Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1341

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Baum, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Gott nach Auschwitz. Reflexionen zum Theodizeeproblem im Anschluß an Hans Jonas.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2004. 200 S. m. Abb. gr.8 = Paderborner Theologische Studien, 38. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-506-70136-3.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Auschwitz markiert den Terminus ad quem, der grundsätzlich die Möglichkeit des Scheiterns des Projektes der Schöpfung ausdrückt. Deshalb stellt sich die Frage nach Gott in totaler Schärfe: Ist er nach Auschwitz noch derselbe wie vorher? Und können "die gängigen Gottesprädikationen noch so unbefangen benutzt werden ... als hätte Auschwitz nie stattgefunden?" (9). Um hier zu einem Lösungsvorschlag zu kommen, fragt Baum, Lehrbeauftragter für Katholische Theologie an der TU Dresden, im Anschluss an Jonas nach der Theodizee, weil er der Meinung ist, "daß die deutschen Verbrechen auch das Ergebnis ... besonders deutscher Theoriebildung gewesen seien" (18). Damit wird Auschwitz zur Metapher der radikalen Frage nach der Güte Gottes angesichts der Übel in der Welt. Hier ist nicht nur die Fortschrittsideologie unterbrochen, sondern steht auch jedes theistische Bekenntnis unter steter Rechtfertigung. Weiterführend an Jonas ist, dass er Auschwitz als Zugang zur Gottesfrage begreift, allerdings als radikale Revision und Transformation, die die Rede vom lieben Gott beendet. Die Theologie muss jetzt "mit der neuen Voraussetzung arbeiten, die stets die Potentialität menschlicher Selbstzerstörung mitbedenkt" (26).

Seinen Untersuchungsgang ordnet B. in vier Kapiteln an. Im ersten beschreibt er das Verhältnis von Juden und Christen und im zweiten die unterschiedlichen jüdischen Reaktionen auf den Holocaust. Das zentrale dritte Kapitel ist der theologiegeschichtlichen Untersuchung der Allmachtsprädikation Gottes im Kontext des Theodizeeproblems (vom Alten Testament bis in die Gegenwart) gewidmet. Im vierten Kapitel werden gegenwärtige deutschsprachige Lösungsmodelle erörtert.

Für B.s eigenen Vorschlag ist die Auffassung Norbert Recks (76-79) sehr wichtig, der traditionelle Gottesprädikationen in der Gefahr sieht, zu einem Zynismus zu führen, indem sie dem Übel einen Sinn für die Opfer abpressen. Dagegen muss eine Theologie nach Auschwitz so formuliert sein, dass sie vor Überlebenden wiederholt werden kann. Damit ist die traditionelle Rede von der Allmacht Gottes nicht mehr möglich. In Aufnahme des Plädoyers für eine so genannte anamnetische Kultur von Johann Baptist Metz (164-174), die sich in der Lage sieht, aus der Geschichte zu lernen, kommt B. zu dem Ergebnis, dass eine Theologie nach Auschwitz keine zeitenthobene Heilsmetaphysik sein darf, die die menschliche Leidensgeschichte in Wahrheit verdrängt oder idealistisch aufhebt. Statt über den Sinn von Leid zu spekulieren, ist eine Theologie nach Auschwitz von der "Überzeugung einer letzten Unbegreiflichkeit (Negativität) Gottes" (177) geprägt und mit Mut ausgestattet, derart unlösbare Fragen offen zu lassen. - Mit dieser Studie hat B. unter der präzisen Aufarbeitung einer sehr großen Stoffmenge einen wichtigen Anstoß für die Reflexion von Leid und die Transformation des Gottesbegriffes geleistet.