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Ausgabe:

Dezember/2004

Spalte:

1326 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Clayton, Philip, and Arthur Peacocke [Eds.]

Titel/Untertitel:

In Whom We Live and Move and Have Our Being. Panentheistic Reflections on God's Presence in a Scientific World.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2004. XXII, 322 S. gr.8. Kart. US$ 35,00. ISBN 0-8028-0978-2.

Rezensent:

Ingolf U. Dalferth

Um die Prozesstheologie scheint es in den letzten Jahren ruhiger geworden zu sein. Dass dieser Schein trügt, belegt dieser Band. Er dokumentiert ein Kolloquium über Gottes Verhältnis zur geschaffenen Welt, das 2001 von der John Tempelton Foundation in Windsor Castle finanziert und durchgeführt wurde. Namhafte Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen konzentrierten sich dabei auf einen prozessphilosophischen Kerngedanken zur Beschreibung des Gott-Welt-Verhältnisses: den Panenthe- ismus. In der Einleitung spricht M. W. Brierley im Eröffnungstext des Bandes geradezu von Naming a Quiet Revolution: The Panentheistic Turn in Modern Theology, und die Überzeugung, mit diesem Gedanken die entscheidende Wende in der neueren Theologie erfasst zu haben, durchzieht den ganzen Band.

Dass hier freilich sehr Verschiedenes gemeint sein kann, stellt im 1. Teil (Panentheistic Interpretations of the God-World Relationship) zu Recht N. H. Gregersen (Three Varieties of Panentheism) klar. D. R. Griffin dagegen sieht in seiner Version von Panentheism: A Postmodern Revelation. Chr. C. Knight geht dem Theistic Naturalism and the Word Made Flesh als komplementären Zugängen zur Debatte um den Panentheismus nach. K. Ward untersucht die panentheistische Metapher The World as the Body of God, und P. Clayton zeigt in einem aufschlussreichen Beitrag zum Panentheism in Metaphysical und Scientific Perspective die Verbindungen zur Tradition des deutschen Idealismus auf. Insgesamt bieten diese Beiträge eine kompetente und gründliche philosophische Einführung in das Panentheismusthema in seinen systematischen und historischen Dimensionen.

Im 2. Teil werden dann Scientific Perspectives on the God-World Relation geboten. Hervorzuheben sind vor allem die Beiträge zur Kosmologie und Neurobiologie von P. Davis (Teleology without Teleology: Purpose through Emergent Complexity), R. Stannard (God in and beyond Space and Time), R. L. Herrmann (Emergence of Humans and the Neurobiology of Consciousness), H. J. Morowitz (On Panentheism and Epistemology) und A. Peacocke (Articulating God's Presence in and to the World Unveiled by the Sciences). In merklich anderer Diktion als im 1. Teil wird das Thema hier von religiös interessierten Natur- und Lebenswissenschaftlern traktiert. Dass dabei nicht mehr die Kosmologie, sondern die Biologie und Gehirnforschung im Vordergrund stehen, spiegelt den Paradigmenwechsel in der neueren Debatte um das Verhältnis von Religion und den Wissenschaften.

Der 3. Teil konzentriert sich schließlich auf Theological Perspectives on the God-World Relation. In einem ersten Abschnitt gehen Beiträge von K. Ware, A. V. Nestruk und A. Louth den Ähnlichkeiten zwischen ostkirchlicher Trinitäts-, Geist- und Energien-Theologie und dem Prozessdenken nach. In einem zweiten Abschnitt untersuchen D. Edwards, J. A. Bracken, S. J., R. Page und C. E. Deane-Drummond in entsprechender Weise westkirchliche Traditionen, wobei vor allem schöpfungs-, logos- und weisheitstheologische Konzeptionen zum Vergleich herangezogen werden.

In einem systematischen Nachwort (Panentheism Today: A Constructive Systematic Evaluation) versucht P. Clayton Bilanz zu ziehen, weil es keineswegs in die Augen springt, was die sehr unterschiedlichen Beiträge des Bandes eigentlich verbindet. Eine Liste der Beitragenden, die Anmerkungen zu den einzelnen Beiträgen und ein ausführlicher Sach- und Personenindex beschließen den Band.

Trotz oder vielleicht gerade wegen der Disparatheit der Zugänge bietet er die zurzeit wohl beste systematische Einführung in das Panentheismusproblem und seine gegenwärtige Diskussion. Unübersehbar wird dabei freilich - trotz aller theologischen Anschlussbemühungen vor allem im 3. Teil -, wie sehr diese Konzeption in all ihren Variationen gerade an das anknüpft, was in der Areopagrede des Paulus, aus der die Titelformulierung des Bandes stammt, zu dem gerechnet wird, was zwischen Juden und Heiden, Philosophen und Christen gar nicht kontrovers ist. Erst als Paulus von diesen unstrittigen theologischen Gemeinplätzen zum eigentlich christlichen Thema der Anastasis kommt, bricht bekanntlich das Gelächter aus. Man hat sich angesichts dieses Lachens der Philosophen theologisch in der Folgezeit schnell auf den Inkarnationsgedanken zurückgezogen, und der lässt sich nach seiner Wendung in die Immanenz im 19. Jh. in der Tat prächtig prozessphilosophisch entfalten - solange man die Differenz zwischen Inkarnation und Immanenz überspielt und ausblendet, dass der Inkarnationsgedanke nichts anderes als die Rückseite des Auferweckungsgedankens ist. Wie der freilich prozessimmanentistisch gedacht werden soll, bleibt ein panentheistisches Rätsel - und das wird auch in diesem instruktiven Band nicht gelöst.