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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1332–1336

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Moll, Konrad

Titel/Untertitel:

Der junge Leibniz. Bd. 3: Eine Wissenschaft für ein aufgeklärtes Europa. Der Weltmechanismus dynamischer Monadenpunkte als Gegenentwurf zu den Lehren von Descartes und Hobbes. Gesamtregister Bd. 1-3.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1996. 301 S. gr.8. Lw. Euro 58,00. ISBN 3-7728-0732-1.

Rezensent:

Hans Burkhardt

Nachdem sich Konrad Moll im ersten Band mit der Philosophie des Jenaer Philosophen und Lehrers von Leibniz Erhard Weigel (1625-99) und im zweiten Band mit der Rezeption der Philosophie von Pierre Gassendi (1592-1655) durch Leibniz befasst hatte, geht es in diesem dritten Band um die Weiterentwicklung des Leibnizschen Substanzbegriffes im Sinne einer Dynamisierung. Bisher bot die Physik den Begriff der Masse, den Pierre Gassendi eingeführt hatte, und den der Ausdehnung, auf den Descartes baute. Leibniz lehnte den Descartesschen Ausdehnungsbegriff als physikalischen Grundbegriff von Anfang an ab, weil er zu einem statischen Substanzbegriff führt, und er suchte einen Begriff, mit dessen Hilfe man Bewegung erklären konnte. Dabei stieß er auf den Hobbesschen conatus, dessen Bekanntschaft er wiederum Pierre Gassendi verdankte, der Hobbes sehr schätzte. Thomas Hobbes (1588-1679) hatte die Ansicht vertreten, dass jeder Körper eine innere Dynamik aufweist und sich mit gleich bleibender Geschwindigkeit fortbewegt, wenn er nicht daran gehindert wird.

Leibniz versteht den conatus als punktuellen Bewegungsbegriff, als Bewegungsanfang oder Anschub, aber auch als Garant der Bewegung. Ruhe wird als Grenzfall der Bewegung angesehen. Damit hat er den Begriff der Grenze oder der Schranke in Physik und Philosophie eingeführt. Aus diesem Grunde beschäftigt er sich auch mit der Geschichte des Punktbegriffs, die mit Plato beginnt und über die Pythagoreer, Aristoteles, Euklid, Archimedes, Proklos, Cavalieri, Clavius, Kepler bis zu Hobbes reicht. Die Probleme, die in diesem Zusammenhang diskutiert wurden, waren sehr vielgestaltig: räumliche und nicht-räumliche Teile, Grenzen, Ausdehnung, Bewegung, Unterscheidung von Teilbarkeit und Geteiltsein, aber auch die Unzerstörbarkeit.

Beginnend mit dem Pythagoreer Archytas von Tarent im 4. Jh. v. Chr. hatten einige dieser Denker den Punkt mit Bewegung kombiniert und vom fluxus puncti gesprochen. Leibniz schließt sich ihnen an. Aus diesem fluxus puncti entstehen dann die geometrischen Dimensionen, zunächst die Linie (ex motu seu fluctu puncti fit linea), dann die Fläche und schließlich der Körper. Leibniz gehört zu denen, die sowohl Punkt als auch Linie als unkörperlich ansehen. Punkte haben zwar keine ausgedehnten Teile, wohl aber ausdehnungslose, das zeigt sich schon daran, dass sich beliebig viele Winkel in einem Punkt treffen können. Diese Kombination aus Ausdehnungslosigkeit und Teilbarkeit macht den Punkt für Leibniz zum Paradigma des Geistigen.

Leibniz hat später die Kraft (vis) in die Philosophie und Physik eingeführt und den Begriff eines punktuellen Kraft- und Wirkungszentrums vertreten, den er mit dem traditionellen Substanzbegriff verbindet. Bewegung wird entmaterialisiert und ist für Leibniz vor allem geistige Bewegung. Er dehnt deshalb den Conatusbegriff auf das Geistige oder die mens aus. Die mens wird als göttlicher Geist und damit als Ursache der Welt und jeglicher Bewegung aufgefasst

Eine besondere Rolle spielt für den jungen Leibniz der Zeitpunkt (instans), denn Körper und Geist unterscheiden sich vor allem in ihrer Beziehung zur Zeit. Während Körper zeitabhängig sind, ist der Geist zeitunabhängig und damit ontologisch auf gleicher Ebene mit der Zeit. Der Körper kennt keine gleichzeitig auftretenden gegenläufigen Bewegungen, der Geist kennt sie wohl. Deshalb gibt es nicht nur Wahrnehmung, Denken und Erinnerung, sondern auch Reflexion oder Apperzeption, wie Leibniz sie später nennt. Hier zeigt sich ein Missverständnis, dem auch M. zum Opfer fällt. Nicht nur die Körper sind zeitabhängig, sondern auch die Psyche. Sie ist nur nicht räumlich. Nur das Ideale ist weder raum- noch zeitabhängig und folglich auch nicht richtungsabhängig. Diesen Unterschied beachtet Leibniz normalerweise.

M. stellt diese Zusammenhänge sowohl historisch als auch systematisch in verständlicher Weise dar und löst damit ein Versprechen ein, das aus dem Titel des Buches hervorgeht, denn dort wird von einer Auseinandersetzung mit der Philosophie von Hobbes gesprochen. Das gilt jedoch nicht für eine Auseinandersetzung mit der Philosophie von Descartes.

Das hängt wohl auch mit der etwas eigenartigen Komposition des Buches zusammen, denn M. geht im ersten Teil auf eine Kulturkritik ein, die eher die 70er und 80er Jahre des vergangenen Jh.s betrifft als das 17. Jh., deren Wurzeln er jedoch im 17. Jh. bei Descartes ausmacht. Im zweiten Teil versucht er sein Versprechen einzulösen, indem er wenigstens die Beziehung zwischen Leibniz und Hobbes darstellt. Im dritten Teil gestattet er sich einen Ausblick auf das späte System von Leibniz und zieht Parallelen zwischen dem frühen und dem reifen Leibniz. Im ersten und dritten Teil kommen auch ethische und theologische Probleme zur Sprache, während sich der mittlere Teil auf Naturphilosophie, Ontologie und Metaphysik beschränkt, d. h. auf das eigentliche Thema.

Der Begriff der Mechanik macht im 16. und 17. Jh. eine bemerkenswerte Entwicklung durch. Mechanik ist die Lehre von den künstlichen Körpern, Physik die von den natürlichen Körpern. Mechanik ist ars oder Kunst, Physik ist scientia oder Wissenschaft. Hatte man noch in der Renaissance die Konstruktion und Anwendung von Maschinen als Überlistung der Natur angesehen, so ändert sich diese Auffassung mit Galilei und Kepler grundlegend. Galilei hatte gezeigt, dass sich nicht-natürliche Bewegungen auf natürliche zurückführen lassen. Auch Maschinen bedienen sich der Naturgesetze und stehen damit im Einklang mit der Natur. Johannes Kepler (1571- 1630) ist der Erste, der von einer Weltmaschine spricht und damit terrestrische und extraterrestrische Physik miteinander versöhnt, die seit Aristoteles getrennte Wege gegangen waren. Dieser Schritt hat sicher die rasante Entwicklung, die die Physik im 17. Jh. gemacht hat, sehr gefördert. Schon der junge Leibniz geht einen Schritt weiter und deutet die Welt als optimale Maschine.

Im letzten Teil geht M. auf ethische und theologische Probleme ein und wagt einen Blick auf die weitere Entwicklung der Leibnizschen Philosophie. Zunächst charakterisiert er den Harmoniebegriff von Leibniz im Bereich der Ethik, nach dem eine böse Tat durch eine Sanktion kompensiert und dadurch die gestörte Harmonie wiederhergestellt wird. Das absolut Böse gibt es im Bereich des Seins nicht, nur im Bereich des Nicht-Seins, es ist eine Privation. Träger der Handlung ist nicht mehr der römische vir bonus, sondern der christliche vir amans, der auf seine Weise ein Spiegel der Universums ist, oder, wie es Leibniz später ausdrückt, ein Mikrokosmos, der den Makrokosmos widerspiegelt. Das römische Recht wird also vom Christentum eingeholt. Charakteristisch für diese Epoche ist, dass sich göttliches und menschliches Handeln annähern, der Unterschied ist nur graduell. Das göttliche Handeln ist Maßstab für das menschliche Handeln.

M. versucht dann Parallelen zwischen dem jungen und dem reifen Leibniz auch im Systementwurf nachzuweisen, indem er z. B. zeigt, dass Leibniz unter Existenz Koexistenz im Räumlichen und Unräumlichen versteht und auch schon einen nicht-aktualistischen oder possibilistischen Begriff von Welt hat. Es ist sicher richtig, dass Leibniz schon sehr früh die Weichen für sein reifes System gestellt hat, so wenn er z. B. von einer unendlichen Menge von Möglichen spricht und in seiner Confessio Philosophi von 1673 ausgezeichnete Kenntnisse im Bereich der Modaltheorie und Modallogik zeigt. Doch hat er den Großteil seiner Begrifflichkeit erst in späteren Phasen erarbeitet, so z. B. die Idee der möglichen Welten, die des Individuenbegriffs und seiner maximalen Konsistenz, die Widerspiegelung, die klare Unterscheidung von Ideenwelt, phänomenalem und monadischem Bereich. Den Weg zum Körper als Aggregat und Phänomen deutet er schon durch den schwachen ontologischen Status der Körper in seinen frühen Schriften an, nach dem Körper sozusagen gefrorener Geist ist.

Das Werk von M. lädt dazu ein, sich eine Reihe von Grundbegriffen und Grundhaltungen von Leibniz genauer anzusehen, so z. B. Atomismus, Substanz, die Beziehung zur Scholastik und den Harmoniebegriff.

Zunächst zum Atomismus: Wie aus dem bisherigen Text hervorgeht, muss man wohl vier Arten unterscheiden, wenn man sich mit Leibniz beschäftigt, nämlich physikalischen, philosophischen, begrifflichen und mathematischen Atomismus. Wie schon erwähnt, hat Leibniz nur einige Jahre mit dem physikalischen Atomismus von Gassendi sympathisiert, nämlich von 1664-68, und ihn dann wieder verworfen. Das führte dazu, dass er auch den damit verbundenen philosophischen Atomismus zurückwies, weil er schon früh ein Materiekontinuum favorisierte und damit auch jede Art von Vakuum ablehnte.

Leibniz ist durchaus Atomist in einem philosophischen Sinne, allerdings weit entfernt vom traditionellen Atomismus des Leukipp, Demokrit, Epikur, Lukrez, Gassendi oder Jungius. Er denkt an geistige Substanzen und spricht schon in seinen Jugendschriften vom formalen Atom. Die Monade ist ein Atom, das keine substantiellen Teile hat und damit mereologisch primitiv ist. Monaden sind geistige Substanzen.

Angefangen von der Dissertatio de Arte Combinatoria (DAC) von 1666 bis zum reifen System ist Leibniz Begriffsatomist, denn er hat immer einfachste, d. h. teillose Begriffe angenommen. Später zweifelt er daran, dass wir auch Zugang zu diesen primitiven Begriffen hätten, und unterscheidet zwischen notiones absolute primae und notiones quoad nos primae, also zwischen absolut ersten und für uns ersten Begriffen. Mit dem begrifflichen Atomismus bei Leibniz ist ein logischer Atomismus verbunden, denn im Gegensatz zu den Satz- oder Aussagenlogikern des 19. und 20. Jh.s ist Leibniz Term- oder Begriffslogiker.

Den mathematischen Atomismus, der in der Tradition ein geometrischer ist, kennt Leibniz in zwei Formen. Einmal als Punktatomismus und einmal als Dreieckatomismus, im letzteren Fall als grundlegendste geometrische Form. Mit dem Punkt hat sich Leibniz ausführlich beschäftigt, die Idee vom Urdreieck als grundlegender Form hat er aus dem Timaios übernommen.

Leibniz entscheidet sich schon früh für den Substanzbegriff der aristotelischen und gegen den der atomistischen Tradition. Er favorisiert die substantiellen Formen und übernimmt nach einigem Zögern auch den Entelechiebegriff des Aristoteles. Zwei Dinge sind dabei für Leibniz charakteristisch und unterscheiden ihn von anderen Philosophen: Das eine ist die Mathematisierung und das andere die Dynamisierung des Substanzbegriffes. Leibniz versieht zum einen die Substanz mit einem punktuellen Kern, den er als Kraftzentrum versteht, und zum anderen deutet er den conatus als infinitesimale, punktuelle Bewegung. Das Kuriose dabei ist, dass es sich um geistige Substanzen handelt und der Körper als momentaner Geist angesehen wird: Corpus est mens momentana als vergänglicher Repräsentant von etwas Unvergänglichem.

Leider trifft M. in dieser Untersuchung, in der der Substanzbegriff eine zentrale Rolle spielt, keine klaren Unterscheidungen. Es wird deutlich, dass Leibniz verschiedene Substanzbegriffe aus der Tradition kennt, einige übernimmt, dann aber wieder fallen lässt, wie den atomistischen Substanzbegriff, und andere auf seine Art variiert. Allein Aristoteles hat mindestens vier Substanzbegriffe hinterlassen, nämlich die aus den Kategorien, aus der Physik, aus der Metaphysik und aus De Anima. Wie schon ausgeführt, setzt M. auf den Substanzbegriff der Physik. Das ergibt sich schon aus dem Thema, denn er untersucht vorwiegend die Entwicklung des Leibnizschen Denkens im Zusammenhang mit der damaligen Physik. Doch unmerklich spielt auch die geistige Substanz aus De Anima eine zentrale Rolle, denn Monaden sind geistige Substanzen, wenn sie überhaupt Substanzen sind. Mit dem aristotelischen Substanzbegriff haben sie wenig zu tun, denn, während für Aristoteles lebende Individuen Substanzen sind, sind sie für Leibniz substantiata per se, d. h. eine spezielle Art von Aggregaten, die aus unendlich vielen Monaden zusammengesetzt sind und von einer dominierenden Monade, die unserer Seele entspricht, organisiert werden. Deshalb ist auch der Vorgriff von der Substanzphilosophie des jungen Leibniz auf die Monade etwas kühn.

M. pflegt offensichtlich auch eine gewisse Distanz zur katholischen Scholastik dieser Zeit und läuft dabei Gefahr, einen wichtigen Aspekt der Leibnizschen Philosophie zu übersehen und darüber hinaus auch die protestantische Scholastik dieser Zeit falsch einzuschätzen. Leibniz hat schon im Alter von 13 Jahren fast ausschließlich die Werke führender Philosophen der katholischen Scholastik, wie Fonseca, Molina, Rubius, Zabarella, und vor allem die des größten Denkers dieser Zeit, nämlich Francisco Suàrez (1548-1617), studiert. Dass sich im Bereich des lutherischen Protestantismus nach harten Kämpfen von Mitte bis Ende des 17. Jh.s der Aristotelismus durchgesetzt hatte, der dann bis hinauf nach Schweden und Finnland alle philosophischen Lehrstühle besetzte, verdankt diese Richtung der protestantischen Schulphilosophie der überlegenen Systematik katholischer Philosophen und vor allem Suàrez.

Anfang des 17. Jh.s hatte es noch eine Fülle von Richtungen gegeben wie z. B. Ramisten, Philipporamisten oder Semiramisten, Enzyklopädisten und Ciceronianer. Auch die Calvinisten, die im Westen - vor allem in Hessen - dominiert hatten, konnten sich an diesen Hochschulen (Herborn, Marburg, Gießen, Frankfurt, Heidelberg) nicht mehr halten und wurden nach Holland abgedrängt, wo sie sich dem Cartesianismus verschrieben. In diesem Milieu entstanden dann auch Extremformen des Calvinismus wie z. B. der Arminianismus.

In einer Hinsicht scheint es eine Übereinstimmung unter den drei Philosophen (Gassendi, Hobbes, Leibniz) zu geben, und die besteht in der Methodologie. Alle drei machen im Gegensatz zu Galilei keine Experimente. Leibniz betont ausdrücklich den geringen Aussagewert von Experimenten und gibt dafür zwei Beispiele. Wenn sich zwei Körper berühren, dann weiß man nicht, ob sie sich punktuell, linear oder flächig berühren. Wenn ein kleiner Körper auf einen sehr großen Körper mit großer Geschwindigkeit trifft, dann bewegt sich auch der große, ohne dass wir es beobachten oder messen können. Die Leibnizsche Schlussfolgerung lautet deshalb: Wenn Sinneserfahrung und ratio im Wettstreit sind, dann hat die ratio Recht.

Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen für die Leibnizsche Physik und darüber hinaus auch für seine Metaphysik. An Stelle des Experimentes tritt die Berechenbarkeit; die Mathematik wird zur zentralen Wissenschaft. Die Anschauung spielt keine entscheidende Rolle mehr, weder für die Physik - Leibniz spricht vom motus insensibilis - noch für die Metaphysik, denn Leibniz hat mit seiner Monadologie eine sehr abstrakte und anschauungsfreie Metaphysik präsentiert, mit der schon Kant seine Schwierigkeiten hatte. M. hat diese Zusammenhänge übrigens klar erkannt und befindet sich damit z. B. in Übereinstimmung mit Nicholas Rescher. Zur Ehre der Experimente muss man allerdings sagen, dass die Experimentierkunst jener Zeit noch sehr unterentwickelt war und Leibniz die Aussagekraft ihrer Ergebnisse heute wohl nicht mehr bestreiten würde. An der Beobachtbarkeit physikalischer Phänomene hat Leibniz nie gezweifelt, er hat nur die tatsächliche Beobachtung zu seiner Zeit bestritten.

Wie schon erwähnt, ist dieser dritte Band aus drei heterogenen Teilen zusammengesetzt. Im ersten Teil schreibt sich M. Erfahrungen von der Seele, die er in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jh.s gemacht hat und die er mit Gleichgesinnten teilt. Die Ausführungen betreffen daher mehr den seelischen Haushalt M.s und weniger die Philosophie von Leibniz.

Im zweiten Teil behandelt M. das eigentliche Thema und kommt dabei zu einer Reihe von neuen Einsichten und Analysen, die die Philosophie des jungen Leibniz betreffen, so Geschichte und Art des Punktbegriffes, die Übernahme und Variation des Hobbesschen Conatus und die Dynamisierung und Mathematisierung des Substanzbegriffes durch Leibniz

Der dritte Teil bringt dann einen Ausblick auf die weitere Entwicklung des Leibnizschen Systems. Dazu werden Parallelen zum Begriffssystem des jungen Leibniz gezogen und Ansätze zu späteren architektonischen Grundbegriffen wie prästabilierte Harmonie, Theodizeegedanke und geistiger Substanzbegriff gewürdigt. Dieser Teil enthält einige richtige Einsichten, überschätzt aber den seminalen Charakter der Leibnizschen Jugendphilosophie.

Das vorliegende Werk weist eine Reihe von Vorzügen auf, die auf den Fähigkeiten M.s beruhen. Er verfügt über ausgezeichnete Lateinkenntnisse und schreibt ein klares Deutsch, das in manchen Passagen sogar kreativ ist. Ein besonderes Verdienst besteht darin, dass er sich als Theologe in das sperrige Thema der Physik dieser Zeit eingearbeitet hat und zu diesem Zweck so schwierige Leibnizsche Schriften wie die Theoria motus abstracti (1671) und Hypothesis physica nova analysiert hat. Auch die Zusammenfassung und der historische Hintergrund der Leibnizschen Ausführungen zum Punktbegriff sind sehr hilfreich. Ein besonderes Lob gebührt M. dafür, dass er nicht unter einer spezifisch deutschen Krankheit leidet und keine Phobien gegenüber Ontologie und Metaphysik pflegt. Dort, wo es angebracht ist, von diesen beiden grundlegenden und übrigens auch sehr aktuellen philosophischen Disziplinen zu sprechen, tut er es auch.

Die Konzentration auf das aristotelische Physikmodell der Substanz fördert zwar die Analyse der Physik und Naturphilosophie dieser Zeit, unterschlägt aber die Logik und nicht-physikalische Ontologie von Leibniz, die an das Substanzmodell aus der Kategorienschrift geknüpft sind und die ihn schon früh, so z. B. in der DAC von 1666, zu Untersuchungen über die Syllogistik führen. Dieses Modell führt auch zur Harmonie und weitgehenden Übereinstimmung mit der Scholastik, zu der Leibniz eine ambivalente Beziehung hatte.

Eine der Schwächen der Untersuchung besteht darin, dass M. auf jede Art formaler Analyse verzichtet, sei sie nun logisch oder mathematisch. Diese hat nicht nur den Vorteil einer über die der natürlichen Sprachen weit hinaus gehenden Präzision, sondern bietet zudem die Chance für neue Entdeckungen; außerdem entspricht sie Leibnizschem Denken und Stil.

Auch einige Begriffserklärungen wären sehr hilfreich gewesen, so z. B. die Unterscheidung der verschiedenen Arten von Atomismus, die Darstellung der verschiedenen historischen Phasen der Scholastik samt des Spezifikums der protestantischen Scholastik sowie der Vieldeutigkeit des Wortes Substanz. Gegenüber dem jedoch, was man bisher über die Philosophie des jungen Leibniz wusste, bedeutet das dreibändige Werk von M. einen großen Schritt nach vorn.