliches Engagement ... verdanken sich zu einem nicht unwesentlichen Teil der Vitalität religiöser Ressourcen" (12).