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Ausgabe:

Juni/1998

Spalte:

625–628

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kraus, Georg

Titel/Untertitel:

Welt und Mensch. Lehrbuch zur Schöpfungslehre.

Verlag:

Frankfurt/M.: Knecht 1997. 571 S. 8 = Grundrisse zur Dogmatik, 2. Kart. DM 56,-. ISBN 3-7820-0756-5.

Rezensent:

Wilhelm Gräb

Im vorliegenden 2. Band seiner auf sechs Bände geplanten "Grundrisse der Dogmatik" (der erste, 1995 erschienene Band, setzte mit der Gotteslehre ein) gibt der in Bamberg lehrende katholische Dogmatiker einen historisch informierten, auf aktuelle Problemstellungen focussierten, in einem eigenständigen dogmatischen Entwurf exponierten Überblick über die "Schöpfungslehre". Das Werk umfaßt drei Hauptteile. Auf eine biblische Grundlegung, die den "Schöpfungsglauben" im Alten und Neuen Testament rekonstruiert, sowie die Differenzen zu den Schöpfungsvorstellungen anderer (altorientalischer) Religionen benennt (30-161), folgt die Abhandlung der Themen, die sich der Theologie im Blick auf die dogmatische Lehrüberlieferung einerseits, im Blick auf die modernen Herausforderungen andererseits, vor allem aus dem Verhältnis des Schöpfungsglaubens zur neuzeitlichen Naturwissenschaft und zur ökologischen Krise ergeben (164-404). Dieser zweite Teil beansprucht, die "Kosmologie" des biblischen Schöpfungsglaubens in einer heute vernünftig vertretbaren Weise, dann aber vor allem in seiner existentiellen und ethischen Relevanz, darzustellen. Diese dem Buch insgesamt eignende Intention wird im abschließenden dritten Teil auf besondere Weise deutlich. Es wird dort die Entfaltung der dem biblischen Schöpfungsglauben impliziten Anthropologie, die im Gottesverhältnis erschlossene Welt- und Selbstanschauung des Menschen, zum selbständigen Gipfelthema des gesamten Entwurfs erhoben (408-513).

Die herausgehobenen Stellung, die der Anthropologie in der vorliegenden Schöpfungslehre zukommt, ist demVf. aus der in der Einleitung (21-27) skizzierten Einsicht erwachsen, daß "Schöpfung" als "religiöser Begriff" verstanden werden muß, somit als eine Kategorie derjenigen Deutung von Welt und Mensch, die besagt, daß "die gesamte Welt und insbesondere die Menschen vom göttlichen Urgrund herkommen und bleibend abhängig sind" (21). Als Kategorie der Deutung genommen, sinnhafter, somit von vornherein auf den Menschen und sein Sich-selbst-Verstehen im welthaften Dasein bezogener Deutung von Welt und Mensch, ist der religiöse Begriff der "Schöpfung" im Ansatz des ganzen Entwurfs auf einer hermeneutischen Theorieebene angesiedelt. Der Vf. verbindet damit die Erwartung, daß sich die in der Neuzeit entstandenen Konflikte von Theologie und Kirche mit den Naturwissenschaften erfolgreich beilegen lassen (26 f.). Wird "Schöpfung" konsequent als "religiöser Begriff" genommen, dann sind deshalb keine Verwicklungen mit den experimentell verfahrenden, quantifizierbare Methoden und das mathematische Kalkül zur Anwendung bringenden Naturwissenschaften zu erwarten, weil es in der Entfaltung des religiösen Verständnisses von Welt und Mensch als Gottes Schöpfung gar nicht darum geht, zu erklären, welches die (kausalen) Bedingungen der Entstehung und Erhaltung der Welt und des Lebens auf dieser Erde sind. Mit der religiösen Deutekategorie der Schöpfung geht es ausschließlich darum, wie wir Menschen uns selbst verstehen hinsichtlich des Vonwoher und Woraufhin unseres (damit aber auch immer schon vorausgesetzten) endlichen Daseins in der Welt, die uns umgibt und von der wir selber ein Teil sind. Die "theologische Schöpfungslehre" beansprucht also gar nicht eine objektive Erkenntnis hinsichtlich dessen zu geben, was mit dem interstellaren Universum und dem (menschlichen) Leben auf der winzig kleinen Erde im Blick auf die kausalen Bedingungsfaktoren von deren Entstehung, Erhaltung und Veränderung der Fall ist. Sie "reflektiert die Glaubensüberzeugung (sic!), daß Gott der Urheber und Lenker der ganzen Welt ist"; sie hat von daher "prinzipielle Bedeutung für das Verständnis (sic!) von Gott und Welt"; "existentielle Bedeutung für das Verhalten der glaubenden Menschen (sic!) zu Gott und Welt"; "aktuelle Bedeutung für die Klärung der Beziehung des Glaubens (sic!) zu Naturwissenschaft und Ökologie" (24).

Es ist nun freilich nicht immer so gewesen, daß die theologische Schöpfungslehre sich so verstanden hat, verstehen konnte, verstehen mußte, als gründend auf (subjektiven) Glaubensüberzeugungen, als Entfaltung nicht kosmologischer Erkenntnisse, sondern als Beschreibung des für Christenmenschen letztgültigen Deutungshorizontes ihres Daseins in dieser Welt, von dem her sich die Fragen nach dem Sinn und Ziel ihres Lebens auf existentiell relevante Weise, somit auch ethisch orientierend in der Lebenspraxis, beantworten. Leider ist im systematischen Aufbau der vorliegenden Schöpfungslehre dieser Sachverhalt, daß ihr ganzer Ansatz sich geistes- und kulturgeschichtlichen Theorielagen verdankt, die so erst mit dem Aufkommen der neuzeitlichen Naturwissenschaft und der Ausarbeitung ihrer erkenntnistheoretischen Grundlagen - insbesondere in der Vernunftkritik I. Kants - sich entwickelt haben, nicht namhaft gemacht.

Der Vf. notiert zwar einleitend, daß es die "wortwörtliche Auffassung der biblischen Schöpfungstexte" war, welche die "katholische Theologie" bis zur Mitte unseres Jahrhunderts in unlösbare Konflikte mit der modernen Naturwissenschaft verwickelt habe (26 f.). Auch befolgt er dann in der umfänglichen biblischen Grundlegung seines eigenen Entwurfs eine Hermeneutik, welche die historisch-kritische Methode dazu verwendet, "zwischen bleibenden Glaubensinhalten und zeitgebundenen, nicht glaubensverbindlichen Weltbildvorstellungen" zu unterscheiden (27). Ebenso ist ihm wichtig, zu betonen, daß es "in den biblischen Schriften um Heilswahrheit, nicht um historische oder naturwissenschaftliche Wahrheit" geht (31). Er weist jedoch nicht darauf hin, daß erst das Aufkommen der neuzeitlichen Naturwissenschaft, erst die durch sie ausgelösten Transformationen im Weltbild und den (technischen) Möglichkeiten der modernen Weltgestaltung, die Theologie zur Umstellung im Theoriestatus ihrer Aussagen über Welt und Mensch nötigten. Er erwähnt nicht, daß die neu entwickelte theologische Hermeneutik bezüglich der Verstehensvoraussetzungen, die sie in die Auslegung der biblischen Texte einbringt, mitgeprägt ist von den ihrerseits zeitbedingten, dem kulturellen Einfluß der Naturwissenschaften sich verdankenden Weltbildvorstellungen unserer Gegenwart.

Die vom Vf. angewandte Hermeneutik fördert dann auch keineswegs - wie behauptet - zeitlose Glaubenswahrheiten zutage, sondern - in der nun betriebenen symbolischen Interpretation der biblischen Schöpfungstexte - diejenigen Kategorien für eine christlichen Deutung des Weltgeschehens und die Stellung von uns Menschen in ihm, die uns mit dem heutigen Erkenntnisstand in den Naturwissenschaften kompatibel erscheinen, bzw., weil auf einer anderen - eben hermeneutischen - Theorieebene gelagert, widerspruchsfrei zusammengehen können.

Der Vf. hält in vorliegender Schöpfungslehre letztlich an der Auffassung von biblisch offenbarten, deshalb zeitlos gültigen Glaubenswahrheiten fest. Sie sind von der Kirchenlehre und der (am Dogma orientierten) hermeneutischen Theologie lediglich weiter zu entfalteten. Der durchweg von neuzeitlichem Denken getragene, einer "neuen Hermeneutik" (26) dann auch explizit folgende Zugriff des Vf.s auf den biblischen Schöpfungsglauben, der seine Schöpfungslehre kennzeichnet, wird deshalb nicht offengelegt. Es werden in den (knappen) theologiegeschichtlichen Abrissen auch diejenigen Veränderungen nicht deutlich markiert, die dem Schöpfungsglauben und seinen theologischen Artikulationsgestalten unter dem Einfluß von Platonismus, Aristotelismus und schließlich neuzeitlicher Erkenntniskritik widerfahren sind.

In der materialen Durchführung vor allem des zweiten, kosmologischen Hauptteils ist aus dieser Vagheit im Ansatz des Ganzen die problematische Folge erwachsen, daß er sich - vor allem im Blick auf das alte Theorem von der "Schöpfung aus dem Nichts" (195-207), aber keineswegs nur dort - an Fragen abarbeitet, die sensu strictu als kosmologische Fragen zu stehen kommen und vom Vf. auch so behandelt werden, als Fragen also nach der Erklärung der Entstehung von Welt und Mensch und gerade nicht nach der sinnverstehenden Deutung des dem Menschen bereits gegebenen und aufgegebenen welthaften Daseins. Der Vf. verwickelt sich immer wieder in solche kosmologischen Fragen, die er zwar in ihrer existentiellen Relevanz für die Lebensführungspraxis heutiger Menschen verständlich zu machen sucht, die an sich selber aber weder etwas zur wissenschaftlichen Erklärung der Vorgänge bei der Weltentstehung beitragen, noch in ihrer quasi-spekulativen Auslegung erkenntiskritischen Einwänden standhalten. (Was das Nichts ist, aus dem Gott die Welt geschaffen haben soll, erfährt der Leser nicht. Er könnte deshalb in Fortführung des Gedankenganges des Autors durchaus geneigt sein, es mit Gott selber gleichzusetzen.)

Der Vf. hält in seinem zweiten, der Kosmologie gewidmeten Hauptteil an der vorneuzeitlichen dogmatischen Tradition und damit pro forma an theologischen Welterklärungsansprüchen fest. Zugleich jedoch soll programmatisch für den Entwurf insgesamt gelten, daß nur wenn solche Ansprüche nicht mehr erhoben werden, sondern die Theologie ihre Aufgabe in der lebensführungspraktisch relevanten Sinndeutung des Weltgeschehens und der Stellung des Menschen in ihm begreift, fruchtloser Streit der Theologie mit der Naturwissenschaft, bzw. das Eingeständnis der Belanglosigkeit beider füreinander, vermieden werden kann.

Von dieser, dem vorliegenden Werk innewohnenden Unstimmigkeit abgesehen, insistiert der Vf. zu Recht und mit Konsequenz auf der religiösen Funktion des Schöpfungsglaubens. Sie eben liegt in der Rückbindung des Menschen an den göttlichen Ursprung, dem er sich (im religiösen Glauben) verdankt und dessen eingedenk er seiner Verantwortung für die Weltgestaltung auf lebensdienliche Weise gerecht werden kann. Die Konsequenzen, die der Schöpfungsglaube für eine ökologische Spiritualität und Ethik hat (376-404), die Folgen schließlich, die er für eine dem "optimalen Humanismus" (512) verpflichtete Welt- und Selbstdeutung des schöpfungstheologisch als Gottes Abbild verstandenen Menschen hat, werden im dritten, der Anthropologie gewidmeten Hauptteil entfaltet. Der Vf. zeigt die aktuelle Bedeutung auf, welche die vom Schöpfungsglauben des Menschen her sich entfaltende theologische Schöpfungslehre für die Weltanschauung des Menschen hat, wie dann auch für die ihm und - vermittels seiner - allem geschöpflichen Dasein förderliche, weil vor hybrider Selbstüberschätzung bewahrende, Selbstanschauung.