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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1347–1349

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Dietzfelbinger, Daniel, u. Jochen Teuffel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Heils-Ökonomie? Zum Zusammenwirken von Kirche und Wirtschaft.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2002. 233 S. 8 = Lenken, Leiten, Gestalten, 12. Kart. Euro 24,95. ISBN 3-579-05304-3.

Rezensent:

Friedrich Heckmann

Eine "Grundsatzdiskussion über das Verhältnis von Ökonomie und Theologie respektive Kirche" (9) wollen die Herausgeber innerhalb der evangelischen Kirche ausgemacht haben und in dieser Diskussion eine überwiegend ökonomiekritische Position. Jenseits kategorialer oder ideenpolitischer Verwerfungen geht es ihnen darum zu fragen, wo Kirche von den Institutionen der Wirtschaft lernen kann, was für erprobte Konzepte es gibt und wo nun tatsächlich Grenzen der Übertragbarkeit liegen.

Zehn Autoren und Autorinnen tragen in ihren Aufsätzen zusammen, wie und in welchen Handlungsfeldern und Strukturen Kirche von Wirtschaft zu lernen habe. Die Kompetenz für ihre Ratschläge an Kirche und Diakonie haben sie sich durch ihre wissenschaftliche Arbeit, insbesondere aber auch durch ihre berufliche Tätigkeit erworben, sechs von ihnen arbeiten zurzeit (2002) noch in unterschiedlich wirtschaftsnahen Tätigkeitsfeldern. Allein dies lässt den Leser neugierig werden auf den Sammelband. Und sicherlich macht die hier versammelte Kompetenz der Theologen und Theologinnen, die nicht in klassischen kirchlichen Feldern arbeiten, den Band lesenswert für alle, die an dem Grenzgebiet Theologie und Ökonomie interessiert sind. Und - dies sei als Meinung des Rezensenten vorausgeschickt - es gibt für die Theologie gute, wenn nicht zwingende Gründe, sich mit der real existierenden Wirtschaft und mit Ökonomie zu beschäftigen. Die Autoren und Autorinnen dieses Bandes thematisieren mit ihren Beiträgen zum ökonomischen Handeln, zum Umgang mit Geld, zu Personalführung und Management, zum Stakeholder-Dialog, zu Wertemanagement und fachlicher Professionalität Fragen, die in Kirche und Diakonie dringend behandelt werden müssen.

Den Auftakt in diesem Sammelband bildet ein historischer Abriss der Beziehung zwischen Theologie und Ökonomie, den T. Roser und R. Zitt vorgelegt haben. Sie verfolgen die Historie dieser Beziehung vom Neuen Testament über die Alte Kirche, das Mittelalter und die Reformation mit ihrer Neubewertung der menschlichen Arbeit, der Neugestaltung des kirchlichen Finanzwesens und ihrer Impulse für das Sozialwesen, über den neuzeitlichen Protestantismus bis hin zur Herausbildung einer evangelischen Wirtschaftsethik. Trotz seines Umfanges muss ein solcher Abriss defizitär bleiben.

Nach dem historischen Abriss folgen die Beiträge der Herausgeber. D. Dietzfelbinger hat seinen Beitrag zu Ethik und Ökonomie "Von der Freiheit eines Wirtschaftsmenschen" überschrieben. Er hat sich mit seiner Beschreibung des Verhältnisses beider u. a. die Überwindung der Einwände Luhmanns wider die (Wirtschafts-)Ethik vorgenommen. Das Vorhaben scheitert allerdings daran, dass D. die Einwände und Argumente in dem angegeben Vortrag Luhmanns gegen die Ethik gar nicht erst anspricht! D.s eigener Versuch, (protestantische) Ethik und Ökonomie zu versöhnen, setzt bei dem paulinischen und lutherischen Freiheitsbegriff an, den er in eine (Wirtschafts-)Ethik der Verantwortung überführen möchte. D. kommt zu dem erstaunlichen Ergebnis, Ethik "als kritische Theorie allen Wirtschaftens" rede einem Antagonismus von Ethik und Ökonomie das Wort und stelle damit "einen großen Bereich menschlichen Handelns ... unter das Verdikt des Unethischen bzw. Unmoralischen." (67) Worin aber "die Freiheit eines Wirtschaftsmenschen" liegt, die Überschrift hat ja gerade in ihrer Anspielung auf Luther neugierig gemacht, bleibt dem Leser doch weitgehend verborgen.

J. Teuffel, der zweite Herausgeber, beschäftigt sich mit der Pfarrerbesoldung. T., der als Dozent im Ausland seinen Lebensunterhalt verdient, hat zuvor als einziger der Beiträger beides zu verbinden versucht: Pfarramt im unbesoldeten Ehrenamt und eine Tätigkeit in der freien Wirtschaft. Von diesem biographischen Hintergrund her lese ich seine Ausführungen zu "Mein Lohn ist, dass ich darf: Ökonomisches Verhalten im Neuen Testament und die Frage nach der Pfarrerbesoldung" mit besonderen Interesse. Anders als der Titel nahe legen könnte, sucht T. nicht das ehrenamtliche Pfarramt als das auf das Reich Gottes ausgerichtete Modell des Pfarrerberufes stark zu machen, sondern diskutiert die derzeitige Besoldung, nämlich die der Alimentation in Anlehnung an die staatliche Beamtenbesoldung, und eine mögliche leistungsbezogene Besoldung. Er macht deutlich, dass beides kein theologischer Gegensatz ist. Beide sind ökonomische Anreizsysteme und insofern sind "profanökonomische Überlegungen in aller Freiheit und Gelassenheit der Gottesgemeinschaft in Christus" zugelassen (84). Dass die leistungsbezogene Besoldung im Pfarrerberuf in Quantifizierung und Qualifizierung von Leistung ein nicht ganz unproblematisches Feld sein könnte, wird dem Leser deutlich vorgeführt, ohne dass T. das Thema damit vom Tisch fegt.

Dietzfelbinger hat in dem Band noch einen zweiten Beitrag vorgelegt, der sich mit dem Problemkreis Kirche und Management beschäftigt. Er nimmt eine innerkirchliche Debatte um Kirche und Management aus einem internen bayrischen Mitteilungsblatt auf, deren Relevanz sich dem Leser nicht ganz erschließt. Hilfreich für die Diskussion in dem angegebenen Problemfeld sind fünf Problemanzeigen: Nonprofit-Charakter und Zukunftsorientierung, Konzepte und Strategien, Haushalt und Managementaufgaben, Schulung von Führungskräften, Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederschwund. Diese Problemanzeigen werden in den folgenden Beiträgen von D. Buchstädt ("Ökonomisch Handeln im Gemeindepfarrdienst"), D. Lohmann ("Verhaltensbestimmung zum Umgang der Kirche mit Geld"), T. Röhr ("Personalmanagement in Kirche und Diakonie für die Zukunft") und U. Hermann ("Wertemanagement als Führungsinstrument") aufgenommen.

Die letzten beiden Beiträge überschreiten dann deutlich die eher betriebswirtschaftlichen Grenzen und innerbetrieblichen kirchlichen Problemstellungen. J. Hartmann beschäftigt sich mit dem Stakeholder-Dialog, einem großen Thema der Wirtschaftsethik. Kirche als Stakeholder ist nicht nur ein äußerst relevantes Thema, sondern auch ein eher defizitär besetzter Ausschnitt der herkömmlichen Fragestellungen Kirche und Staat sowie Politik und Öffentlichkeit. E. Müller thematisiert die Trias ökonomische Vernunft, fachliche Professionalität und diakonischer Auftrag. - Der Epilog des Reihenherausgebers Alfred Jäger beschließt den Band. Es ist der Rückblick auf eine durchaus nicht immer unkomplizierte Beziehung von Theologie und Ökonomie in den letzten Jahrzehnten, in denen J. einer der wichtigsten Akteure in diesem Beziehungsfeld im deutschen Sprachraum gewesen ist.

Der Leser bleibt nach der Lektüre der sehr unterschiedlichen Beiträge etwas ratlos zurück: Den weitgehend deskriptiv gehaltenen Beiträgen, die Wissen über wirtschaftliche Instrumente weitergeben wollen, fehlt die Ausarbeitung des im Vorwort angedeuteten erkenntnisleitenden Interesses, das die Argumente schärft und dazu hilft, das wirtschaftliche Handeln von Kirche und Diakonie begründbar zu beurteilen, anstatt behauptend zu verurteilen. So bleiben mehr Fragen der Übertragbarkeit wirtschaftlichen Handelns auf das kirchliche Feld offen, wird der selbst gestellte Anspruch, der Kirche zu zeigen, wo sie lernen kann, nicht eingelöst, auch und gerade auf Grund fehlender Begründungen.