Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1342–1344

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hegge, Bernhard

Titel/Untertitel:

Christliche Existenz bei Romano Guardini. Ihre heilsgeschichtliche und ekklesiale Dimension.

Verlag:

Würzburg: Echter 2003. X, 377 S. 8 = Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 38. Kart. Euro 24,50. ISBN 3-429-02481-1.

Rezensent:

Simon Peng-Keller

Im Hinblick auf die "Relevanz für geistliches Leben in heutiger Zeit sowie auf die spirituelle Theologie" (25) untersucht diese Studie, die an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom als Dissertation angenommen wurde, R. Guardinis "theologische Sicht der christlichen Existenz" (24). Hegge hat hierzu einen thematischen Zugang zu Guardinis umfangreichem uvre gewählt, geht also "nicht streng werkchronologisch vor, versucht aber doch, Veränderungen von Standpunkten und Entwicklungen im Denken Guardinis Rechnung zu tragen" (17).

Die Arbeit umfasst neben der Einführung und einer abschließenden Überlegung vier umfangreiche Kapitel. Nach einem einführenden Überblick über den Stand der Forschung und methodischen Bemerkungen (1-25) widmet sich das erste Kapitel (26-88) den Grundlagen und dem geistigen Hintergrund von Guardinis Denken. Ausgangspunkt und ein Leitmotiv der Studie bildet die Bekehrungserfahrung des 20-jährigen Studenten im Jahre 1905, in der sich für Guardini die Hingabe an Gott mit der Hingabe an die Kirche verband. In den auf dieses Schlüsselerlebnis folgenden Studienjahren in Tübingen, Mainz und Freiburg fand Guardini unter dem Einfluss von Phänomenologie und Lebensphilosophie zu seinem Gegensatzdenken, das er in seiner Dissertation über Bonaventura und weiteren frühen Schriften erprobte. Nach der Habilitation und zwei Semestern als Privatdozent für Dogmatik in Bonn wurde Guardini 1923 nach Berlin berufen, um dort den neu errichteten Lehrstuhl für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung zu besetzen. In der Geschichte dieses Lehrstuhls verbinden sich Lebens-, Zeit- und Theologiegeschichte: Nach seiner Eliminierung 1939 wurde er 1945 in Tübingen wiedererrichtet und wanderte dann 1948 mit seinem Inhaber nach München, wo er zugleich einen kleinen, aber signifikanten Namenswechsel erfuhr: Aus der katholischen wurde hier die christliche Weltanschauung. H. beendet diesen ersten Durchgang, indem er Guardini der "Tradition der Philosophie des Herzens" bzw. des "existentiellen Denkens" (77) zuordnet und damit den Kreis zum Ausgangspunkt schließt, der Bekehrungserfahrung, die Guardinis suchende Denkbewegung zeitlebens in Anspruch nahm.

Im zweiten Kapitel (89-150) führt H. das Hauptthema seiner Arbeit ein. Christliche Existenz ist für Guardini "eine Auswanderung aus der unmittelbar vertrauten Existenz; eine Ablösung vom Zunächst-Gegebenen" (100), ein gläubiges Sich- Verstehen von der Christusoffenbarung her. H.s thematische Entfaltung orientiert sich an Guardinis Welt- und Personbegriff. In augustinisch geprägter Metaphorik liegt der Akzent auf einer gottgewirkten Innerlichkeit, die durch einen dialogphilosophischen Personalismus ausbalanciert wird. Dieser christlich-philosophischen Grundlegung der christlichen Existenz entspricht im Werk Guardinis eine heilgeschichtliche Zuspitzung, auf die H. im dritten Kapitel eingeht (151-254). Als leitendes Interpretament dient H. der Chiasmus Christus in mir - ich in Christus, der christliche Existenz als wechselseitige "Inexistenz zu fassen versucht. Guardinis Deutung der Heilsgeschichte betont das Angekommensein des Glaubenden im aeviternum Gottes und neigt dazu, die christliche Existenz durch räumliche Metaphern zu charakterisieren: nicht als Nachfolge, sondern als Inexistenz in Christus, nicht als Getriebenwerden durch den Heiligen Geist, sondern als "Innesein des Geist-Christus, welcher der Logos ist" (219). Entsprechend fällt Guardinis Zeichnung der paulinischen Damaskuserfahrung bzw. des Pfingstereignisses aus: Die Apostel, die vorher Christus gegenüberstanden, sprechen jetzt "von Ihm her. [...] Er ist in ihnen" (214).

Der Aufbau von H.s Studie läuft auf das vierte und letzte Kapitel zu, das die christliche Existenz als eine wesentlich ekklesial verfasste pointiert (255-331). Im Anschluss an J. A. Möhler versteht Guardini die Kirche als Prolongatur der Menschwerdung Christi und entsprechend das Verhältnis der Glaubenden zur Kirche analog zu ihrer Beziehung zu Christus: als Ort der Entscheidung zwischen Ärgernis und glaubendem Gehorsam. Kierkegaards Gedanke der Gleichzeitigkeit des Glaubenden zu Christus wird von Guardini umbesetzt zu einer "Gleichzeitigkeit zum pneumatischen Christus, der dem einzelnen auf verbindliche Weise in der Kirche gegenübertritt" (294). Mit der von ihm bevorzugten Metapher von der Kirche als corpus mysticum beschreibt Guardini die wechselseitige Inexistenz von Christus und den Gläubigen als eine wesenhaft kirchlich verfasste. Die Betonung des präsentischen Moments mag erklären, warum Guardini, der im Laufe der Jahrzehnte wichtige Impulse zu einem erneuerten Kirchenverständnis eingebracht hat, die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums mit ihrem Leitbild von Kirche als wanderndem Volk Gottes nur mit Vorbehalten aufnehmen kann: "So könnte die Selbsteinstellung des Glaubenden auf das Bild des neuen Israel eine Formlosigkeit mit sich bringen. Es könnte die sichtbare Ordnung, die klare Gestalt der Kirche, ihre Form und Wirksamkeit auflösen. Der Begriff könnte in den der unsichtbaren Kirche übergehen" (267).

H.s Durchgang durch das Werk Guardinis endet mit einer "Abschließenden Überlegung" zur "Relevanz der christlichen Existenz für die spirituelle Theologie". Diese äußerst knapp ausgefallene Summe (10 Seiten!) besteht hauptsächlich aus einer Zusammenfassung der Arbeit und einer kurzen Würdigung und Kritik von Guardinis Ansatz. Noch gedrängter sind H.s Bemerkungen zur Aktualität Guardinis für die geistliche Theologie. Hier hätte man mehr erwarten dürfen als allgemeine Auskünfte wie etwa derjenigen, Guardini habe Themen behandelt, "die auch für die spirituelle Theologie von entscheidender Wichtigkeit sind", und, dass der "Erfahrungsaspekt" bei ihm eine "wesentliche Rolle" spiele (340 f.).

In seiner Darstellung, die sich weitgehend an den Konsens der bisherigen Forschung hält, tendiert H. zu einer harmonisierenden Interpretation, die Spannungen im Denken Guardinis eher abmildert und gegenläufige Motive nur beiläufig erwähnt. Die kritische Diskussion und Fortschreibung des präsentierten Ansatzes hält sich in engen Grenzen. Störend wirkt sich das vor allem dort aus, wo die bisherige Guardini-Forschung eine stärker differenzierende Interpretation erlaubt hätte. So dürfte etwa die Aktualität von Guardinis Ekklesiologie, die auch von katholischer Seite Kritik erfahren hat (E.-M. Faber, Th. Ruster), kaum so bruchlos gegeben sein, wie H. es darstellt. Dass der Gedanke, die Kirche sei eine Prolongatur der Menschwerdung Christi, durch die ekklesiologische Erneuerung des Zweiten Vatikanischen Konzils aus der katholischen Theologie verschwunden ist, wird in H.s Aktualisierungsversuch übergangen.

Die Spannung zwischen H.s Intention, Guardinis Relevanz für christliche Spiritualität heute herauszuarbeiten, und seiner eher bescheidenen Summe am Schluss seiner Arbeit wirft die Frage auf, ob der von ihm gewählte Zugang einer überblickshaften thematischen Rekonstruktion sein Anliegen nicht verfehlen musste. Der Ertrag der Arbeit kann darin gesehen werden, indirekt gezeigt zu haben, dass weiterführende Impulse aus Guardinis vielgestaltigem Werk wohl eher durch Einzelstudien zu bestimmten Aspekten christlicher Existenz (Liturgie, Gebet, Mystik ...) zu gewinnen wären.